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Ausstellung in der Neustadt Lebenslust und Humor: Senioren-Fotos brechen mit Schönheitsidealen

Ein Fotoprojekt in der Bremer Neustadt rückt ältere Menschen in ein neues Licht. Mit Humor und Lebenslust posieren sie vor der Kamera. Abseits gängiger Schönheitsideale entstehen authentische Proträts.
26.05.2025, 05:00 Uhr
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Von Silja Weißer

Die Schnute spitzen, den Kopf schräg legen und schnell ein Selfie machen. Für diejenigen, die mit Handy aufwachsen ist das fast schon Alltag. Fotograf Benjamin Eichler hält Menschen einer Generation in Bildern fest, die sich weniger mit Selbstinszenierung beschäftigen. Den Kontakt zu seinen Models knüpfte er über Oliver Wehner, Gründer des Senioren-Betreuungsdiensts Helper. Von ihm stammt auch die Idee, Frauen und Männer älteren Semesters kunstvoll in Szene zu setzen. Unkonventionell, ab von gängigen Schönheitsidealen stellen sie sich dem Spiel mit der Kamera. Das Ergebnis ist noch bis Mitte Juni im Studio Seitling in der Neustadt zu sehen. Hier hängen großformatige Fotografien in den Fenstern und an den Wänden des Cafés und Kochstudios.

Fotograf Eichler hält nicht zum ersten Mal eine Kamera in der Hand. Der 36 Jahre alte Neustädter hat Internationale Fachjournalistik studiert und veröffentlichte unter anderem für Amnesty International, in der „Süddeutschen Zeitung“, „Zeit“, in der „Taz“ und produzierte für Netflix. Fünf betagte Damen und Herren aus der Neustadt, Walle, Woltmershausen und Findorff posierten für ihn vor schlichtem, dunkelgrauen Hintergrund. Mit dunkel lackierten Fingernägeln hält eine Seniorin eine Diskokugel in die Höhe. Auf einem anderen Bild präsentiert ein älterer Herr mit weißem Rauschebart stolz mit offenem Hemd seinen Bauch, ein untrainiertes One-Pack, das ebenso authentisch wirkt wie sein Lächeln. Die Zigarette im Mundwinkel, der Hut auf dem Kopf blickt er dem Betrachter selbstbewusst entgegen. Ebenso frech gibt sich eine Seniorin, die dem Betrachter die Zunge rausstreckt. Ihre bunte Jacke und Sonnenbrille signalisieren, dass Modemut kein Alter hat.

Geschäfte stellen kostenfrei Dienstleistungen zur Verfügung

Eine reiche Auswahl an Kleidung stand den Senioren im gegenüberliegenden Secondhand-Laden Defibrillator zur Verfügung. Das Geschäft war mit von der Partie und stellte kostenlos die Ausstattung sowie ihren Raum als Fotostudio zur Verfügung. Styling und Make-up übernahm der benachbarte Salon Zwei Stühle.

Etwas ausprobieren und experimentieren ist Teil des Projekts, von dem sich Wehner erhofft, ältere Menschen aus einer verstaubten Nische zu locken, in die sie die Gesellschaft stellt. „Und wir wirken einem der größten Probleme, der Einsamkeit in der Generation, entgegen“, freut sich der Initiator mit Blick auf einige Mitwirkende, die bei der Vernissage zusammensitzen und mit Gästen plaudern. Interessiert und stolz schweift der Blick immer wieder ab zu den Porträts.

Ein bewegtes Leben

Beim Anblick einer Seniorin mit geblümtem Jackett und frechem Kurzhaarschnitt, die sich offensichtlich köstlich amüsiert, zieht jedermann unwillkürlich die Mundwinkel hoch. Die Augen der Porträtierten sind zusammengekniffen. Die Falten auf der Nase kräuseln sich und bilden um die Augenwinkel ein feines Geäst. Ihr Alter ist ebenso offensichtlich im Bild festgehalten wie ihre Vitalität, Lebenslust und der Humor.

Was so alles in ihr steckt, hat Waltraud Schultz durch das Shooting entdeckt. Die 83-jährige, drahtige Frau aus der Neustadt ließ sich in ihrer alten Lederjacke ablichten. „Die habe ich aus Italien und die ist mindestens schon 50 Jahre alt“, erzählt sie und fügt verschmitzt lächelnd hinzu: „Was die schon alles erlebt hat?“ Nicht nur die Kleidungsstücke, auch ihre Trägerin blicken auf bewegte Lebenswege zurück. 14 Aufnahmen seien von ihr gemacht worden. Schultz hat sie genau mitgezählt. Drei Fotografien, die ihr der Fotograf geschenkt hat, hängen nun als Andenken an das außergewöhnliche Erlebnis in ihrer Wohnung. Sie würde jederzeit wieder als Modell posieren, schwärmt Schultz von der Aktion.

Der Fotograf hat gestaunt. Ich sei ein Naturtalent.
Wolfgang Grolewsky

Auch Wolfgang Grolewsky aus Findorff hatte sichtlich Spaß am Shooting. Da solle noch mal einer behaupten, dass alte Leute nicht spontan sind, witzelt er. Der 76-Jährige stand nicht zum ersten Mal im Rampenlicht. Als Laienschauspieler steht er so manches Mal auf der Bühne. „Der Fotograf hat gestaunt. Ich sei ein Naturtalent“, berichtet er.

Der Tag des Shootings sei für alle Teilnehmer etwas Besonderes gewesen, freut sich Tina Küchenmeister, Wehners Verlobte und zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit bei Helpers. Es sei berührend gewesen mitzuerleben, wie sehr sie in der neuen Rolle aufgeblüht seien und mit Stolz ihre Persönlichkeiten vor der Kamera präsentierten. Mit Sicherheit folgten in Zukunft weitere Kunstprojekte.

Für Seitling-Inhaberin Marie Liedtke ist die Ausstellung die erste Schau in ihren Räumen. „Aber nicht die letzte“, wie sie betont.

Info

Zu sehen sind die Fotografien noch bis zum 15. Juni im Studio Seitling, Am Neuen Markt 14, dienstags bis donnerstags von 12 bis 14.30 Uhr.
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