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Unmut über Platzverbot Bedürftige suchen vergeblich: Kältebus vom Hauptbahnhof verbannt

Der Kältebus der Johanniter ist seit Jahren eine wichtige Anlaufstelle für Bedürftige am Bremer Hauptbahnhof. Doch der Standort sorgt nun für Diskussionen. Aktuell muss die Hilfsorganisation deshalb pausieren.
13.07.2023, 05:00 Uhr
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Bedürftige suchen vergeblich: Kältebus vom Hauptbahnhof verbannt
Von Kristin Hermann

Seit elf Jahren steht der Kältebus der Johanniter mindestens einmal in der Woche vor dem Bremer Hauptbahnhof, um Wohnungslose und Bedürftige mit Essen, Getränken und in den kalten Monaten mit Kleidung und Schlafsäcken zu versorgen. Für viele von Armut betroffene Menschen ist der umgebaute VW-Bus ein Ort, an dem sie nicht nur eine warme Mahlzeit erhalten, sondern auch ein offenes Ohr für ihre persönlichen Sorgen vorfinden können. Seit Kurzem wird das Angebot um ein Arztmobil ergänzt. Pro Ausgabe kommen nach Angaben der Hilfsorganisation bis zu 150 Personen. Damit ist jedoch zumindest aktuell Schluss. Schon seit Anfang Juni suchen Betroffene vergeblich nach der Essensausgabe. Grund dafür: Nach vielen Jahren dürfen die Johanniter den Standort momentan nicht mehr nutzen – und das sorgt für Unmut. 

Vor einigen Wochen haben die Johanniter ohne Vorwarnung ein Behördenschreiben erhalten. „Darin stand, dass wir keine Genehmigung haben, vor dem Bahnhof zu stehen, und wir eine Ordnungswidrigkeit begehen, sollten wir dort wieder aufschlagen“, sagt Kältebus-Teamleiterin Karin Stelljes. Ihrer Bitte nach einer Übergangsfrist sei man nicht nachgekommen. Laut Stelljes stand der Bus in den vergangenen Monaten und Jahren immer dort, wo gerade Platz war. Mal etwas weiter Richtung Übersee-Museum, mal weiter zu den Gleisen der Straßenbahn. „Daran hat sich nie jemand gestört“, sagt Stelljes.

Hilfsorganisation soll in Sicherheitszone gestanden haben

Bis jetzt. Auf Nachfrage bei der Innenbehörde heißt es, der Kältebus sei vor Kurzem in der sogenannten Sicherheitszone des Bahnhofs registriert worden. Diese umfasse den Bereich vor dem Ein- und Ausgang und den Platz in Richtung der Straßenbahnhaltestellen und sei vor einigen Jahren von der Polizei und Feuerwehr festgelegt worden, um bei einem Notfall wie etwa einem Anschlag ausreichend Platz für Rettungsfahrzeuge freizuhalten. Die Johanniter seien durch die derzeitigen Veranstaltungen auf dem Platz der Deutschen Einheit sowie Bauarbeiten in die Sicherheitszone ausgewichen und daher kontaktiert worden, so die Behörde. Dabei sei auch aufgefallen, dass den Johannitern eine Sondernutzungserlaubnis fehle.

Direkt vor dem Bahnhof dürfen laut Innenbehörde nur am Rande Buden aufgestellt werden. In der Vergangenheit habe es deshalb bereits wiederholt Auseinandersetzungen gegeben, unter anderem mit dem Wirtschaftsressort. Schließlich stehen in oder zumindest nahe dem Bereich auch regelmäßig andere Buden, beispielsweise während des Weihnachtsmarktes oder der Bürgerparktombola. „Wir versuchen im Einzelfall flexibel mit Anträgen umzugehen, um sowohl die Belange der Sicherheit, aber auch die Bedürfnisse der Antragssteller zu berücksichtigen“, sagt Rose Gerdts-Schiffler, Sprecherin des Innenressorts.

Beschwerden über Vermüllung

In die aktuelle Diskussion scheinen aber noch andere Faktoren reinzuspielen, schließlich versucht die Stadt bereits seit Monaten, einen Imagewandel für den Hauptbahnhof voranzutreiben. Bei der Innenbehörde würden regelmäßig Beschwerden von Anrainern und der Stadtreinigung auflaufen, dass Nutzer der Essensausgaben in unmittelbarer Nähe für Vermüllung sorgen oder ihre Notdurft verrichten. Im Nelson-Mandela-Park sei im vergangenen Jahr ein Rattenbefall registriert worden, der dafür sorgte, dass der Park für wenige Wochen gesperrt und eine Essensversorgung verlegt werden musste. „Darüber hinaus erhalten wir von Sicherheits- und Ordnungskräften immer wieder Hinweise, dass durch die Essensausgaben teilweise große Ansammlung von Personen entstehen. Hieraus ergeben sich zwar nur in sehr wenigen Fällen Konflikte, diese belasten jedoch das subjektive Sicherheitsgefühl im Bahnhofsbereich nicht unerheblich“, so Gerdts-Schiffler weiter.

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Kältebus-Teamleiterin Stelljes kann diese Argumente nur bedingt nachvollziehen. „Wir sammeln grundsätzlich unseren Müll wieder ein“, sagt sie. Für die Menschen aus der Bahnhofsszene seien Hilfsangebote direkt vor Ort von enormer Bedeutung. Das bestätigen auch die Bremer Suppenengel, die dort unter der Woche täglich Mahlzeiten ausgeben. Man wundere sich über den derzeitigen Umgang mit den Johannitern.

Inzwischen hat es ein erstes Treffen mit Behördenvertretern und den Johannitern gegeben, bei dem auch über mögliche alternative Standorte gesprochen wurde – unter anderem „Auf der Brake“ in Richtung Diskomeile. „Wir schauen uns den Bereich derzeit an, allerdings verkehrt dort ein Teil der offenen Drogenszene und wir fühlen uns direkt vor dem Bahnhof deutlich sicherer und sichtbarer“, sagt Stelljes. Die Organisation habe deshalb bisher nur einen Antrag für ihren gewohnten Standort eingereicht. „Wir können nicht nachvollziehen, warum man uns mit solchen Maßnahmen die Arbeit so erschwert.“

Grundsatzdebatte über Essensausgaben am Bahnhof

Mit dem Fall des Kältebusses könnte eine Grundsatzdebatte über die Essensausgaben rund um den Bahnhof eingeläutet werden. Man habe dadurch festgestellt, dass mehrere Hilfsorganisationen und Initiativen im Stadtgebiet zwar Angebote vorhalten, aber keine Sondernutzung bei den zuständigen Stellen beantragt haben, so die Innenbehörde. Durch das Sozialressort sollen deshalb jetzt alle bekannten Versorger angeschrieben und zu einem Termin eingeladen werden. Dabei soll es unter anderem darum gehen, wie es an dem Standort in Zukunft weitergehen könne und wie Standards der Müllvermeidung aussehen könnten.

Laut Johannitern habe zunächst auch die Vorhaltung von Toiletten und Mehrweggeschirr im Raum gestanden. „Wenn das eine feste Auflage für Hilfsorganisationen wird, müssen wir und sicherlich auch andere aufhören. Das kann keiner leisten“, kritisiert Stelljes. Dass solche Regularien kaum umsetzbar sind, ist inzwischen auch bei der Innenbehörde angekommen. „Erste Gespräche haben gezeigt, dass die Bereitstellung von Toiletten und Mehrweggeschirr eine große Herausforderung für die Anbieter darstellt. Wir versuchen daher, gemeinsame Lösungen zu finden“, heißt es.

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