Dort, wo jeden Tag Tausende Fahrzeuge die Bremer Innenstadt durchkreuzen, soll von Sommer an ein großes, einjähriges Verkehrsexperiment stattfinden: Zwei Fahrspuren weniger, Tempo 20, teilweise Einbahnstraße oder Vollsperrung und jede Menge Aktionsflächen. Das plant der Senat für die Martinistraße, die 800 Meter lange Magistrale zwischen Tiefer und Brill-Kreuzung. Die Verkehrsbehörde hat jetzt die Anwohner informiert und Details preisgegeben. Das Projekt gehört zum Aktionsprogramm Innenstadt und ist mit 1,3 Millionen Euro veranschlagt. Später soll die heute vierspurige Martinistraße dauerhaft zurückgebaut werden, um die City stärker mit der Schlachte zu verbinden.
Rund 50 Anwohner waren am Dienstagabend der Einladung gefolgt und bekamen die Entwürfe für das Experiment präsentiert. Darin enthalten sind neben den verkehrlichen Ansätzen mannigfaltige Ideen, wie die geplanten Aktionsflächen im Straßenraum genutzt werden können. Die Bremer Agentur Sternkultur hatte im Februar einen digitalen Workshop veranstaltet, um Vorschläge zu sammeln. In das Konzept eingeflossen sind eine Art Stadtgarten, Skaterparks, Wasserspiele, Außengastronomie, Lichtkunst und vier Aussichtstürme, die der Martinistraße neue Orientierungspunkte geben sollen. Geplant sind außerdem verschiedene Märkte, eine Theaterbühne und eine groß angelegte Surfwelle. Für den Wasserspaß soll die Verbindung auf Höhe der Pieperstraße nach Darstellung von Sternkultur für zehn Tage komplett gesperrt werden.
Verkehrsstaatsrat Ronny Meyer betonte während der Veranstaltung, dass mit den Mitteln des Aktionsprogramms einige Dinge ausprobiert werden könnten, dass dies mitnichten aber schon etwas für die Zukunft der Martinistraße festlege. „Wir wollen Leben in die Innenstadt bringen“, sagte Meyer. Für dieses kurzfristige Ziel müssten Kompromisse bei der Lösung von Verkehrsfragen gemacht werden.
In der ersten Phase des Versuchs soll die Martinistraße bis Januar auf je eine Richtungsfahrbahn reduziert werden. Die geplante Einbahnstraßenregelung vom Pressehaus bis zum Brill werde aus Rücksicht auf das Weihnachtsgeschäft erst danach kommen, erklärten Vertreter der Verkehrsbehörde. Sie bezifferten die Zahl der Fahrzeuge, die an der Stelle täglich zwischen 7 und 19 Uhr unterwegs sind, mit durchschnittlich 16.500, mehr als zwei Drittel davon sei Durchgangsverkehr. Eine Menge, die auch bei einer Zweispurigkeit ohne Weiteres zu bewältigen sei. „Mit dieser Art von Rückbau werden wir keine spürbare Verkehrsentlastung erreichen“, sagte Gunnar Polzin, Leiter der Verkehrsabteilung bei Senatorin Maike Schaefer (Grüne). Aus diesem Grund sei zusätzlich die Einbahnstraße vorgesehen. Polzin: „Das Ziel ist ja eine autofreie oder autoarme Innenstadt.“
Olaf Orb, Geschäftsführer der Handelskammer, äußerte zum Schluss des Treffens große Skepsis: „Ich bin nach den Darstellungen nicht optimistischer geworden.“ Es sei gut, dass die Verkehrsbehörde das Gespräch mit den Anwohnern suche, das lindere aber nicht den inhaltlichen Ansatz. Mit der beabsichtigten Zweispurigkeit der Martinistraße könne die Kammer zwar gut leben, „da sind wir dabei“. Völlig anders verhalte es sich aber mit der Einbahnstraße, „die halten wir für nicht beherrschbar“.
Dieser Punkt trieb in der Diskussion die meisten Anwohner um. Wenn vom Brill aus nicht mehr in die Martinistraße hineingefahren werden kann – wie erreicht man dann die Adressen am anderen Ende der Straße, die an der Weserseite liegen? Vom Tiefer, lautet der eine und einfache Teil der Antwort. Damit wäre es aber noch nicht getan, denn wie sollen die Autofahrer hinüber auf die andere Seite kommen? Sie müssen an geeigneter Stelle wenden, erklärten die Verkehrsexperten. Auf die Nachfrage, ob der Radius ausreiche, um auch den Lastwagen das Wendemanöver zu erlauben, sagten die Behördenvertreter, dass dies nicht möglich sei. Ein Problem könne die Einbahnstraße insbesondere für die Warenanlieferung in der Langenstraße sein, betonte einer der Anwohner.
Ronny Meyer versprach, alle Einwände und Hinweise bei der weiteren Planung zu berücksichtigen. „Das waren heute Einblicke in die Werkstatt“, sagte der Staatsrat. Noch sei beim Projekt Martinistraße nichts fix.