Es scheint sich etwas zu bewegen in der Bahnhofsvorstadt. Menschen, die in diesem gern als Durchgangsviertel bezeichneten Quartier unterwegs sind, nehmen diesen Fortschritt anhand der markantesten Veränderung wahr: Die ist täglich auf dem Gelände des ehemaligen Bundeswehrhochhauses zu beobachten. Nachdem die Bahnhofsvorstadt lange gefühlt im Dornröschenschlaf gelegen hat, geht es jetzt, wie bereits berichtet, auf dem Areal mit Riesenschritten voran. Die Gewoba hat die Immobilie erworben, um hier viele Wohnungen zu schaffen. Bis zum Jahresende sollen die Entkernungsarbeiten abgeschlossen sein. Allerdings konnte der geladene Vertreter der Gewoba nicht an der ersten Anwohnerversammlung teilnehmen, die Iris Wensing, temporäre Quartiersmanagerin, im Begegnungszentrum der St. Michaelis/St. Stephani-Gemeinde einberufen hatte.
Viele Institutionen, die ihren Sitz in dem Quartier haben, nahmen an der Versammlung teil, darunter so manche von der Inneren Mission, deren Mitarbeiterschaft sich um Menschen in vielfältigen Notlagen kümmert. Ebenfalls mit dabei: Kontaktpolizistin Katja Ellinghaus, die allerdings auch für die Innen- und Altstadt zuständig ist. Auch dabei: Lars Freymark, Referatsleiter der Steintorwache, zuständig für Beratung und Prävention. Teilweise waren Vertreter der Institutionen der Sitzung, die online und teilweise in Präsenz veranstaltet wurde, via Internet zugeschaltet. So auch die beiden Mitglieder des Beirates Mitte, Holger Ilgner (SPD) und Ingrid Kreiser-Saunders (CDU), die das Quartier und seine Entwicklung seit ihrer Kindheit gut kennt. Beide Beiratspolitiker begrüßten das Vernetzungsprojekt ausdrücklich und signalisierten ihre Unterstützung.
Einigermaßen frustriert zeigten sich hingegen die fünf Anwohnerinnen und Anwohner aus der Nikolai-, der Vietor- und der Daniel-von-Büren-Straße, die an der Sitzung teilnahmen. Allesamt wohnen sie seit mehreren Jahrzehnten in dem Viertel, das "sich doch sehr verändert habe", wie Angelika Assmann und ihr Mann Ulrich feststellten. Und Anwohnerin Ingrid Oetting wies zum wiederholten Mal auf die zunehmende Vermüllung der Bahnhofsvorstadt hin, die für alle gut sichtbar sei: "Das muss angefasst werden!" Ein anderes Thema, das so manchem im Quartier auf den Nägeln brennt: Das Thema Sicherheit und Sauberkeit, dessen Problemlage vom Bahnhof aus in das angrenzende Quartier ausstrahlt, genauso wie die Drogen-Problematik. Diesbezüglich hat Iris Wensing schon Kontakt mit dem neuen Koordinator, Christian Modder, aufgenommen. Entsprechende Rückmeldungen von Anrainern des Bahnhofes zeigen, dass es da noch so einiges zu tun gibt.
Zur Frustration trug auch bei, dass so wenige Anwohner zu der Versammlung erschienen waren. Fazit: Es waren mehr Institutionen, als Anwohner vertreten. Die Einladung war in 1000 Briefkästen geworfen worden. Iris Wensing und ihre Mitarbeiterin von der Hans-Wendt-Stiftung beschwichtigten, dass das für ein erstes Treffen doch schon ein ganz guter Schnitt sei. Das sah Frank Oetjen von der Brebau genauso. Er betreut als Bestandsmanager die 220 Mietwohnungen auf der linken Seite der Falkenstraße. Seine Erfahrung: "Wir würden gern mit unserer Kundschaft ins Gespräch kommen, haben aber den Eindruck, dass die das größtenteils gar nicht will". Um das zu ändern, ist nun Iris Wensing als neue Quartiersmanagerin angetreten. Dazu hat sie in den vergangenen Wochen in den Innenhöfen der Brebau bei Kaffee und Keksen insgesamt vier Gespräche mit der Anwohnerschaft der Falkenstraße geführt. Die ließ sich allerdings auf der Anwohnerversammlung nicht blicken. Bei ihren Gesprächen habe sie einige Wissensdefizite ausmachen können, räumte Wensing ein. Viele aus dem näheren Umfeld hätten nichts von der Existenz des Spielplatzes auf dem Kita-Gelände der St.-Michaelis-Gemeinde gewusst.
Wie wertvoll solche Netzwerktreffen sein können, zeigte sich, als sich eine Mitarbeiterin des Übergangswohnheimes für alleinerziehende, geflüchtete Frauen zu Wort meldete. Seit April vergangenen Jahres wird das ehemalige, in die Jahre gekommene Versorgungsamt, direkt neben der Drogenkonsumstelle in der Friedrich-Rauers-Straße, für die Unterbringung von 70 geflüchteten Frauen und 80 Kindern genutzt. Dass diese so gut wie keine Lobby haben, das machte die Sozialarbeiterin sehr deutlich. So hätten deren Kinder auf dem in Bremen ohnehin schon umkämpften Markt zu wenig vorhandener Erzieherinnen und damit zu weniger Kita-Plätze so gut wie gar keine Chance, einen solchen zu ergattern. Als unglaublich mühselig und zeitraubend schilderte sie den Prozess, für ihre Klientinnen überhaupt mit dem Jobcenter in Kontakt zu kommen.
Per Abstimmung wurde festgelegt, dass das Anwohnerforum alle zwei Monate tagen soll. Dann sollen auch Themenschwerpunkte gesetzt werden. Das nächste Treffen wird für den 8. März anvisiert. Die Liste an diversen Baustellen und Wünschen, die es abzuarbeiten gilt, ist noch lang.