- Wie drastisch ist die Lage in Bremen?
- Wann ist ein Mensch armutsgefährdet?
- Was hat Bremen bisher gegen Armut unternommen?
- Was fordern Betroffene und Experten von der Politik?
- Warum ist die Armut in Bremen trotz zahlreicher Förderungen so groß?
- Wie groß ist die soziale Ungleichheit in Bremen?
- Gibt es auch Hoffnungsschimmer?
- Wo Kinder sich künstlerisch ausprobieren können – trotz Armut
- Ein Ort für alle Menschen: Das Café Schweizer Viertel
Armut ist in Deutschland auf einem traurigen Rekordhoch. Jüngst hat der Paritätische Wohlfahrtsverband die Armutsquote für 2021 nach oben korrigiert. Für mehr als 14 Millionen Menschen ist Armut demnach Teil des Alltags. Der WESER-KURIER hat sich die Lage in Bremen genauer angeschaut. Was Sie über das Thema wissen müssen: ein Überblick.
Wie drastisch ist die Lage in Bremen?
Die bereits sehr hohen Armutsquoten im Land Bremen sind weiter in die Höhe geklettert. Über 28 Prozent der Bremer und Bremerinnen sind von Armut bedroht. Noch härter traf es Minderjährige: Mehr als jedes dritte Kind lebte in ärmlichen Verhältnissen (41 Prozent). Das ergab zuletzt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Im Ländervergleich bleibt Bremen damit Schlusslicht, in keinem anderen Bundesland fallen die Armutsquoten so hoch aus.
Wann ist ein Mensch armutsgefährdet?
In Deutschland war ein Mensch 2021 armutsgefährdet, wenn er als allein lebende Person weniger als 1251 Euro netto im Monat zur Verfügung hatte. Zumindest wenn die gängige EU-Definition als Maßstab gilt. Sie orientiert sich an den mittleren Einkommen der Gesamtbevölkerung. Wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verdient, ist demnach armutsgefährdet.
Was hat Bremen bisher gegen Armut unternommen?
Bisher gab es eine Vielzahl an Projekten und Maßnahmen zur Armutsbekämpfung. Einige Beispiele: Um Menschen in benachteiligten Stadtteilen zu erreichen, gibt es die Förderprogramme "Wohnen in Nachbarschaften" (WIN) und "Lebendige Quartiere". Die Fördergelder fließen in viele Einzelprojekte, die in Stadtteilen wie Blumenthal, Grohn und Tenever Armutsfolgen abmildern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen sollen. In Gröpelingen finanzieren die Programme etwa ein Berufsberatungsangebot für Mütter, die über herkömmliche Berufsberatungen bei der Arbeitsagentur oder dem Jobcenter nur schwer zu erreichen sind.
Armutsgefährdete Kinder und Jugendliche erhalten in Bremen und Bremerhaven zahlreiche Unterstützungsleistungen. Dazu gehören kostenlose Mittagessen in Kita, Schule und Hort, die Übernahme von Kosten für Klassenfahrten sowie Zuschüsse für Schulmaterialien, Kultur-, Sport- und Freizeitangebote. Voraussetzung ist der Bezug von Sozialhilfe, Wohngeld, dem Kinderzuschlag oder Asylleistungen. Mit dem Bremen-Pass zahlen Leistungsempfänger und -empfängerinnen zudem ermäßigten Eintritte bei kulturellen Veranstaltungen und haben Anspruch auf ein preiswerteres Ticket der BSAG.
Als erstes Bundesland beschloss Bremen zudem 2012 einen Mindestlohn. Für Geringqualifizierte bietet es Weiterbildungsmöglichkeiten an, Obdachlose können über "Housing First" in eine eigene Wohnung einziehen.
Was fordern Betroffene und Experten von der Politik?
Die häufigsten Forderungen betreffen eine Erhöhung der Sozialleistungen, die Einführung der Kindergrundsicherung sowie eine fairere Lohnpolitik. Während Einkommen und Inflation stiegen, wurden die Regelsätze nicht regelmäßig an erhöhte Lebenskosten angepasst. Die Schere zwischen Arm und Reich sei damit noch stärker gewachsen, sagen Experten.
Weil viele Jobs – etwa in Teilzeit- und Leiharbeit – in Bremen nicht existenzsichernd sind, müsse Bremen die Tarifbindung stärken, so die Arbeitnehmerkammer. Außerdem fehlen im Land gut 5000 Kitaplätze. Um Familien, besonders Mütter und Alleinerziehende, zu entlasten, sei ein weiterer Ausbau von Kindertagesstätten und Krippen dringend notwendig. Davon würden besonders armutsgefährdete Familien profitieren, die aktuell die Kinderbetreuung häufig selbst übernehmen müssen. Viele Mütter können aufgrund fehlender Betreuungsplätze bisher nicht oder nur eingeschränkt arbeiten.
Warum ist die Armut in Bremen trotz zahlreicher Förderungen so groß?
Dafür gibt es verschiedene Erklärungsversuche. "Der Erfolg oder Misserfolg vieler Maßnahmen lässt sich in kurzen Zeiträumen nicht beurteilen", sagt René Böhme, der die Armutskonferenz in Bremen mitorganisiert. Armutsbekämpfung wirke oft erst auf lange Sicht. Beispiel Armutsprävention: Ob Armutsketten durchbrochen werden und finanziell schwächere Familien ihre Armut nicht mehr an die Kinder weitergeben, könne erst nach mehreren Jahren beurteilt werden. Dann nämlich, wenn die Kinder ausziehen und ihren eigenen Haushalt gründen.
"Der zweite Punkt: Es ist unklar, wie positiv sich eine gute Armutsprävention hier vor Ort auswirkt", sagt der Politikwissenschaftler vom Institut für Arbeit und Wirtschaft. Ein Kind aus benachteiligten Verhältnissen, das mittels Förderung einen sehr guten Schulabschluss mache und ins Studium gehe, ziehe möglicherweise in eine andere Stadt. Wer den sozialen Aufstieg nicht schaffe, bleibe dagegen mit hoher Wahrscheinlichkeit in Bremen oder Bremerhaven. Als dritten Punkt verweist Böhme auf die starke Zuwanderung der vergangenen Jahre im Land. Oft dauere es einige Jahre, bis ausländische Abschlüsse anerkannt seien und Zuwanderer dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stünden.
- Lesen Sie mehr zum Thema: Warum ist Bremen so arm? Eine Spurensuche
Wie groß ist die soziale Ungleichheit in Bremen?
Wohlstand und Armut liegen in der Hansestadt nah beisammen. Der Anteil einkommensreicher Menschen war im Land in den vergangenen Jahren hoch. Nur in Hessen und Berlin lebten im Bundeslandvergleich anteilig mehr Spitzenverdiener – so steht es im aktuellen Bremer Lebenslagenbericht. Zwischen 2010 und 2016 wuchs der Anteil an Menschen, die mehr als eine halbe Million Euro verdienen, rasant um mehr als ein Drittel (33,7 Prozent) an.
Hinzu kommt die soziale Spaltung zwischen den einzelnen Stadtvierteln. Die Segregation, also räumliche Trennung von eher wohlhabenden und finanziell benachteiligten Menschen, ist in Bremen stark ausgeprägt. Das liege zum einen an dem hohen Eigentümeranteil in der Stadt, sagen Experten. "Dazu kommt der soziale Wohnungsbau der Sechziger-, Siebzigerjahre. Der ist Bremen punktuell auf Großprojekte verteilt ", sagt René Böhme, "etwa in der Grohner Düne, der neuen Vahr, oder der Lüssumer Heide". Eine bessere Verteilung von Sozialbauten über das gesamte Stadtgebiet lässt sich aufgrund der hohen Grundstücks- und Mietpreise aber nur schwer realisieren.
Gibt es auch Hoffnungsschimmer?
Die gibt es. Die Arbeitnehmerkammer meldet, dass die soziale Spaltung der Stadt bei der letzten Untersuchung nicht weiter zugenommen hat. Experten aus Arbeitnehmerkammer und Wissenschaft sind sich einig, dass Bremen schon Fortschritte beim Ausbau von Bildung und Kinderbetreuung in benachteiligten Stadtteilen gemacht hat. Klassen seien kleiner geworden, in Kitas gebe es mehr Personal und es seien mehr Betreuungsplätze entstanden. Im Juli 2022 haben die Ressorts der Landesregierung zudem die Sozialstelle "Frühe Kindheit" neu eingerichtet. Als gemeinsame Steuerungsstelle kann sie die Arbeit verschiedener Ressorts miteinander verknüpfen und Armutsbekämpfung zielgerichteter koordinieren.