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Barrierefreiheit Stolperfallen rund um den Benqueplatz in Schwachhausen

Schwachhausen aus der Perspektive von Menschen mit Beeinträchtigungen: Beiratspolitiker machen sich im Rollstuhl ein Bild von den Stolperfallen im Stadtteil.
04.09.2025, 05:00 Uhr
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Von Maren Brandstätter

Am Bordstein wird es spannend. Yvonne Funke (CDU), Malte Lier (Linke) und Jan Hannemann (FDP) haben ihre liebe Mühe, mit ihren geliehenen Rollstühlen von der Fahrbahn auf den rettenden Bürgersteig der Wachmannstraße zu wechseln. Die kleinen Vorderräder verweigern zunächst trotz abgesenkter Bordsteinkanten ihren Dienst. Finn Zielsdorf hat für die Beiratspolitiker die entscheidenden Tipps zur richtigen Technik. Etwas das Gewicht verlagern, dann klappt es schließlich. Anders als die drei Beiräte ist Zielsdorf im Alltag auf einen Rollstuhl angewiesen. Er kennt deshalb alle potenziellen Hindernisse und weiß, wie sie sich am besten meistern lassen. Und genau das ist das Ziel des gemeinsamen Stadtteil-Spaziergangs rund ums Wachmannstraßen-Quartier, zu dem Ortsamtsleiter Ralf Möller auf Anregung der Schwachhauser Seniorenvertretung heute eingeladen hat. Es soll darum gehen, wie es um die Barrierefreiheit im Stadtteil bestellt ist. Und darum, was es für Menschen mit Beeinträchtigung bedeutet, wenn die Bedingungen nicht so sind, wie sie sein sollten.

Mit geliehenen Rollstühlen unterwegs

Vier Rollstühle hat das Awo-Pflegeheim Sparer Dank für die gemeinsame Exkursion zum Perspektivwechsel zur Verfügung gestellt. Frank Mohrmann vom Blinden- und Sehbehindertenverein Bremen hat zu Beginn außerdem Blindenstöcke und Simulationsbrillen verteilt, die ihren Trägern ein Gefühl dafür geben, wie man sich mit wenig oder gänzlich ohne Sehkraft im Stadtteilverkehr zurechtfindet. Die erste Hürde ist nach dem Start am Benqueplatz schnell ausfindig gemacht. „Es gibt keinen Zebrastreifen und keine Fußgängerampel, um über die Wachmannstraße zu kommen“, kritisiert Rena Arnold-Scherer. Ihre Sehkraft liegt bei einem Prozent, erzählt sie. Außerdem ist die Seniorin auf einen Rollator angewiesen. Als vor Jahren die Gleise in der Hartwigstraße erneuert wurden, habe sie vergebens darauf gehofft, dass in diesem Zuge auch ein Überweg angelegt wird. „Ich meide diese Straße deshalb im Alltag“, sagt sie.

Ähnlich sei die Problematik zurzeit auch an der Schwachhauser Heerstraße. „Dort ist das Blindensignal an der Ampel zur Haltestelle Focke-Museum defekt – seit eineinhalb Jahren“, erzählt sie. Sie wohne in der Nähe und nutze die Linie 4 nahezu täglich. Deshalb habe sie sich in der Angelegenheit mehrfach an die zuständige Behörde gewandt, bislang allerdings ohne Erfolg. „Da an der Ampel meistens nur wenige Passanten unterwegs sind, die man ansprechen könnte, muss ich riechen, ob ein Auto kommt“, kritisiert sie. In der Innenstadt oder im Viertel unterwegs zu sein, sei dagegen weitaus einfacher. „Da ist es so voll, da findet man immer jemanden, der einem hilft.“

Mülltonnen und Laternenmasten als Hindernisse

Inzwischen ist die Gruppe erfolgreich bis zur Brahmsstraße vorgedrungen. Und hier wird es für die Rollstuhl-Neulinge nun richtig spannend. Zwischen den aufgesetzt parkenden Autos und den Grundstücksmauern ist der Gehweg so eng, dass er selbst für routinierte Rollstuhlfahrer zur Herausforderung wird. Ein Laternenpfahl und eine defekte Gehwegplatte sind schließlich das Zünglein an der Waage. Liers linkes Vorderrad verkantet sich. Weiter geht es ab hier nicht mehr ohne Hilfe. Die hat sich auch Jörg Henschen (SPD) gesucht. Er hat sich eine der Simulationsbrillen aufgesetzt und bei York Golinski (Grüne) untergehakt. „Mülltonne, Laternenmast“, Golinskis Warnungen kommen im Fünf-Sekunden-Takt. „Es ist wirklich heftig, wie eng es hier ist“, sagt Henschen und bewegt sich entsprechend langsam durch die Albrecht-Dürer-Straße.

Abgesenkte Bordsteine stellen für Menschen mit Seh- und Gehbehinderung unterschiedliche Probleme dar, erläutert Finn Zielsdorf den Stadtteilpolitikern an einer Einmündung. Während er mit seinem Rollstuhl am wenigstens Probleme hat, je flacher ein Übergang zur Fahrbahn ist, haben sehbehinderte Menschen genau damit ein Problem. „Wir merken dann nicht, wann wir nicht mehr auf dem Bürgersteig sind“, erklärt Frank Mohrmann. Deshalb habe man sich auf einen Kompromiss von drei Zentimetern verständigt. Für beide Seiten nicht optimal, aber machbar. Zumindest dann, wenn die Fahrbahn plan zur Regenwasserrinne verläuft, erklärt Zielsdorf und deutet auf ein Beispiel mit mehreren Millimetern Höhenunterschied. Da wird es schwierig, sagt der Student. Für ihn selbst zwar nicht, aber für ältere Leute könne die Rinne dadurch schon zur Hürde werden.

Vielschichtige Probleme

Dass die Barriere-Problematik vielschichtig ist, daran besteht in der Runde kein Zweifel. Das Zusammenspiel von vielen Autos, engen Straßen, begrenztem Parkraum sowie desolaten Geh- und Radwegen sei eine schwierige Gemengelage. Eine Kollegin von Annette Kriesten-Witt aus dem Referat Verkehrsüberwachung zettelt direkt vor Ort einige Falschparker ab. Rena Arnold-Scherer findet das schwierig. Wenngleich die Autos im Weg seien, habe sie Verständnis dafür, dass die Anwohner ihre Autos irgendwo lassen müssen, sagt sie.

Ralf Möller stellt den Vorschlag einiger Bürger in den Raum, die Autos auf den jetzigen Gehwegen zu parken und im Gegenzug die verbleibende Fläche für alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt zu öffnen. Shared Space nennt sich das Konzept. Lier hätte gerne ein paar Erfahrungswerte dazu. Auch Gudrun Löser-Dee (CDU) findet die Idee interessant, „es dauert aber vermutlich ziemlich lange, bis ein Gewöhnungseffekt einsetzt“, mutmaßt sie. Ein ausführlicher Austausch über die Erfahrungen des Stadtteil-Spaziergangs ist für die kommende Woche geplant. Am Mittwoch, 10. September, hat der Verkehrsausschuss des Beirats das Thema auf seiner Tagesordnung stehen.

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