Per Haftbefehl wird jetzt ein 22-jähriger Angeklagter gesucht, der am Mittwoch im Verfahren um eine tödliche Messerattacke im Steintor nicht vor dem Bremer Landgericht erschienen ist. Der bislang auf freiem Fuß befindliche Tschetschene hatte nach Angabe der Verteidigung sein Schweigen brechen wollen. Noch am Dienstag hatte er bei einem Telefonat mit dem Dolmetscher seine Anreise aus Hamburg angekündigt.
Seine Anwältin kann sich sein Fernbleiben nicht erklären. Bisher sei der Mann „sehr, sehr zuverlässig“ gewesen, sagte Britta von Döllen-Korgel. Dem Vorsitzenden Richter Jens Florstedt platzte dennoch der Kragen. Weil das Verfahren in Abwesenheit des Mannes schwerlich fortzusetzen sei, gab er dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Haftbefehls statt.
Mutmaßlicher Mörder konnte zunächst entkommen
Bei dem Mordprozess geht es um eine Bluttat im November 2017. Der 22-Jährige war damals mit einem 24-jährigen Landsmann im Viertel unterwegs gewesen. Weil der Hauptangeklagte sich durch die Aussage eines pakistanischen Imbissangestellten über seine Lebensgefährtin („schöne Frau“) beleidigt fühlte, fügte einer der beiden Tschetschenen dem Mann mit einem Messer schwere Verletzungen zu. Auf der Flucht stellte sich ihnen ein pakistanischer Arbeitskollege des Opfers in den Weg – das kostete ihm das Leben, er starb noch am Tatort an einem Messerstich ins Herz.
Der mutmaßliche Mörder konnte zunächst entkommen, wurde dann aber im Mai 2018 in Polen verhaftet. Sein aussagewilliger Begleiter hatte sich bereits im Dezember 2017 in Hamburg der Polizei gestellt. Dort lebt er bis heute in einer Flüchtlingsunterkunft. Anfangs hatten die beiden Angeklagten die Aussage verweigert, doch am zweiten Prozesstag stellte die Verteidigung einen Sinneswandel für diesen Mittwoch in Aussicht.
Als Grund für seine Abwesenheit kommen Orientierungs- und Sprachprobleme offenbar kaum in Betracht. Der Mann ist schließlich schon mehrfach in Bremen gewesen. Auf seine bisherige Kooperation mit den Behörden wies seine Verteidigerin hin. „Deshalb macht es keinen Sinn, dass er nicht kommt“, sagte Döllen-Korgel. Die Juristin vermutet, es müsse etwas Unvorhersehbares passiert sein. Womöglich mit seinem schwerkranken Bruder, einem Epileptiker. In „höchstem Maße irritiert“ zeigte sie sich darüber, dass ihr Mandant auch telefonisch nicht erreichbar war. Ihre Schlussfolgerung: „Ihm muss das Telefon abgenommen worden sein.“
Noch nicht einmal die Staatsanwaltschaft ist sich sicher, ob der 22-Jährige der Verhandlung absichtlich ferngeblieben ist. Gleichwohl beantragte die Verfolgungsbehörde einen Haftbefehl, um die Anwesenheit des Mitangeklagten beim nächsten Prozesstermin sicherzustellen.
Umfangreiches Beweisprogramm
Begonnen hatte die Verhandlung gegen die beiden Männer am 13. November. Bereits der zweite Prozesstag am 3. Dezember stockte, weil ein Zeuge sich nicht blicken ließ. Nachdem am Mittwochmorgen alle Versuche scheiterten, den Mitangeklagten doch noch ausfindig zu machen, zog der Vorsitzende Richter die Konsequenzen. Dabei führte er auch den immensen Aufwand des Prozessgeschehens ins Feld. Für den nun geplatzten Verhandlungstermin waren unter anderem zwei Zeugen aus Brandenburg geladen. "Es kann nicht angehen, dass die Hauptverhandlung, nachdem sie sich schon beim letzten Termin verzögert hat, heute gar nicht begonnen werden kann“, so die verärgerte Reaktion von Florstedt.
Für den weiteren Verlauf der Verhandlung kündigte der Richter ein umfangreiches Beweisprogramm an, bisher sei es „sehr rudimentär“ gewesen. Der Prozess wird am Freitag, 21. Dezember, um 9 Uhr fortgesetzt.
++ Der Artikel wurde am 13. Dezember 2018 aufgrund einer ungenauen Formulierung überarbeitet. ++