„Dieses Wohnangebot ist eine Besonderheit und bisher in Bremen noch nirgendwo umgesetzt“, sagt Regina Schmidt von der Geschäftsleitung des Martinsclubs, „denn es ist für Menschen geschaffen, die nicht ins Schema passen: für junge Erwachsene, die mit der Diagnose `fetales Alkoholsyndrom´ (FAS) leben.“
Die Wohnanlage, in der derzeit sechs Männer und Frauen im Alter zwischen 18 und 38 Jahren leben, steht auf dem Ellener Hof, dem sozial-ökologischen Stiftungsdorf, das unter der Schirmherrschaft der Bremer Heimstiftung steht. Rund 1000 Menschen sollen in diesem Wohnquartier ein neues Zuhause finden. Soziale Einrichtungen, der BUND als Umweltverband, Vereine und Kulturschaffende sind beteiligt, ebenso wie der Martinsclub, der das Wohnangebot geschaffen hat, das es in dieser Form in ganz Deutschland bisher nur in einer Handvoll von Einrichtungen gibt.
Bei der Eröffnung hebt Sozialsenatorin Anja Stahmann hervor, dass es in diesem Wohnprojekt eine intensive und kontinuierliche Begleitung der von FAS Betroffenen gibt. André Vater, Vorstandsvorsitzender der Bremer Heimstiftung, blickt auf die vergangenen sechs Jahre zurück, in dem das Leben auf dem Ellener Hof nach und nach immer reicher wurde: „Vor sechs Jahren fielen der Heimstiftung zehn Hektar zu, die damals noch im Dornröschenschlaf lagen“, sagt er, und erläutert die Idee des sozial-ökologischen Wohnens: „Sozial heißt, dass viele Menschen, bunt und vielfältig, zusammen leben, und ökologisch bedeutet, verantwortlich an Rohstoffe und Materialien heranzugehen und auf Klimafreundlichkeit zu achten.“ So gibt es auf dem Gelände des Ellener Hofs nur wenig Autoverkehr, dafür einen Fahrradverleih oder auch Hühnerhaltung, die besonders die Senioren erfreut.
Thomas Bretschneider aus dem Vorstand des Martinsclubs beantwortet die Frage von Moderatorin Regina Schmidt, ob es beim Bau der neuen Wohnanlage Widrigkeiten gegeben habe: „Wenn man in Bremen baut, gibt es immer Widrigkeiten, „und in diesem Fall musste ein altes Haus erst abgerissen werden, bis das neue entstand.“ Er blickt bereits voraus auf die Scheune, die mit Kosten von einer Million Euro wiederhergestellt werden soll, wobei vorerst die Baugenehmigung eingeholt werden muss.
Bei der Eröffnungsfeier gibt Amalia de Andrés, die an der Internationalen Hochschule Bremen (IUB) Soziale Arbeit studiert, einen Einblick in die ersten vier Wochen, seitdem die sechs Bewohner mit dem FAS-Syndrom eingezogen sind: „Diese Wohnform bietet viel Freiheit, denn die Bewohner können wählen, ob sie Unterstützung wahrnehmen wollen oder nicht.“ Wer das FAS-Syndrom zeigt, habe jedoch oft Probleme mit der Selbstständigkeit, vergesse zum Beispiel, den Herd wieder auszustellen oder neige dazu, sich Dinge zuzutrauen, die gar nicht beherrscht würden.
Thomas, einer der Bewohner, berichtet, dass er eingezogen sei, weil er morgens nicht aus dem Bett gekommen sei. Die Betreuer hätten ihm geholfen, und seitdem gehe er wieder regelmäßig zur Arbeit. Auch ein zweiter Bewohner der neuen Wohnanlage äußert sich zufrieden und meint, er fühle sich hier wohl. „Und man hat immer Hilfe, wenn man sie braucht“, sagt er.
„Die Bewohner, die teilweise in Werkstätten des Martinshofs arbeiten, verfügen über separate Wohnungen und werden von vier Fachkräften betreut, und auch eine Nachtbereitschaft ist da“, sagt Margarethe Jakubiec vom Martinsclub, die in der Wohnanlage die Hausleitung übernommen hat. Die Bewohner würden am Wochenende auch gemeinsam kochen und abends manchmal zusammen Filme ansehen. Die Betreuer unterstützen sie auch bei Freizeitangeboten wie Fußball, Schwimmen oder einem Foto-Kursus und helfen bei der Suche nach passenden Angeboten.
Rings um die neue Wohnanlage liegt derzeit noch nackte Erde: Der Rasen wurde erst vor kurzem angesät und hat die Fläche noch nicht begrünt. „Aber im Laufe der Zeit soll ein neuer Gartenbereich, zum Beispiel auch mit einer Schmetterlingswiese, entstehen. Und die jungen Leute wollen unbedingt Hochbeete und einen kleinen Acker anlegen“, sagt Hausleiterin Margarethe Jakubiec.
Alkohol hat bleibende Spuren hinterlassen
Das fetale Alkoholsyndrom (FAS) wird durch Alkoholkonsum der Mutter während der Schwangerschaft ausgelöst. Bekanntlich ist Alkohol ein Zellgift, das alle Organe in Mitleidenschaft zieht. Im Mutterleib wirkt sich Alkohol auf den Embryo besonders verheerend aus. Körperliche und geistige Schäden, Fehlbildungen und Mangelentwicklungen sind die Folge. Das Syndrom ist zwar nicht heilbar, doch bei richtiger Förderung und Unterstützung kann den Betroffenen das Leben erleichtert werden. Weil die Schädigungen oft nicht erkannt oder diagnostiziert werden, gibt es keine genauen Zahlen über die Zahl der an FAS Leidenden. Experten schätzen, dass jedes Jahr ungefähr 10.000 Babys mit dem Syndrom zur Welt kommen. Die Schäden, die Alkohol während der Schwangerschaft anrichtet, reichen von körperlichen Symptomen wie Beeinträchtigungen der Gehirnentwicklung oder Missbildungen innerer Organe bis zu seelischen Störungen wie einer psychomotorischen Unruhe oder auch aggressivem Verhalten. Demzufolge haben viele Betroffene Schwierigkeiten im Alltag, sei es bei der Job- oder Wohnungssuche oder in sozialen Beziehungen. Allerdings variiert der Schweregrad der Beeinträchtigungen bei den von FAS Betroffenen erheblich.