Für Daniel Libeskind hat Bauen viel mit Emotionen zu tun. „Es geht darum, im Innersten bewegt zu werden“, beschrieb der Architekt vor einigen Jahren seinen gestalterischen Kompass. Bei erstklassiger Baukunst spüre der Betrachter „ein Gefühl der Intensität, der Leidenschaft und der Auseinandersetzung, das uns tief bewegt.“ Architektur, die den Menschen bewege, sei in jedem Fall „mit Sorgfalt gebaut“.
Dass Libeskinds Entwürfe diese emotionale Kraft aufbringen, lässt sich in New York erleben und in Singapur, in Manchester, Toronto, Berlin oder Warschau. Nun gibt es neue Pläne aus seiner Hand für Bremen. Und auch hier dürfte es kaum jemanden unberührt gelassen haben, als Libeskind kürzlich seine kühne Vision für das Sparkassenareal am Brill vor Vertretern aus Politik und Wirtschaft vorstellte. Nicht wenige waren begeistert.
Libeskinds Bauten sind in mancher Hinsicht Antithesen zum gesichtslosen, austauschbaren Zweckbau unserer Zeit. Sie neigen zu Bedeutungsreichtum und machen aus ihrem moralischen Anspruch keinen Hehl – was ihnen bisweilen die Kritik einbrachte, metaphorisch überfrachtet zu sein. In jedem Fall ist es Architektur, die niemanden kalt lässt, niemanden kalt lassen soll.
Doch ausgerechnet die beiden Anwärter für Bremens Bürgermeisteramt in den nächsten vier Jahren scheinen sich in ihrem Urteil über den Libeskind-Entwurf einen Wettstreit in Schmallippigkeit zu liefern. Carsten Sieling (SPD) ließ sich gerade mal dazu hinreißen, sie „spannend“ zu finden. Nun soll alles geprüft und abgewogen werden, ein „Gestaltungsgremium“ den Fall übernehmen. Gute Reise auf dem Amtsweg! Ähnlich ungerührt sein Herausforderer: Eine „gute Grundlage für weitere Entwicklungen und Diskussionen“ seien die Pläne, ließ der CDU-Kandidat Carsten Meyer-Heder kühl verlauten.
Die Spitzenkandidaten gehen in Deckung. Fast scheint es, als habe man sich für ein Kartell der Unbestimmtheit zusammengetan. Ganz Bremen spricht über die vier Türme, die natürlich polarisieren, die viele faszinieren, angesichts ihrer Dimensionen manche abschrecken. Abgesehen vom ästhetischen Urteil gilt es, städtebauliche Richtungsentscheidungen zu treffen; etwa die, wie hoch und wie „ikonisch“ Bremen so nahe am historischen Zentrum bauen will. Was diejenigen darüber denken, die in der kommenden Legislaturperiode an der Spitze des Senats stehen wollen – die Bürgerinnen und Bürger erfahren es kurz vor der Wahl im Mai nicht oder nur andeutungsweise.
Diese Vagheit minimiert fraglos das politische Risiko. In welche Richtung die öffentliche Meinung mehrheitlich tendiert, ist kaum abzuschätzen. Bei Großbauten kann viel schiefgehen. Doch ist nicht bei einem solchen Leuchtturm-Projekt eine klare Haltung der politisch Handelnden vonnöten? Sollten sie nicht Orientierung geben? Haben die Wähler nicht das Recht zu erfahren, wie das Spitzenpersonal der Parteien dazu steht?
Sicher ist es bei solch spektakulären wie folgenreichen Plänen ein Gebot der Vernunft, erst nüchtern die Fakten abzuwägen. Auch mag es strategisch höchst ratsam sein, keine Freibriefe zu erteilen und sich als Stadt nicht vorschnell für Interessen eines Investoren einspannen zu lassen, von dem man Antworten auf viele Fragen erst noch erwartet.
Großartiges Bauen ist aber ohne klare politische Führung nicht möglich – und nicht ohne Mut. Das zeigt das Beispiel Hamburg, so sehr sich das städtische Projekt Elbphilharmonie grundlegend von den Brill-Plänen unterscheiden mag. Die wagemutige Idee, ein Konzerthaus auf einem ausgedienten Kaispeicher zu errichten, wäre chancenlos geblieben, hätte sie der damalige Bürgermeister Ole von Beust nicht irgendwann zu seinem Projekt gemacht, das er mit tiefer Überzeugung verfolgte. Was davon bleibt, ist nicht die verunglückte Baugeschichte, sondern Architektur für Jahrhunderte.
Natürlich kann öffentliches Bauen in einer demokratischen Gesellschaft nicht der „ordre du mufti“ folgen. Auch städtebauliche Entscheidungen müssen legitimiert sein. Legitimation zu schaffen, ist aber eine politische Aufgabe, wo Amtsträger von der Richtigkeit überzeugt sind. Rund um den Globus träumen Bürgermeister von der Chance, in ihrer Metropole einen Libeskind-Bau ermöglichen zu können. Sie ist es wert, mit Verve dafür zu streiten, dass sich praktische Probleme lösen lassen, offene Fragen klären, bestehende Zweifel ausräumen, und, wenn nötig, Mehrheiten zustande kommen. Das Mindeste aber ist es, eine sehr klare Position zu beziehen, ob Bremen sie wahrnehmen will oder nicht.
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