Wie fast alle anderen Bundesländer erlebt auch Bremen einen Baby-Boom. Im vergangenen Jahr sind nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes über 7000 Kinder in Bremer und Bremerhavener Krankenhäusern geboren worden. Auch für dieses Jahr sieht es danach aus, dass diese Marke wieder erreicht wird: Die Geburtskliniken der Bremer Krankenhäuser melden bereits jetzt erste Halbzeit-Rekorde.
„Das freut uns natürlich sehr, dass so viele Kinder zur Welt kommen“, sagt Heike Schiffling. Die Vorsitzende des Landesverbandes der Hebammen in Bremen weist angesichts der steigenden Geburtenzahlen auf eine Versorgungslücke hin, die es bereits seit Langem in Bremen gebe: „Die Versorgung von psychisch erkrankten Frauen rund um die Geburt ist in Bremen schlecht. Es gibt keine stationären Angebote, wo Mütter gemeinsam mit ihren Säuglingen aufgenommen werden können“, kritisiert die Hebamme. Auch die ambulante Betreuung für die Mütter, die an sogenannten peripartalen Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen sowie Psychosen leiden, sei nicht ausreichend vorhanden. Sie benötigten sofort Hilfe und könnten nicht Wochen oder sogar Monate auf einen Platz für eine Psychotherapie warten.
Von diesen drei Erkrankungsbildern rund um die Geburt (peripartal) sind nach Angaben der Bremer Hebammen-Vorsitzenden vier bis 20 Prozent der Frauen, die ein Kind bekommen haben, betroffen. „Die schlechte Versorgungslage war in Bremen schon immer ein Problem. Bis vor einiger Zeit gab es eine improvisierte Unterstützung für die Frauen und ihre Kinder am Klinikum Bremen-Nord. Allerdings hing das an Einzelpersonen, die sich engagiert haben und jetzt nicht mehr da sind. Das hat funktioniert, aber ein richtiges Konzept gab es nicht.“
Betroffene Frauen seien mit ihren Säuglingen auf der Gynäkologie oder der Wöchnerinnenstation des Krankenhauses im Bremer Norden aufgenommen und von der Hauspsychologin der Frauenklinik sowie der Psychiaterin betreut worden. Diese improvisierte Möglichkeit gebe es aber nicht mehr. Das Klinikum Bremen-Ost nehme Wöchnerinnen nur ohne Säuglinge und Begleitung wie etwa Partner auf. Schiffling: „Die Betreuung im Klinikum-Ost ist auch nicht auf die Bedürfnisse einer jungen Familie in dieser Situation eingestellt. Ergotherapie und Maltherapie sind nicht das, was die Frauen dann vorrangig brauchen.“ Hilfreicher wäre die Begleitung der Interaktion zwischen Mutter und Kind, das Arbeiten an Rollenbildern, das Verstehen der kindlichen Signale.
"Es gibt keine stationären Angebote"
„Wir haben versucht, Mütter mit ihren Säuglingen für ein paar Tage in Oldenburg unterzubringen“, sagt die Verbandsvorsitzende. Oldenburg sei der einzige Standort in der Nähe, wo die Kinder mit aufgenommen werden. Aber auch dort seien die Kapazitäten beschränkt.
Als Reaktion auf die Situation haben sich Psychiater, Psychologen, Frauenärzte, Hebammen und Beratungsstellen in Bremen vor einem Jahr zum „Netzwerk seelische Gesundheit rund um die Geburt“ zusammengeschlossen. Sie fordern ein Versorgungskonzept und eine Einrichtung für Frauen mit peripartalen psychischen Erkrankungen. „Sinnvoll wäre eine Tagesklinik mit mehreren Plätzen, das wäre völlig ausreichend – aber dringend notwendig als stationäres Angebot. Andere Städte wie Hamburg haben mit diesem Modell sehr gute Erfahrungen gemacht“, betont Schiffling. „Für eine Stadt wie Bremen mit dieser Größenordnung ist es arm, dass es solche spezialisierten Angebote nicht schon längst gibt.“
Ein guter Standort für eine Tagesklinik wäre aus Sicht des Netzwerks eine Anbindung an die Kinder- und Jugendpsychiatrische Tagesklinik in Bremen-Nord. Eine weitere Forderung: Auch der schnelle Zugang zu einer ambulanten Betreuung bei Psychotherapeuten müsse dringend verbessert werden. Schiffling: „Es gibt einige Psychotherapie-Praxen, die die Frauen akut aufnehmen, aber das reicht nicht aus. Das müssten mehr sein."
Der sogenannte Baby-Blues, ein Stimmungstief wenige Tage nach der Geburt, ist nach Angaben der Hebamme nicht das Problem, um das es gehe. Er halte meist nur ein paar Tage an, danach sei die Welt von Mutter und Kind in der Regel wieder in Ordnung. "Kritisch wird es, wenn die depressiven Symptome anhalten, dann kann daraus eine ernst zu nehmende depressive Erkrankung mit schwerwiegenden Folgen für Mutter und Kind entstehen", warnt die Hebamme.
Eine postpartale Depression – auch Wochenbettdepression genannt – äußere sich unter anderem in der Unfähigkeit, positive Gefühle für das Kind zu entwickeln bis hin zur Gefühllosigkeit, Versagensängsten, Zwangsgedanken und tiefer Erschöpfung. "Langfristig können die Depressionen die Entwicklung kognitiver oder emotionaler Fähigkeiten des Kindes beeinträchtigen." Die Depressionen seien gut behandelbar, allerdings sei eine sofortige professionelle Hilfe notwendig.