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Erfolgsprojekt in Armutgebiet Kattenturm: Hilfe für alleinerziehende Frauen steht vor dem Aus

Alleinerziehende Frauen aus Kattenturm finden im Frauenkreativlabor Unterstützung für ihren Einstieg ins Berufsleben. Das Projekt hat Erfolg. Warum der Stadtteil trotzdem kämpfen muss, um das Aus zu verhindern.
06.11.2023, 05:00 Uhr
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Kattenturm: Hilfe für alleinerziehende Frauen steht vor dem Aus
Von Karin Mörtel
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Was hat Nähen mit dem Einstieg ins Berufsleben zu tun? Eine ganze Menge, findet Annette Felgenhauer, die das Frauenkreativlabor "Freiraum" in Kattenturm leitet. Es ist ein Modellprojekt, in dem die Teilnehmerinnen Nähen und Designen lernen – und dabei Selbstvertrauen tanken, sich auch außerhalb der Familie weiterzuentwickeln. Es spricht zugewanderte Frauen und Alleinerziehende an, die auf den bisher üblichen Wegen nicht erreicht werden konnten, um sie ins Arbeitsleben zu integrieren.

Der Erfolg des Projektes ist weithin anerkannt. Trotzdem steht das Frauenkreativlabor nun wegen Geldmangel kurz vor dem Aus. Die Beteiligten und die Stadtteilpolitik wollen aber für den Erhalt des Hilfsangebotes im Armutsquartier kämpfen.

Welche Hilfe bekommen die Frauen?

Die gemeinnützige Gesellschaft Quartier bietet im Frauenkreativlabor Migrantinnen und Alleinerziehenden aus Kattenturm Hilfe beim Ankommen in der Gesellschaft an. Und unterstützt diejenigen, die noch keine Idee haben, wie sie ihr eigenes Geld verdienen können. Ohne Druck und Sanktionen. Dafür mit umso mehr Raum für die persönliche Entwicklung jeder einzelnen Teilnehmerin. Es geht um Integration und soziale Teilhabe und die Hoffnung, dass die Frauen langfristig auch eine Arbeitsstelle finden.

Zentraler Baustein des Projekts ist eine verlässliche Kinderbetreuung, ohne die für Alleinerziehende überhaupt nichts in Richtung Weiterbildung funktioniert. Und Kitaplätze fehlen in Kattenturm, einige der Teilnehmerinnen haben keinen für ihre Kinder bekommen, berichten sie.

Vormittags nähen und designen die Frauen gemeinsam mit professionellen Designerinnen, nachmittags ist Zeit für Beratungsangebote und Deutschkurse, die auch weitere Frauen aus dem Stadtteil wahrnehmen können. Probleme mit Vermietern, dem Jobcenter, der Suche nach einem Kindergartenplatz und mit Behördenpost werden dort geklärt.

Was sagen die Teilnehmerinnen?

Lucy Afriyie ist alleinerziehend und bring täglich ihr jüngstes von vier Kindern mit in die Werkstatt. Vor acht Jahren ist sie aus Ghana nach Deutschland gekommen und lebt seitdem in Kattenturm. "Aber erst hier im Projekt habe ich besser Deutsch gelernt, und ich kann mir jetzt Kleider nähen und die Anziehsachen meiner Kinder reparieren", berichtet sie stolz.

Sie will demnächst einen offiziellen Deutschkurs besuchen "und danach eine Ausbildung anfangen", sagt die 41-Jährige. Ein Plan, der für sie vor zwei Jahren noch in unerreichbarer Ferne war. "Das Frauenkreativlabor darf nicht schließen, das wäre schrecklich für uns in Kattenturm", sagt sie und die anderen Frauen in der Werkstatt stimmen ihr wortreich zu.

Welchen Erfolg hat das Hilfsangebot?

"Es geht darum, die Frauen zu stärken und erst mal aus ihrem häuslichen Umfeld herauszuholen – neudeutsch geht es um Empowerment", sagt Annette Felgenhauer. Die Teilnehmerinnen sollen ihre Stärken kennenlernen und eine stabile Tagesstruktur bekommen "auch als Vorbild für die Kinder, die sehen, Mama geht arbeiten", sagt Felgenhauer.

70 Frauen hat sie in den vergangenen fünf Jahren begleitet. "Und ich bin stolz darauf, dass viele davon eine Ausbildung begonnen oder eine Arbeit gefunden haben", sagt Felgenhauer.

Die meisten haben für sich Jobs aus den Bereichen Pflege und Kinderbetreuung gewählt – und seit Kurzem gibt es eine neue Straßenbahnfahrerin für Bremen, die zuvor das Frauenkreativlabor besucht hat.

Warum droht das Aus für das Frauenprojekt?

Das Projekt sorgt also in Zeiten des Fachkräftemangels dafür, dass Frauen den Schritt in die Berufstätigkeit wagen, die sich das alleine womöglich nie zugetraut hätten. Eine Leistung, die auch die Senatorin für Arbeit, Soziales, Jugend und Integration als "wertvoll" bezeichnet, lässt Claudia Schilling (SPD) übermitteln.

Finanziert wurde das Projekt in Kattenturm sowie ein ähnliches Schwesterprojekt in Blumenthal bisher aus dem Europäischen Strukturfonds und aus Landesmitteln. Doch Modellprojekte sind darauf ausgelegt, irgendwann zu enden, in Kattenturm passiert das Ende des Jahres. Wenn sie sich bewähren, muss Geld für eine langfristige Finanzierung aus anderen Quellen her. Aber genau das ist momentan nicht in Sicht.

Miete, Kinderbetreuung, Beratung und die Arbeit in der Werkstatt in Kattenturm benötigen etwa 260.000 Euro pro Jahr. Geld, das nicht aus den Haushaltsmitteln der Arbeitsbehörde aufzubringen ist, heißt es aus dem Ressort. Zwischenzeitlich hatte auch der Beirat Obervieland einstimmig mit einem Haushaltsantrag die Senatorin für Arbeit aufgefordert, das Projekt auch über das Jahresende hinaus weiter zu finanzieren.

Die einzige Möglichkeit ist aus Sicht des Arbeitsressorts der Übergang des Projekts in eine Förderung der Agentur für Arbeit beziehungsweise der Jobcenter. So sei es für das Projekt „Freiraum“ beabsichtigt gewesen, schreibt eine Behördensprecherin. Die Gesellschaft Quartier habe jedoch abgelehnt.

"So hätten wir eventuell unsere Leute und die Räume weiterfinanzieren können", bestätigt der Geschäftsführer von Quartier, Christian Psioda. Die Sache habe nur einen Haken: "Wir erreichen mit zugewiesenen Maßnahmen des Jobcenters dann nicht mehr die Frauen, die heute freiwillig zu uns kommen können", so Psioda.

Der dadurch entstehende Druck auf die Teilnehmerinnen entspreche nicht dem Konzept des Angebots „Freiraum“. "Denn unsere Niedrigschwelligkeit ist ja genau das Erfolgsgeheimnis unseres Projekts", sagt der Geschäftsführer.

Gibt es noch Hoffnung auf eine Weiterfinanzierung?

Christian Psioda wünscht sich, dass der Bund in Zukunft etwas flexibler wird in der Frage, für welche Art von Projekten arbeitsmarktrechtliche Fördermittel des Jobcenters ausgegeben werden dürfen. Denn die würden ja häufig in Bremen nicht in vollem Umfang abgerufen. "Da würde ich mir mehr Kreativität wünschen", so Psioda.

Bis dahin hoffe er, "dass wir vielleicht doch noch eine Lösung hinbekommen, indem mehrere Ressorts in Bremen sich an der Finanzierung beteiligen, um das Projekt abzusichern", so Psioda. Im November werde es dazu ein Gespräch in der Senatskanzlei geben.

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