Erika Habekost und Annegret Fischer-Böntgen haben eigentlich Glück. Glück, dass der Weg zum Geldautomaten auch mit ihren Rollatoren nur kurz ist. Glück, dass es im Einkaufszentrum noch eine Möglichkeit gibt, Post abzugeben. Der Rückzug von Bank- und Postfilialen mit Kundenbetreuung aus der Fläche trifft aber auch sie. Die beiden Frauen stehen exemplarisch für Tausende Senioren in Bremen, denen der Verlust der Eigenständigkeit über das eigene Geld droht.
Habekost und Fischer-Böntgen sind Nachbarinnen des Stiftungsdorfes Ellener Hof der Bremer Heimstiftung gegenüber vom Einkaufszentrum Blockdiek. Beide Frauen sind auf längeren Strecken auf den Rollator angewiesen. Habekost leidet außerdem an einer Augenkrankheit, ihr Augenlicht wird immer schwächer. Deswegen begleitet Fischer-Böntgen sie zum Geldautomaten.
Der Weg führt über die Ludwig-Roselius-Allee, zwei Fahrstreifen in jede Richtung, mit einer Verkehrsinsel in der Mitte. Die Grünphase eher knapp für die Seniorinnen. Danach eine kurze Strecke entlang der Straße auf einem breiten Bürgersteig zur Sparkassen-Filiale. Dann steht die beiden Frauen vor der Bank.
Auf Hilfe angewiesen
Geld abheben, Überweisungen machen, Kontoauszüge ausdrucken – all das geht in der Sparkassen-Filiale, an Automaten. Kundenbetreuer gibt es hier nicht. Die Filiale ist, wie viele Zweigstellen inzwischen, eine sogenannte SB-Filiale (Selbstbedienung). Durchaus ein beschönigender Begriff, den die Sparkasse gewählt hat. Suggeriert er doch, dass weiter eine Filiale vor Ort ist. Allein: Habekost hilft es nicht. Sie kann den Automaten wegen ihrer Augenkrankheit nicht bedienen, ist auf die Hilfe von Fischer-Böntgen angewiesen. Habekost kann auf ihre Nachbarin bauen, andere Nachbarn der Senioreneinrichtung nicht unbedingt.
„Ich schaffe es mit den Augen nicht alleine“, sagt Habekost. In der Regel würden die beiden am Wochenende zur Automatenfiliale in Blockdiek gehen. Da sei dann nicht so viel los. Tatsächlich steht jetzt, unter der Woche, eine Schlange in und vor der Filiale.
Die Sparkasse Bremen teilt auf Nachfrage mit, dass seit August 2021 die aktuellste und sicherste Generation an Geldautomaten und SB-Geräten an SB-Standorten aufgestellt werde. „Die Geldautomaten verfügen über eine Kopfhörerbuchse und sind somit barrierefrei“, so eine Sprecherin. Wer Schwierigkeiten beim Eingeben von Überweisungen habe, der könne seine Überweisungen telefonisch unter 0421/179-0 aufgeben.
Habekost und Fischer-Böntgen setzen sich eine Schutzmaske auf und schieben mit ihren Rollatoren in den Vorraum. Zwei Geld- und zwei Überweisungsautomaten gibt es dort. Offenbar an manchen Tagen nicht genug. „Es ist sonst auch immer voll und mit einer Schlange“, sagt Habekost. Und gerade bei älteren Menschen, die Schwierigkeiten mit den Automaten hätten, dauere es eben auch.
Die Angst geht mit
Es gibt noch einen anderen Grund, warum die Rentnerinnen zu zweit gehen. „Wir haben Angst, dass wir beobachtet werden“, so Fischer-Böntgen. Habekost ergänzt: „Wir haben schon gesehen, dass Leute mit ihren ganzen Bank-Unterlagen in der Schlange stehen.“
Böntgen-Fischer ist auf eine Filiale mit Kundenbetreuung angewiesen. „Zum Beispiel, wenn ich für mein Sparbuch etwas nachtragen lassen muss.“ Dafür muss sie bis zum Schweizer Eck einen Ortsteil weiter oder in die Berliner Freiheit in der Vahr fahren. „Wenn man Fragen hat, muss man dahin. Fragen ist hier nicht drin“, sagt Fischer-Böntgen und meint die SB-Filiale. Von der Heimstiftung bis zum Schweizer Eck ist es kein weiter Weg mit dem Bus. Aber die Rentnerinnen richten ihre Blicke auch auf andere Senioren-Einrichtungen, die nicht so verkehrsgünstig gelegen sind. „Für die ist es dann schon sehr weit“, sagen beide Frauen. Für einige zu weit. Habekost und Böntgen-Fischer finden, dass durch das Ausdünnen des Filialnetzes die Selbstständigkeit von älteren Menschen eingeschränkt werde. „Durch so etwas wird die Eigenständigkeit beschnitten.“ Nicht alle hätten Kinder oder Enkelkinder in der Nähe, die ihnen bei Bankbesuchen helfen könnten. „Viele kommen mit der Technik nicht zurecht und machen das mit den Kindern“, weiß Habekost. „Viele Ältere haben keinen Computer, und ich als Sehbehinderte könnte es ohnehin nicht machen“, fährt sie fort. Mit 87 Jahren noch auf das Online-Banking umstellen – sie hat da ihre Zweifel. „In dem Alter macht man das nicht mehr.“ Dennoch: „Viele wollen ihre Geldgeschäfte nicht aus der Hand geben.“
Weite Wege schrecken ab
Die neuen Stadtteilfilialen sehen die beiden Frauen nicht als gleichwertigen Ersatz an. „Die können die kleinen Filialen nicht ersetzen, das sind zu weite Wege. Viele haben Angst davor und gehen erst gar nicht hin“, so Fischer-Böntgen. Habekost ergänzt, dass weite Wege gerade für Rollstuhlfahrer sehr beschwerlich sein können. „Durch diese Beschneidung werden die Menschen unselbstständiger und abhängiger“, befürchtet sie. Beide Frauen betonen, wie wichtig die kurzen Wege für Senioren seien, um raus zu kommen, um in Kontakt mit Menschen zu kommen.
Die Sparkasse Bremen weiß offenbar um die Not mancher Senioren. „Uns ist bewusst, dass es gerade für ältere Menschen nicht immer einfach ist, digitale Angebote in Anspruch zu nehmen. Deshalb haben wir alternative Angebote entwickelt“, erklärt die Sprecherin der Bank. So gebe es eine Servicenummer, die Tag und Nacht zu erreichen sei. Kontoauszüge könnten auf Wunsch einmal in der Woche oder im Monat gegen Portokosten zugeschickt werden. Überdies gebe es einen Bargeld-Bringdienst bis zu einer Höhe von 500 Euro. Dafür fallen allerdings Kosten von 6,50 Euro an. In der Anfangsphase seien derzeit noch sogenannte Digihelfer, um „Hemmnisse gegenüber den digitalen Medien abzubauen“. Dieser Service kostet 49 Euro.