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Tobias-Schule Bremen Eine einzigartige Konstruktion

EIn besonderer higucker, der etwas versteckt liegt. 1790 entstand sie auf dem Landgut eines Bremer Senators, nun gehört die zur Tobias-Schule: Diese denkmalgeschützte Orangerie.
17.08.2018, 16:35 Uhr
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Von Maren Brandstätter

Dieter von Glahn dreht am Rad. Leicht ist es nicht, den riesigen Zahnkranz aus Metall mit der Kurbel in Bewegung zu bekommen, das sieht man dem Geschäftsführer der Tobias-Schule an. Knarzend dreht sich der knapp zehn Meter lange Balken, an dem das Rad befestigt ist, um die eigene Achse. Mehr als ein Dutzend gespannte Seile sind an dem Balken befestigt und beginnen, sich langsam aufzuwickeln. Das genügt zur Demonstration. Wofür die gut ist, kann man hier oben auf dem Dachboden der schuleigenen Orangerie ohnehin kaum sehen. „Die Seile bewegen die Holzläden, mit denen die Fenster der Orangerie abgedeckt werden können“, erklärt von Glahn. Ähnlich verhält es sich mit den unzähligen kurzen Holzpflöcken oberhalb des Balkens, um deren Mitte je ein Seil geknotet ist – mit dieser Vorrichtung lassen sich die einzelnen Fenster unten in der Orangerie aufkurbeln.

„Eine raffinierte Mechanik“, sagt Rolf Kirsch. Die Konstruktion aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert gelte bundesweit als einzigartig. Kirsch ist Mitarbeiter beim Landesamt für Denkmalpflege. Hier ist die Orangerie seit 1982 als schutzwürdig gelistet. Besonders sei an dem Bau nicht nur die ausgeklügelte manuelle Lüftungs- und Beschattungsanlage, sondern auch die sogenannte Kehle – der abgerundete Übergang von der Mittelwand des Glashauses zur Decke, der wahrscheinlich der besseren Entlüftung gedient habe.

Den acht Weinreben, die im vorderen Teil der Orangerie bis unter das Glasdach ranken, hat die Kehle in diesem Sommer allerdings wenig genützt. Fast alle Trauben sind vertrocknet. In den Sommerferien müssen die Pflanzen weitestgehend alleine klarkommen, sagt von Glahn. „Die Eltern organisieren für die Ferien schon die Betreuung unserer Schulhühner“, erzählt er. Regelmäßiges Bewässern in der Orangerie sei obendrein ein bisschen zu viel verlangt. „Die Weinreben selbst haben mit ihren sieben Meter langen Wurzeln keinen Schaden genommen“, sagt er. „Wir müssen in diesem Jahr lediglich auf die Ernte verzichten.“

Eine weitere Besonderheit der Orangerie ist die Mixtur aus klassischem Glashaus auf der Südseite und dem gemauerten Nordflügel, der als Gartenwirtschaftsraum diente. Hier dominieren heute riesige Holzregale mit unzähligen Gummistiefeln aller Farben und Größen das Bild – es ist das Domizil der Werkgruppe Gartenbau, die hier sämtliche Utensilien für die Gartenarbeit lagert. Hinter einer Holztür verbirgt sich in drei Metern Tiefe der alte Koksofen, der die Temperatur in der Orangerie seinerzeit für die exotischen Exponate im erträglichen Rahmen gehalten hat. Eine zweite Holztür führt in einen Raum, in dem früher der Gärtner wohnte: Zwölf Quadratmeter ohne jeglichen Luxus mit einer Bettnische hinter der Schranktür.

Die Orangerie entstand um 1790 auf dem Landgut des Bremer Senators Engelbert Wichelhausen (1748-1819), berichtet Rolf Kirsch. Wichelhausen hatte das Anwesen 1788 von Senator Christian Nicolaus Schöne übernommen und begann alsbald mit der Anlage eines Landschaftsparks. Von Wichelhausen ging das Landgut auf Justin Friedrich Wilhelm Iken (1726-1805) und seine Familie über, aus deren Epoche dem Landgut bis heute der Name Iken-Hoff anhaftet. Durch Besitzteilung zwischen zwei Enkeln zerfiel das Landgut Ende des 19. Jahrhunderts in zwei Hälften. Die südliche Hälfte, in der die Orangerie als einziger Bau des alten Iken-Hoffs erhalten blieb, wurde 1894/95 für die Familie Hasse mit einem neuen Landhaus im englischen Stil bebaut, der heutigen Tobias-Schule.

Neben der Gartenbaugruppe nutzen Schüler und Lehrer die Orangerie hin und wieder für Feste. „Das ist zwar immer etwas aufwendig, da man jedes Mal Tische und Stühle herschaffen muss, aber dafür bietet das Glashaus eben auch ein ganz besonderes Flair“, sagt von Glahn. Der mittlere Teil des Glasbaus diente den Besitzern einst im Sommer als Freisitz. Laut Kirsch ließ sich hier nämlich nicht nur das Glasdach mit dem ausgefeilten Dreh-Mechanismus auf dem Dachboden einfahren, auch die senkrechten Glaswände ließen sich abbauen. Somit hatten die Besitzer einen beschaulichen Platz unter freiem Himmel mit Blick auf den See, den die Sommerhitze in diesem Jahr nahezu komplett ausgetrocknet hat.

Heute dient der Freisitz von einst weniger der Gemütlichkeit, sondern vor allem dem sportlichen Vergnügen. „Wir üben hier mit den Schülern Bogenschießen“, erzählt von Glahn. Damit das denkmalgeschützte Gebäude keinen Schaden nimmt, wird ein spezielles pfeilsicheres Netz hinter den Zielscheiben gespannt, bevor sich die Mädchen und Jungen in Treffsicherheit üben dürfen.

Trotz des besonderen Flairs und ihrer Einzigartigkeit bringt die Orangerie auch ein gewisses Maß an Problemen mit sich. Ihre Instandhaltung geht ins Geld. Geld, das der Schulverein eigentlich nicht hat. „Wir kommen als freie Förderschule gerade so über die Runden“, sagt von Glahn. Geld für Sanierungsarbeiten sei im Grunde keines über. Dabei zeigt sich der Bedarf an mehreren Stellen deutlich. Probleme verursachten vor allem die Fenstereinfassungen, sagt der Geschäftsführer. Denn die sind nicht aus Metall, sondern aus Holz und entsprechend witterungsanfällig. Zwar gebe es hin und wieder einen Zuschuss vom Amt für Denkmalpflege, „aber der deckt den tatsächlichen Bedarf längst nicht“. Ein bis zwei Künstler stellen darüber hinaus pro Jahr in der Orangerie ihre Arbeiten aus. „Dafür nehmen wir 150 Euro – das reicht höchstens für ein bisschen Farbe“, sagt von Glahn. Seine Hoffnung wäre deshalb eine Patenschaft für die Orangerie. „Wenn es eine Firma oder auch Privatpersonen gäbe, die uns bei der Instandhaltung unterstützt - das wäre eine tolle Sache“, sagt er. „Es wäre enorm schade, wenn sich die Orangerie nicht erhalten ließe.“

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