Herr Dinné, Sie waren früher lange Jahre in der SPD und bei den Grünen aktiv. Jetzt ziehen Sie mit den Freien Wähler noch einmal in einen Wahlkampf. Warum tun Sie sich das an?
Mich ärgern bestimmte Dinge maßlos. Wenn beispielsweise die Platanen am Weser-Ufer der Neustadt weg sollen, dann kommen Leute und fragen mich: Willst Du nicht auch bei uns mitmachen? In solchen Fällen kann ich schlecht nein sagen. Und so mache ich bei mehreren Bürgerinitiativen mit.
Wir haben mit diesen Initiativen – beispielsweise für den Erhalt der Platanen, gegen eine Wohnbebauung der Galopprennbahn, gegen die Verwahrlosung des Viertels – die Erfahrung gemacht, dass wir zwar angehört werden. Aber die Politik lässt uns abtropfen, es hat keinerlei Effekt. Das hat uns schließlich dazu bewogen, die Bürgerinitiativen zusammenzubringen und eine Wahlliste aufzustellen.
Als das schwierig wurde, haben wir uns gesagt: Na gut, dann nehmen wir eine Parteiorganisation, die bereits besteht, aber hier in Bremen noch keine Landesgruppe hat. Die Abmachung mit den Freien Wählern ist die, das wir in Bremen machen können, was wir hier vor Ort für richtig halten.
Sie sind also autonom?
Total. Aber das ist nicht nur hier in Bremen so. Auch in Bayern und Baden-Württemberg, wo die Freien Wähler traditionell recht stark sind, ist das auch so. Das sind vielerorts quasi Dorf- und Kleinstadtorganisationen. Das ist ein sympathisches Erfolgsgeheimnis.
Die Freien Wähler treten zur Bürgerschaftswahl mit dem Slogan „Wir holen uns unsere Stadt zurück“ an. Das klingt ja so, als wenn jemand die Stadt gekapert hätte ...
... ja, genau so sehe ich das auch. Ich glaube, dass die Investoren die Stadt gekapert haben. Die Politik handelt wie auf Anweisung. Wir sind ja mit den „Bürgerinitiativen für eine menschengerechte A 281“, nachdem alle guten Worte und wohlmeinenden Auseinandersetzungen nichts gefruchtet haben, bis vor das Bundesverwaltungsgericht gezogen. Dort haben wir gewonnen.
Der Richter hat damals gesagt: Es widerspricht dem grundgesetzlich garantierten Demokratiegebot, wenn erst Pläne gemacht werden und dann die Stadt nachfolgt und einen Flächennutzungsplan oder einen Bebauungsplan darauf zuschneidet. Im umgekehrten Sinn heißt Demokratie:
Wir machen im Interesse der Bevölkerung über das Parlament einen Rahmen und innerhalb des Rahmens kann sich jeder einbringen. Aber nicht umgekehrt. Und dieses umgekehrte Prinzip sehe ich an allen Ecken und Enden. Ein gutes Beispiel dafür ist der Streit um die Platanen.
Der Bausenator sieht die Fläche als städtebauliches Potenzial. Dann hat der Senat überlegt, wie er das dem Volk am besten verkaufen kann – nämlich mit dem Hochwasserschutz. Nun ist es aber so, dass man Hochwasserschutz in städtischen Gebieten am besten mit einer Spundwand gewährleisten kann.
Und solche Sachen machen mich sauer! Auch deswegen, und damit komme ich auf Ihre Eingangsfrage zurück, tue ich mir das Ganze an.
Sie sind Architekt. Wie kann Bremen Wohnraum schaffen, ohne Grünflächen zu opfern?
Das ist natürlich eine zentrale Frage. Wir sehen ja auch, dass es einen großen Bedarf gibt. Wir haben dafür ein Konzept entwickelt. Das heißt: BoFF – Bauen ohne Flächenfraß. Wir denken etwa an Lückenbebauung, Aufzonung, Umnutzung und Überbauung. Zum Beispiel könnte der etwas trostlose Rembertikreisel mit einer Art Kappe überbaut werden.
Dann hat man einen Hügel und könnte eine Art Cinque Terre daraus machen. Der Verkehr fährt unten durch und oben entstehen Bauflächen. Der Fantasie sind eigentlich keine Grenzen gesetzt. Aber es fehlt an Fantasie in der Politik und in der Bauverwaltung.
Haben Sie denn als Kollege von Daniel Libeskind eine Meinung zu dessen Plänen am Brill?
Ich bin jemand, der sich zeitlebens für Fortschritt in der Architekturgestaltung eingesetzt hat. Aber ich habe etwas gegen Sensationsarchitektur. Damit ist, glaube ich, auch alles gesagt.
Vielleicht habe ich aber auch einen etwas konservativen Hang. Ein Charakteristikum von Bremen ist ja die typische Bauweise. Das ist nicht nur eine ästhetische Frage, das hat auch etwas Stadtsoziologisches.
Früher haben in diesen Bremer Häusern Arm und Reich nebeneinander gelebt. Heute sprechen wir von Spaltung der Stadt: Die wird durch solche Planungen vorangetrieben. Nehmen Sie das geplante Hochhaus im Ostertor:
Es ist irgendwie ein Symbol. Die reichen Leute wohnen dann da oben und gucken auf die ärmeren runter. Ich sperre mich nicht gegen Investitionen. Aber wenn eine Stadt der Investoren-Mentalität zum Fraß vorgeworfen wird, dann ist bei mir Ende der Fahnenstange.
Wohnen ist ja irgendwie auch immer mit Verkehren verbunden. Die Freien Wähler fordern in ihrem Wahlprogramm eine „ideologiefreie Verkehrspolitik“. Das Aus für die Bevorzugung des Fahrrads?
Tatsächlich. Die Verkehrspolitik in Bremen ist meines Erachtens Klientelpolitik – und damit auch ideologisch. Die grünen Politiker setzen immer auf das nächst gelegene Pferd und das wird dann geritten, solange der Gaul durchhält.
Zuerst sollten die Straßen in Bremen mal in Ordnung gebracht werden. Und dann sollte nach vernünftigen Gesichtspunkten der Verkehr gelenkt werden. So müsste es ein viel besseres Park-and-Ride-System etwa für Berufspendler geben, um die City zu entlasten.
Sie sehen im öffentlichen Personennahverkehr also noch Luft nach oben?
Ja, ich gehöre nicht zu denen, die meinen, der ÖPNV müsste umsonst sein. Aber vielleicht könnten Kinder umsonst fahren, damit nicht alle individuell zur Schule gebracht werden müssen. Vielleicht wäre es auch sinnvoll, die Preise etwas günstiger zu machen. Die Straßenbahnen müssten in kürzeren Zeittakten fahren. Ich kenne viele Menschen, die wollen nicht im Regen oder Schneegestöber stehen, weil die nächste Straßenbahn erst in 20 Minuten kommt.
In den jüngsten Umfragen kommen die nicht in der Bürgerschaft vertretenen Parteien zusammen nur auf rund vier Prozent der Stimmen. Das deutet darauf hin, dass die Freien Wähler an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern könnten. Wie sehen Sie Ihre Chancen?
Laut internen Umfragen anderer Parteien sind es mehr. Ich halte es nicht für unmöglich, dass wir über die Fünf-Prozent-Hürde kommen. Mich sprechen sehr viele Leute auf die Freien Wähler an.
Allerdings gibt es ein problematisches Erbe. Es gab früher bereits zwei Gruppen, die sich als Freie Wähler bezeichnet haben. Eine davon war sehr populistisch ...
... knallrechts. Mit denen werden wir leider oft verwechselt. Die Gruppe gibt es überhaupt nicht mehr, aber sie hat noch alte Seiten im Internet stehen. Wir versuchen, die Angelegenheit rechtlich zu klären, was aber nicht so ganz einfach ist.
Wer ist denn Ihr Hauptkonkurrent im Wahlkampf?
Bei der CDU scheint das Programm sehr flexibel zu sein. Die sind ja auch bei der Galopprennbahn gleich auf den Zug aufgesprungen – in unserem Sinne. Die SPD hingegen versucht jetzt eine große Kampagne dagegen zu machen, indem sie ihre ganzen Vorfeldorganisationen einspannt.
Und die Grünen erzählen immer viel und machen dann leider das Gegenteil davon. Wir haben unser Gegenprogramm zu den Programmen der etablierten Parteien. AfD und Bürger in Wut haben ja gar kein kommunalpolitisches Programm. Abgesehen davon, dass mir deren Richtung ohnehin nicht passt.
Das Gespräch führte Norbert Holst.
Olaf Dinné (83) ist Spitzenkandidat der Freien Wähler für die Bürgerschaftswahl. 1979 holte Dinné einen von vier Sitzen für die Bremer Grüne Liste in der Bürgerschaft. Sie waren die ersten Grünen in einem deutschen Landtag überhaupt.