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Todkranken Mann gepflegt Bremerin fordert von Politik und Krankenkassen mehr Unterstützung

Margot König aus Bremen möchte anderen Menschen Mut bei der Pflege von Angehörigen machen. Sie wünscht sich mehr Anerkennung und unbürokratische Versorgung mit Hilfsmitteln.
14.10.2018, 20:23 Uhr
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Bremerin fordert von Politik und Krankenkassen mehr Unterstützung
Von Christian Hasemann

Auf Videos, die Margot König in ihrem Wohnzimmer auf ihrem Smartphone zeigt, ist ihr Mann in den letzten Lebenswochen zu sehen. Schon gezeichnet von der Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), die nach und nach die Muskeln lähmt, strahlt er dennoch Lebensfreude aus, versprüht einen fast schelmenhaften Witz. Auf älteren Fotos sieht man ihn bei seiner Leidenschaft: dem Motorradfahren. Diese Lebensfreude trotzte auch der Krankheit.

Das Ehepaar nahm die niederschmetternde Diagnose an und kostete das Leben trotz der Anstrengungen der Pflege bis zuletzt aus. Klare Forderungen stellt die Witwe an die Politik und an die Krankenkassen. Bevor das Ehepaar die Krankheit akzeptierte, stand immer die Hoffnung im Raum, dass es irgendetwas anderes ist, dass sich alles zum Guten wenden würde. „Wir hatten immer die Hoffnung, dass es beim Verdacht bleibt, dass sie etwas anderes finden, was die Ärzte heilen können“, sagt Margot König.

Es waren kurz aufeinander folgende Lungenentzündungen, die Axel König zum Arzt führten. Dann bemerkte er, dass es ihm schwerfiel die Arme über den Kopf zu heben, dass die Kraft nachließ. 2013 kam schließlich die Bestätigung aus dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. ALS, Lebenserwartung noch ein bis fünf Jahre.

Unterstützung von einer Selbsthilfegruppe in Syke

Das Ehepaar traf die Diagnose unvorbereitet. „Wir wussten überhaupt nicht, was die Krankheit bedeutet“, sagt Margot König. Unterstützung bekamen sie bei einer Selbsthilfegruppe in Syke. In den ersten beiden Jahren verlief die Krankheit so langsam, dass Axel König, der als gelernter Feuerwerker beim Kampfmittelräumdienst angestellt war, noch arbeiten konnte.

„Im April 2015 ist er raus der Arbeit und rein in die Kur, danach bekam er Rente wegen voller Erwerbsminderung“, sagt Margot König, „das hat ihn getroffen, dass das über seinen Kopf hinweg entschieden wurde.“ Danach wuchs Margot König, selbst inzwischen Rentnerin, in die Rolle als Pflegekraft ihres Mannes hinein.

Das Lebensbejahende habe ihr Mann auch durch die Krankheit nicht verloren, sagt Margot König. Und die erste Zeit nach der Diagnose konnte das Ehepaar noch aktiv verbringen. „Mein Mann war ein Genussmensch“, sagt sie. Bis Ende 2015 reisten sie durch Europa, waren in Frankreich, in Polen, in Kroatien. Aber besonders an einen Ort zog es das Ehepaar: In den Ostharz, denn er war Axel Königs eigentliche Heimat.

Pflege Zuhause benötigt viele Hilfsmittel

Die Pflege Zuhause in Bremen erforderte nicht nur eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung, sondern auch viele Hilfsmittel. Hilfsmittel, von denen manche gar nicht und manche erst sehr spät bewilligt wurden. „Aber es gab keinen Punkt, an dem ich gesagt hätte, das schaffe ich nicht“, sagt Margot König.

Was sie wurmt: „Es ärgert mich, wenn wir als unausgebildet bezeichnet werden, wenn wir täglich die Angehörigen pflegen.“ Zu der täglichen Pflege gehörte unter anderem das Waschen, das Absaugen, Füttern, Um- und Anziehen. Die Pflege habe sie auch bei den Krankenhausaufenthalten übernommen. Dort habe sie ihren Mann zum ersten Mal weinen gesehen.

Kurz vor Weihnachten 2015 musste er wegen einer schweren Lungenentzündung ins Krankenhaus und hatte einen ersten Erstickungsanfall. Er konnte gerade noch von einer Ärztin gerettet werden. Es folgten belastende Bronchioskopien, zum Schluss musste Axel König unablässig eine Atemmaske tragen.

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Vor allem eine Forderung hat Margot König: „Wenn wir die Pflege machen, dann erwarte ich, dass wir alle Hilfsmittel bekommen, wir können nicht darauf warten!“ Junge und alte Menschen hätten einen Anspruch auf menschenwürdige Pflege und dazu gehöre auch die Möglichkeit, am Leben teilhaben zu können. Daneben wünsche sie sich mehr Anerkennung durch die Politik.

Erst 2017 hat die Familie einen Pflegedienst hinzugezogen. „Der kam einmal am Tag, um ihn aus dem Bett zu holen und wieder reinzubringen“, sagt Margot König. Das war zu einem Zeitpunkt, von dem sie sagt, sie sei das zweite Ich ihres Mannes geworden sei. „Ich hatte kein eigenes Ich mehr.“ Viermal im Monat kam der Pflegedienst zur großen Körperreinigung.

Den Rest organisierte die Familie. „Wir mussten auf eigene Kosten einen treppensteigenden Rollstuhl kaufen, sonst wären wir eingesperrt gewesen.“ Ein breiteres Pflegebett wurde zunächst nicht bewilligt und dann erst nach mehreren Widersprüchen.

Viel Unterstützung von Familie und Freunden

In der Zwischenzeit musste die Familie den Lattenrost auf Ziegeln im Wohnzimmer, wo Axel König gepflegt wurde, lagern. Der Sohn organisierte Fahrten in den heimatlichen Harz, die Schwester von Margot König, ausgebildete Altenpflegerin, unterstützte bei der Pflege, Freunde bauten im Harz eine Rampe an das Haus, das sich das Ehepaar als Alterssitz gekauft hatte.

Margot König möchte gar nicht so sehr vom Leid der Krankheit und der Last der Pflege erzählen, sondern lieber von der intensiven, gemeinsamen Zeit, die das Leben der Familie in den vergangenen Jahren bestimmte.

Natürlich bricht sich auch die Trauer ihre Bahn, und Tränen steigen in die Augen. „Wir wollen anderen Mut machen. Jede Sekunde, die man mit einem Menschen lebt, kann sehr wertvoll sein und kann ansonsten für immer verloren sein.“

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Vor knapp einem Jahr dann das letzte Kapitel. Nach einem Notfall in der Nacht fiel Axel König ins Koma, wurde von Maschinen am Leben gehalten. Ein Fall, für den sich die Familie mit einer Patientenverfügung vorbereitet hatte. „Wir haben gesagt, dass wir beide eine machen“, sagt Margot König. Ihr Mann habe schon vorher betont, dass er nicht mit Geräten gequält werden will.

„Ich habe ihn im Sterben gehalten und über den Harz gesprochen. Er ist ganz ruhig gegangen“, sagt Margot König gefasst. Die Urne mit der Asche wurde im Harz beigesetzt. Abgeholt wurde sie mit einem Motorrad.

Weitere Informationen

Bei der Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) werden Nervenzellen geschädigt und es kommt nach und nach durch Lähmungen der Muskulatur zu Gang-, Sprech- und Schluckstörungen sowie eingeschränkter Koordination. Häufig sterben Erkrankte an Lungenentzündungen, die durch Verlust der Schluckvermögen und der Lähmung der Atemmuskulatur
begünstigt wird.

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