Zweimal im Monat treten vor dem Bremer Dom zwei Profimusiker auf. Sie eine 32-jährige Sopranistin aus Argentinien, er ein 34-jähriger Tenor aus Brasilien. Wenn das Opernduo Klassiker wie „La Traviata“ oder „Nessun Dorma“ anstimmt, glockenhell, kraftvoll, dann bleiben Dutzende Passanten stehen. Mailen Bilezker und Murilo Sousa könnten nur in den größten Opernhäusern des Landes singen. Doch sie geben immer wieder Hutkonzerte zwischen Drogerien und Modeketten. In einer Welt, in der Emotionen in der Öffentlichkeit oft versteckt werden, bringen wir Gefühle auf die Straße, sagt Sousa.
Unterwegs sind die beiden in ganz Norddeutschland, oft als Opernduo, manchmal auch alleine, immer da, wo es sie gerade hinzieht und wo das Wetter mitspielt. Am vergangenen Dienstag haben die Hamburgerin und der Braunschweiger wieder in der Bremer Altstadt gesungen. Zweieinhalb Stunden um die Mittagszeit herum sind sie aufgetreten, jetzt sind sie erschöpft und hungrig, aber es bleibt Zeit für ein paar Fragen. Die wohl meistgestellte: Warum haben die beiden es nötig, auf der Straße zu singen?
Opernduo-Tenor Sousa wollte erst Heavy-Metal-Sänger werden
Während Bilezker in einen Wrap beißt, fängt Sousa an zu erzählen. Davon, wie er als Kind in seiner Heimatstadt nahe São Paulo zwar Geige lernte, später aber Heavy-Metal-Sänger werden wollte. Wie es dann auf einmal dieses geförderte Opernprojekt in der Stadt gab, er sich dem Chor dort anschloss und seine erste Gesangsausbildung erhielt. Dann das Studium und der Wunsch, in das „Hauptland für klassische Musik“ zu reisen: Deutschland. 2013 die Chance für einen Auftritt in Schleswig-Holstein. Acht der Ensemblemitglieder sind heute nach Deutschland ausgewandert. Murilo Sousa ist einer von ihnen und machte 2018 einen Master in Konzertgesang in Dresden. Aber warum die Straße?

Murilo Sousa und Mailen Bilezker lieben den Gesang, doch das Spiel, die Bewegungen gehören für sie genau so dazu.
Bilezker kaut, hört erst einmal nur zu, während Sousas Augen beginnen zu leuchten. Es sei seine Gesangslehrerin gewesen, ebenfalls Südamerikanerin, die ihm den Tipp gab, dass sich als Straßenmusiker gut Geld verdienen lasse. Sousa versuchte sein Glück, stellte sich in eine Berliner U-Bahn, fing an zu singen und war begeistert. Beim Blick auf die Einnahmen sei ihm ein Stein vom Herzen gefallen und er habe gemerkt: „Mein Leben ist sicher in Deutschland.“ Doch da war noch mehr.
Bremer Straßenmusiker erleben als Opernduo viele Emotionen
Wenn Murilo Sousa vom Singen spricht, dann spricht er von Emotionen. Er könne manche Lieder zehnmal am Tag singen und jedes Mal in Tränen ausbrechen, weil er so viel mit der Musik verbinde, sagt der Brasilianer und strahlt über das ganze Gesicht. Nicht nur er teile dann seine Emotionen, er blicke auch in die Gesichter der Menschen, sehe deren Begeisterung, ihre Tränen. „Ich bin verliebt“, schwärmt er über solche Momente.
Mailen Bilezker strahlt jetzt ebenfalls, nickt zustimmend und steigt in das Gespräch mit ein. „Manchmal ist das etwas sehr Tiefes für die Leute.“ Immer wieder würden Passanten die Tränen kommen, eine Frau habe sie umarmen wollen. Andere kämen mit dem Ohr ganz nah heran, weil sie nicht fassen könnten, dass der Gesang der beiden echt ist.
Sopranistin Bilezker: "Möchte diese Superpower auch haben"
Während sich Sousa in seiner Familie erst als Musiker beweisen musste und vorher eine Lehre als Elektriker abschloss, habe ihr Umfeld sie von Anfang an in der Musik unterstützt, erzählt Bilezker. Als junge Frau in Buenos Aires habe sie eines Tages eine Opernsängerin gehört und sofort gewusst: „Ich möchte das auch machen, ich möchte diese Superpower auch haben.“ Bilezker studierte Populäre Musik, wurde Teil der renommierten Operngesellschaft Juventus Lyrica, räumte mit ihrem Chor erste Preise ab, bis eine Freundin sie vor zwei Jahren nach Berlin holte. „Ich fühlte, dass ich das machen sollte. Ich bin meinem Herzen gefolgt.“
Mailen Bilezker zog nach Hamburg, dann folgte 2024 das wohl größte Engagement ihrer bisherigen Laufbahn: Sie wurde als Erste Sopranistin Teil von "Aida – Das Arena Opern Spektakel". Eine Tour durch sechs Städte, rund 30.000 Zuschauer, 200 Künstler auf der Bühne, und einer von ihnen: Murilo Sousa. In einer Pause beim Essen hätten sie sich kennengelernt. Vielleicht war es ein bisschen die südamerikanische Verbundenheit, geben die beiden grinsend zu. Aber eines war es bestimmt: die Begeisterung, als Sousa von der Straßenmusik erzählte.
Es gibt sie auch heute im Leben der beiden freiberuflichen Musiker, die Auftritte in der Elbphilharmonie, im großen Chor, im gefeierten Ensemble. Aber die Straßenmusik, der nahe Kontakt zu den Menschen, die Emotionen, das Reisen, die beiden wollen es nicht aufgeben. Murilo Sousa steckt gut die Hälfte seiner Zeit in Straßenmusik. „Meine Base“ nennt er diese besondere Bühne. „Wir wollen das wirklich, wir spüren dabei so viel. Unsere Seele lächelt die ganze Zeit“, strahlt er.