Mit schwarzer Folie stramm umwickelt sind die Pakete übereinander auf einer Palette gestapelt. 50 bis 80 Platten stecken in den sandfarbenen Pappkartons. Bis zu 1000 sind auf die hölzerne Transportkonstruktion gepresst. In den schmalen Gängen der vollgestopften Lagerräume sitzt Norbert Fecker, einer der Geschäftsführer von Hot Shot Records. Er sortiert, markiert, prüft und zeichnet aus. Momentan lagert etwa ein Drittel einer großen 12.000 Vinyl-Scheiben umfassenden Privatsammlung in den Räumen von Bremens größtem Schallplattenladen.
Ein Paradies für Sammler, Liebhaber und Musik-Nerds. Ab Sonnabend wandert ein Großteil dieser Kollektion zum Record Store Day neben den exklusiven Veröffentlichungen vieler Labels, die es zu diesem Tag gibt, in die Regale. Doch wie stöbert Fecker solche Sammlungen auf? Was ist sein Geheimnis? Erst vor Kurzem ließ er eine Mega-Ladung aus Amerika in die Hansestadt verschiffen. Auf den Spuren des Plattenhändlers.
Es hat was von Flohmarkt-Atmosphäre, da ist dieses Vinyl-Gefühl, emsiges Treiben vor und hinter der Ladentheke und über allem liegt dieses große Knistern. Fecker bezeichnet sich selbst als Gefühlshändler. Seit 25 Jahren beschäftigt er sich hauptberuflich mit dem „schwarzen Gold“. Er sammelt, kauft und verkauft rund um die Uhr Musik. „Entweder rufen die Leute hier an oder es geht über Mundpropaganda“, sagt Fecker. Dann werde von einem Kumpel erzählt, der seine Plattensammlung loswerden will. Oder er werde auf Anzeigen in Zeitungen oder im Netz aufmerksam. Leider gebe es auch die Fälle, dass Erben anrufen und mit der Sammlung des Verstorbenen nichts mehr anfangen können.

Bis zu 80 Platten passen in einen Pappkarton.
Sammler der Meinung sind, ihre Alben sind ganz besonders wertvoll
Dann stellen sich gleich mehrere Fragen. Was hat der Sammler? Wie viele Platten sind es tatsächlich? Wie ist der Zustand? Und will das überhaupt jemand haben? „Ich kann ja keine Ferndiagnose stellen“, sagt der scherzhaft selbst zum Platten-Doktor Bremens ernannte Fecker. Also setzt er sich ins Auto und begutachtet, was da so angeboten wird. Es komme häufiger vor, dass die Sammler der Meinung sind, sie besitzen wesentlich mehr oder ihre Alben sind ganz besonders wertvoll. Am Ende einigt sich Fecker dann doch meist mit den Verkäufern. So auch bei der 12.000-Platten-Sammlung aus dem Syker Raum, die er derzeit durcharbeitet.
Die richtige Arbeit für Fecker und sein Team – der Plattenladen hat acht Vollzeitstellen und zwei Auszubildende – beginnt erst, wenn die Platten im Geschäft sind. Einen Teil lagert Fecker bei einer Spedition in Arsten, den anderen bei Hot Shot Records. Kaputtes Vinyl wird bei der ersten Bestandsaufnahme aussortiert. „Wir prüfen jede einzelne Platte“, sagt Fecker. Dann wird in Genres geordnet: Metal, Hard Rock, Poprock, Funk und Soul, Jazz, Blues, Alternative und Maxis.
Dann müssen die Preise bestimmt werden. „Im normalen Geschäftsbetrieb kenne ich 90 Prozent“, sagt Fecker. Entweder den Künstler, die Musik oder ganz oft das jeweilige Label. So sei bei Roadrunner Records klar, dass es sich um Metal oder Rock handelt. Das Grand Hotel van Cleef sei eben Alternative. Das Sortieren dauere etliche Tage. Jede Platte bekommt eine Schutzhülle, es werden erneut Haufen gebildet: Fünf-Euro-Stapel, Zehn-Euro-Stapel und so weiter.

Es knistert, wenn die Nadel durch die Plattenrille fährt.
Jeden einzelnen Preis zu ermitteln, ist zu zeitintensiv
Zudem stellt sich immer noch die Frage: Ist es ein Original oder doch die 27. Nachpressung. So sei es auch schon passiert, dass Fecker einer überraschten Frau mal 200 Euro für eine sehr seltene Platte gegeben habe. Dieses Mal ist in der Sammlung eine Originalscheibe der Krautrock-Band Popol Vuh mit dem Titel „Hosianna Mantra“ dabei gewesen – bestimmt 150 Euro wert. Bei jeder Platte den potenziellen Preis im Internet auf Portalen wie Discogs nachzuschauen, ist zu zeitintensiv.
Da verlässt sich Fecker auf sein Gefühl. Vielmehr mag er es, wenn seine Kunden auch mal Schätze entdecken und mit einem Grinsen aus dem Laden gehen. „Mir haben schon oft Leute gesagt, dass wir doch keine Ahnung haben“, lacht Fecker. Aber die glücklichen Schnäppchen-Jäger kommen immer wieder. So trauert er keiner verpassten Chance nach. Die teuerste Platte, die er mal in einer Sammlung fand, war von der Band Dark mit dem Titel „Round The Edges“ – 1800 Mark gab es damals dafür.
Zu Hot Shots Records kommen laut Fecker Menschen, für die Vinyl viel mehr ist als ein Tonträger. Sie hören nicht nur, sie fühlen. In dem Laden, den Volker Sieberg im Jahr 1991 gründete, steht immer die Musik im Mittelpunkt. 1995 stieß Fecker dazu. Vom Keller am Steinernen Kreuz im Viertel zog es den Musikverkäufer 1999 in die Obernstraße, 2005 dann in den Lloydhof. Seit ein paar Jahren sind sie in der Knochenhauerstraße.
Ach ja: Die 60 000 Platten aus den USA hat Fecker über eine Zeitungsanzeige gefunden. Freunde aus Atlanta wurden darauf aufmerksam. Die jetzige 12 000er-Sammlung sei „sehr außergewöhnlich“, auch was die Qualität angehe. Viel Avantgarde, Free Jazz, Dub, Reggae und House sei dabei. Aber auch ′ne Ramones-Platte lasse sich finden.
Record Store Day
Streng limitierte Schallplatten gibt es an diesem Sonnabend, 13. April, beim Record Store Day. Für den internationalen Tag unabhängiger Plattenläden produzieren die Plattenfirmen mehr als 530 Sonderprodukte und exklusive Veröffentlichungen. In Bremen nehmen der Golden Shop (Fehrfeld 4), Hot Shot Records (Knochenhauer Straße 20-25) und Studio Illegale (Weberstraße 18) teil. Wegen künstlicher Knappheit der Platten und enttäuschter Gesichter im Laden gab es auch immer wieder Kritik an dem Tag. 2019 nehmen mehr als 250 unabhängige Plattenläden in Deutschland, Österreich und der Schweiz teil, weltweit sind es mehr als 3500 Plattenläden. Am verkaufsoffenen Sonntag, 14. April, haben die Läden ebenfalls geöffnet.