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Hilfe für Sehbehinderte Sie berät, wenn die Sehkraft nachlässt

Martina Reicksmann unterstützt Menschen, die sehbehindert sind. In ihren ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatungen hilft es, dass sie selbst betroffen ist. Welche Angebote es noch gibt.
23.08.2022, 13:53 Uhr
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Sie berät, wenn die Sehkraft nachlässt
Von Julia Assmann

Menschen, deren Sehkraft nachlässt, benötigen Rat und Hilfe. Informationen zu beruflichen Perspektiven und Unterstützungsmöglichkeiten geben beispielsweise die Rententräger und die Agentur für Arbeit. Weitreichendere Fragen zu Sehbehinderung und damit verbundenen Problemen im Alltag können diese Stellen jedoch nicht beantworten. Dafür gibt es unter anderem die ergänzende unabhängige Teilhabeberatung. Martina Reicksmann vom Blinden- und Sehbehindertenverein Bremen bietet sie regelmäßig im Pflegestützpunkt Bremen-Nord an. Das Besondere dabei ist: Die 60-Jährige ist selbst betroffen. In die Situation der Ratsuchenden kann sie sich deshalb gut hineinversetzen.

Die Lesumerin hat von Geburt an eine starke Sehbehinderung, die sich im Laufe der Zeit noch verstärkt hat. "Als Kind konnte ich alleine Fahrrad fahren und Schrift lesen", erzählt Martina Reicksmann. Heute erkennt sie Buchstaben nur noch mit viel Anstrengung. Ihr Sehvermögen beschränkt sich auf Konturen und Farben, außerdem kann sie Hell und Dunkel unterscheiden.

Von klein auf lernte sie den Umgang mit Hilfsmitteln und auch die Brailleschrift. Erst besuchte Martina Reicksmann, die gebürtig aus Nordrhein-Westfalen stammt, eine Schule für sehbehinderte und blinde Kinder und Jugendliche in Soest. Anschließend machte sie ihr Abitur an einem Gymnasium in Marburg, das ebenfalls auf blinde und sehbehinderte Schüler spezialisiert ist.

Betroffene beraten Betroffene

"Erst in meinem Studium war ich dann ausschließlich mit Sehenden zusammen", sagt sie. Für ihr Psychologie-Studium zog sie nach Bremen und machte nach ihrem Diplom-Abschluss noch eine Ausbildung zur Rehabilitationslehrerin für Blinde und Sehbehinderte. Sowohl die Kenntnisse aus Studium und Ausbildung als auch ihre eigene Erfahrung helfen ihr heute bei den Beratungen. "Das sogenannte Peer Counseling, also das Angebot von Betroffenen für Betroffene, spielt in der Teilhabeberatung eine wichtige Rolle", erläutert die Nordbremerin, die verheiratet ist und einen erwachsenen Sohn hat.

Angestellt ist sie mit einer halben Stelle beim Blinden- und Sehbehindertenverein Bremen, gefördert wird die unabhängige und kostenfreie Teilhabeberatung, die sie an jedem dritten Dienstag im Monat in Vegesack anbietet, vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Das Angebot richtet sich an sehbehinderte und blinde Menschen, deren Angehörige sowie Menschen, die von einer Sehbehinderung bedroht sind.

In den Beratungen geht es um Augenerkrankungen, Sehhilfen und andere Hilfsmittel, finanzielle Ansprüche, Tipps und Tricks zur Alltagsbewältigung und zur Orientierung im Straßenverkehr, Möglichkeiten zum Erhalt des Arbeitsplatzes oder berufliche Neuorientierung. "Häufig kommen ältere Menschen, zum Beispiel, wenn sie die Diagnose altersbedingte Makuladegeneration bekommen haben", sagt Reicksmann und erläutert: "Die Makula ist der Punkt des schärfsten Sehens."

Die Menschen suchen Hilfe, wenn sie nichts mehr lesen können oder Menschen nicht mehr erkennen. "Dann möchten sie wissen, wie sie ihren Haushalt weiter führen und einkaufen gehen können." Auch die Frage nach finanzieller Unterstützung spiele oftmals eine Rolle. "Die Menschen möchten wissen: Bekomme ich einen Pflegegrad?" Blindheit allein führe aber nicht automatisch zu einer Pflegebedürftigkeit. "Somit gibt es auch nicht automatisch einen Pflegegrad." Dennoch gibt es finanzielle Hilfen für sogenannte Teilhabeleistungen, weiß Reicksmann, "beispielsweise für Hilfen im Haushalt oder die Erledigung persönlicher Post".

Fragen nach Hilfsmitteln

Eltern von Kindern, die eine Sehbehinderung haben, kommen ebenfalls in die Beratung. Und auch Jugendliche suchen Hilfe, "häufig an einem Punkt, an dem sie in eine neue Lebensphase kommen, die Sehbehinderung sich verschlechtert hat oder sie beispielsweise eine Ausbildung anfangen". Dann geht es in der Beratung um die sogenannte Blindentechnische Grundrehabilitation, aber auch um Hilfsmittel.

Reicksmann selbst nutzt einen sprechenden Computer und die Sprachassistenz ihres Mobiltelefons. Sie hat aber auch ein Bildschirmlesegerät, eine Mini-Kamera für ihre Brille, die vorlesen kann, sprechende Waagen und ihren Blindenstock. "Um den nutzen zu können, benötigt man ein Mobilitäts- beziehungsweise Orientierungstraining."

Für weitergehende Unterstützung bietet Martina Reicksmann den Hilfesuchenden an, sich in einer Gruppe mit ebenfalls Betroffenen auszutauschen, die sie im Teilhabetreff Bremen-Nord leitet. Zusätzlich möchte sie eine weitere Gruppe ins Leben rufen, die sich an Angehörige von Menschen mit Sehverlust richtet. "Die Diagnose hat nicht nur Folgen für den erkrankten Menschen selbst, sondern auch für ihre Partnerinnen oder Partner", erläutert Reicksmann. "Viele Dinge ändern sich: der Alltag, die Freizeit. Hobbys können nicht mehr wie gewohnt ausgeübt werden. Es geht dann darum, wie das Leben künftig anders gestaltet werden kann."

Oftmals, weiß Reicksmann, fällt es den Angehörigen auch schwer, die richtige Balance zwischen Unterstützung und Überbehütung zu finden. "Die Angehörige wissen oft nicht, wann sie helfen und wann sie den Betroffenen einfach mal selbst machen lassen sollten – selbst wenn alles länger dauert." Und schließlich, so die Beraterin, sei die Situation für alle auch psychisch belastend. Es gelte, ganz unterschiedliche Gemütszustände auszuhalten – von Wut, über Hoffnung bis zu Depressionen. "Auch da kann ein Austausch den Angehörigen helfen."

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Beratung und Gesprächsgruppen

Die ergänzende Teilhabeberatung bietet Martina Reicksmann an jedem dritten Dienstag im Monat von 9.30 bis 12.30 Uhr im Pflegestützpunkt Bremen-Nord, Breite Straße 12d, in Vegesack an. Das Angebot ist kostenlos. Eine Anmeldung ist erforderlich unter der Telefonnummer 04 21 / 24 40 16 13.

Im Teilhabetreff Bremen-Nord, Bürgermeister-Wittgenstein-Straße 2, leitet Martina Reicksmann eine Gesprächsgruppe für Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung. Sie trifft sich an jedem zweiten Dienstag im Monat. Eine neue Gruppe richtet sich an Angehörige. Die Treffen sollen jeden vierten Dienstag im Monat (bis auf Dezember) von 16 bis 18 Uhr stattfinden. Wer teilnehmen möchte, sollte sich ebenfalls unter der Nummer 04 21 / 24 40 16 13 anmelden.

Der Teilhabetreff wird von drei Vereinen betrieben: dem Blinden- und Sehbehindertenverein Bremen (BSVB), der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe behinderter Menschen Bremen (LAGS) und dem Verein Selbstbestimmt Leben Bremen (SL). Ziel ist, Menschen mit Behinderung und ihren Angehörigen Beratung und Austauschmöglichkeiten anzubieten. Gefördert wird der Teilhabetreff von der Senatorin für Soziales, Jugend, Integration und Sport.

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