Hinter einer unscheinbaren weißen Tür im Dachgeschoss des Bremer Rathauses verbirgt sich ein „umgedrehtes Schiff“. So beschreibt Hauke Nehring, der Welterbe-Beauftragte der Senatskanzlei, den Dachstuhl und den Dachboden des Alten Rathauses. Wie die Rippen einer alten Hansekogge ragen die Dachbalken bis zu elf Meter in die Höhe, mit Decks und „Wanten und Spanten“. Es ist dunkel und ein wenig zugig. Bei jedem Schritt knarzen die Holzdielen, als würde man wirklich auf einer Kogge sein.
Das Rauschen des Windes von draußen verstärkt den Eindruck noch. Einige Balken sind fast 400 Jahre alt, alle aus massivem Eichenholz. Das Alter der Balken sei stellenweise sichtbar, erklärt Nehring: „Die neueren sind etwas gerader, als die aus dem Mittelalter.“ Ein ganz besonderes Kuriosum zeigt Nehring gleich neben der Tür. „Das ist eine mittelalterliche Regenrinne“, sagt er und deutet auf einen schlichten Holzbalken mit einer kleinen Vertiefung in der Mitte. Die sei erst bei der Sanierung des Dachstuhls 2016 entdeckt worden.

Vierhundert Jahre sind manche der Balken im Dachstuhl des Alten Rathauses alt. Wie die Rippen eines „umgedrehten Schiffes“ strecken sie sich elf Meter hoch bis zum Dachfirst.
Christian Platz
Jahrhundertalte Handarbeit: Die meisten Dachbalken sind Originale aus dem Mittelalter.
Christian Platz
Sicherheit geht vor: Bei so viel Holz muss auch ein Feuerlöscher in der Nähe sein.
Christian Platz
Alte Verteilerdose mit neuem Inhalt: Die neuen Leitungen laufen durch die alten Kabelkanäle.
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Ein Splitterschutz für Luftschutzhelfer aus dem Zweiten Weltkrieg auf dem Dachboden des Neuen Rathauses.
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Metall statt Eiche im Dachstuhl des Neuen Rathauses.
Christian Platz
Hauke Nehring ist der Welterbe-Beauftragte der Senatskanzlei.
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Die Werkstatt im Keller des Rathauses.
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Ein Leuchter in der Reparaturwerkstatt im Keller des Rathauses.
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Relikte aus der Vergangenheit: Die alte Belüftungsanlage im Keller.
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Heute sorgt die Fernwärmeanlage für Wärme im Rathaus. Früher standen hier Kohlenkessel.
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Wind und Wetter sorgen beim Kupferdach des Rathauses für die Patina.
Christian Platz„Eigentlich sind es zwei Dachstühle“, sagt Nehring. Einer trage das Kupferdach des Alten Rathauses, ein zweiter trage die Decke der Oberen Halle. Die Konstruktion für die Decke der Rathaushalle ist so ausgetüftelt, dass das Gewicht der Decke für die Stabilität sorgt und die Zugkräfte auf die Außenwände des Rathauses verteilt. An einigen Balken sind Winden befestigt. „Wo ein Kabel dran ist, hängt eine Lampe dran. Wo kein Kabel dran ist, hängt ein Schiff dran“, erzählt Nehring. Gemeint sind die Kronleuchter und die Modellschiffe, die eine Etage tiefer in der Oberen Rathaushalle an der Decke hängen. Beide Balkengebilde teilen sich zwar den Dachboden und sind stellenweise eng miteinander verwoben, direkt miteinander verbunden sind sie allerdings nicht.
Dachstühle des Rathauses blieben vor Weltkriegsbomben geschützt
Der Speicher des Neuen Rathauses von 1912 greift die schiffsähnliche Konstruktion des alten Gebäudeteils wieder auf. Statt eines Systems aus Eichenbalken spinnt sich hier ein Metallskelett durch den Raum. Zwischen den Streben schlängelt sich die Lüftungsanlage des Ratskellers. In einer Ecke steht ein mannshoher Betonwürfel mit einem Türausschnitt und einer einfachen Sitzbank darin. „Das ist ein Splitterschutz für die Luftschutz-Helfer aus dem Zweiten Weltkrieg“, so Nehring. Die Dachstühle des Alten und Neuen Rathauses seien nicht zerstört worden, weil Helfer damals gefallene Brandbomben direkt unschädlich machen konnten. „Da haben wir Glück gehabt“, sagt Nehring.
Etliche Stufen und Flure führen vom Dachboden durch die ehemalige Hausmeisterwohnung, die Eingangshalle und über den Innenhof in den Keller, den Maschinenraum des Rathauses. Nehring zieht eine weitere unauffällige Tür auf und steht direkt in einer komplett eingerichteten Werkstatt. Auf den Werkbänken herrscht geordnetes Chaos: Putzlappen, Schraubenschlüssel und weiterer Kleinkram liegen darauf. Der Geruch nach Öl liegt in der Luft. In einer Ecke hängt ein alter Messingleuchter und wartet auf seine Reparatur. Der Leuchter hing früher einmal in einem Büro, erklärt Nehring. „Heute ist das vom Arbeitsschutz nicht mehr zulässig.“ Der Bodenbelag besteht aus Holzblöcken, die im Laufe der Jahre durch unzählige Schritte schwarz und rissig geworden sind. „Es gab mal Bestrebungen, den alten Holzboden rauszureißen“, erklärt Nehring. „Bloß nicht!“, ruft Haustechniker Axel Kornau aus dem Nebenraum. Eine bessere Federung gebe es nicht und Sachen, die herunterfielen, würden auch heile bleiben.
Im Nachbarraum standen früher große Heizkessel, die mit Kohle befeue rt wurden und das Rathaus mit Wärme versorgt haben. Heute reichen die blanken Aluminiumrohre der Fernwärmeanlage vom Boden bis zur Decke. In einer Nische hängt allerdings noch eine alte Kohlenschaufel, mit der früher die Kessel gefüttert wurden. „So was schmeißen wir natürlich nicht weg“, sagt Welterbe-Beauftragter Nehring.