Über die Lebenssituation von Wohnungslosen gab es bisher keine belastbaren Daten. Menschen ohne eigene Wohnung seien ein blinder Fleck amtlicher Statistiken, kritisiert auch das Diakonische Werk Bremen. Um dies zu ändern, hat der evangelische Bundesfachverband Existenzsicherung und Teilhabe (Ebet) 2018 selbst eine Studie in Auftrag gegeben. Befragt wurden danach in allen Bundesländern 1135 Wohnungslose, die Diakonie-Hilfsangebote nutzen. Ein Ergebnis: 28 Prozent von ihnen befinden sich in einer schlechten oder sehr schlechten Lebenslage.
Gefragt wurde laut Diakonie in neun Sprachen und in 70 Einrichtungen, zum Beispiel Notunterkünften, Beratungsstellen oder Tagesstätten. Für die Studie von Ebet und der Berliner Alice-Salomon-Hochschule seien die Teilnehmer „anhand objektiver Kriterien“ nach sechs Lebenslagenbereichen befragt worden: materielle Situation, Erwerbsarbeit, Wohnen, Gesundheit, Sicherheit sowie Partizipation/soziale Netzwerke. Außerdem sollten sie ihre subjektive Einschätzung, ihre Zufriedenheit mit der eigenen Situation angeben. Dabei kam nach Diakonie-Angaben heraus, dass sich viele Befragte subjektiv belasteter einschätzen, als es „die objektivierbaren Daten hergeben“.
Objektiv befinde sich gut die Hälfte der befragten Wohnungslosen (52,2 Prozent) in einer mittleren Lebenslage, knapp ein Drittel in einer schlechten oder sehr schlechten Situation. Würden allein die subjektiven Einschätzungen berücksichtigt, seien hingegen mehr als 40 Prozent der Befragten in einer schlechten oder sehr schlechten Lebenslage.
Einen wichtigen Einfluss darauf haben der Studie zufolge das Sicherheitsgefühl, die Zufriedenheit mit der Übernachtungssituation und Zugang zu medizinischer Versorgung. Alles zusammen wirke sich entscheidend darauf aus, so Projektleiterin Professorin Susanne Gerull, ob das eigene Leben als sicher und berechenbar eingeschätzt werde.
Manfred Meyer, Vorstand des Diakonischen Werks Bremen, hält die Ergebnisse für alarmierend. Die Studie belege zudem, dass die individuellen Einschätzungen wohnungsloser Menschen beim Sprechen über Wohnungslosigkeit noch mehr berücksichtigt werden müssten. „Wohnungslosigkeit verletzt die Menschenwürde“, sagt der Landesdiakoniepastor. Gerade in Bremen mit einer Armutsquote von fast 25 Prozent könnten viele die steigenden Mieten nicht mehr bezahlen. „Bremen braucht dringend eine bessere, soziale Wohnungspolitik.“
Er finde es auch erschreckend, so Meyer, dass es zwar umfassende Statistiken zum Großteil der Bevölkerung gebe, „Wohnungslose aber immer wieder durch das Raster fallen“. So lässt sich auch ihre Zahl nur schätzen. In Bremen sollen etwa 500 bis 600 Menschen auf der Straße leben. Dabei gibt es aus Behördensicht genug Unterkünfte im Winter. Bremen sei mit einem flexiblen System gut aufgestellt, erklärte kürzlich ein Sozialressort-Sprecher. Es bestehe aus einer Kombination von Notunterkünften und kurzfristig angemieteten Plätzen in Schlicht-Hotels.
Wohnungslose können kostenlose Sprechstunden bei Ärzten besuchen
Zur medizinischen Versorgung können Wohnungslose in Bremen kostenlose Sprechstunden besuchen. So gibt es in der Stadt drei Anlaufstellen mit niedrigschwelligen Angeboten zur Notversorgung. Eine neue Einrichtung mit 28 Plätzen soll Wohnungslose mit psychischen Problemen aufnehmen.
Wohnungslosigkeit ist nicht gleich Obdachlosigkeit. Wer keine eigene Wohnung hat, kommt vielleicht bei Freunden und Bekannten unter oder in einem Heim, muss aber eventuell den Tag auf der Straße verbringen. Die Diakonie will nach eigenen Angaben jetzt regelmäßig Wohnungslose befragen, um auch Entwicklungen zu beobachten.