Herr Schulze, vor zehn Jahren haben Sie den Sendesaal gerettet. Was hätte Bremen ohne Sendesaal seitdem verpasst?
Peter Schulze: Ungefähr 900 interessante Konzerte. Und auch viele Weltstars, die gerne im Sendesaal produzieren, aber sonst nicht nach Bremen gekommen wären. Schon allein, weil sie ihre normalen Abendgagen hier gar nicht erzielen können. Durch den Sendesaal kommen sie für ihre Aufnahmen her und nutzen die Gelegenheit, um dann auch gleich ein Konzert zu geben.
Der Sendesaal wurde Anfang der 50er-Jahre gebaut. Damals wurde er als Meisterstück gelobt. Ist er das immer noch?Ja. Es gibt heutzutage exaktere Möglichkeiten, die Akustik zu berechnen. Ob sie dann aber auch so funktioniert, steht auf einem anderen Blatt. Dafür ist die Elbphilharmonie ein gutes Beispiel. Dort wurde der Klang ganz aufwendig berechnet, aber in alle Ecken gelangt er trotzdem nicht.
Beim Sendesaal zum Beispiel hat man für die Innenverkleidung Matten genommen, auf denen eigentlich Käseräder getrocknet werden. Weil man sparen wollte. Aber es hat sich herausgestellt, dass das akustisch sehr gut funktioniert.
Ich würde sogar sagen: Deutschland braucht den Sendesaal. Es gibt nicht sehr viele Sendesäle dieser Qualität in Deutschland. Sogar europaweit sind das nur wenige. Als wir vor 20 Jahren den Verein gegründet haben, haben wir mal gefragt, was es ungefähr kosten würde, einen Saal in dieser Qualität neu zu bauen. Das lag damals bei ungefähr 15 Millionen Euro. Niemand baut einen Saal für 15 Millionen Euro für 250 Leute, das würde sich einfach nicht lohnen. Aber wenn man so einen Saal hat, wäre es frevelhaft ihn abzureißen.
Wie intensiv wird der Sendesaal denn überhaupt genutzt?Radio Bremen hat den Saal damals knapp 270 Tage im Jahr genutzt, wir sind auch bei über 200 Tagen mittlerweile. Das brauchen wir auch, damit er sich tragen kann.
Lohnt sich der Sendesaal wirtschaftlich?Je nachdem, wie man es sieht. Der Betrieb wird nicht über die öffentliche Hand finanziert. Das ist kein Zuckerschlecken, aber es ist zu machen. Würden wir die professionelle ehrenamtlichen Kräfte durch bezahlte Vollzeitbeschäftigte ersetzen, dann würde es eng werden.
Seit zehn Jahren ist der Sendesaal in der Hand des Vereins. Was hat sich seitdem verändert?Die Radiolandschaft vor allem. Es gibt immer weniger Säle dieser Art. Deshalb kommen ja auch immer mehr Leute zum Produzieren hierher. Heute sind es auch viel mehr Konzerte als früher, weil Radio Bremen den Saal vor allem für eigene Produktionen genutzt hat.
Die Erhaltung des Sendesaals war schwierig…Sieben Jahre Kampf.
Die Situation war Folgende: Klaus Hübotter bot an, das Gelände zu kaufen und den Saal zu erhalten. Da war das Gelände aber schon verkauft – an Investoren, die den Saal abreißen wollten. Also kam es darauf an, ob die Politik entscheidet, den Sendesaal unter Denkmalschutz zu stellen oder nicht.
Es hing wirklich am seidenen Faden, es gab Tage, da standen hier schon die Abrissbagger vor der Tür. Und an dem Tag, an dem die Abrissgenehmigung hätte erteilt werden müssen, bekam ich mittags einen Anruf des Landesdenkmalpflegers Georg Skalecki.
Der sagte: „Hören Sie mal, was ich hier gerade mache.“ Ich hörte dann einen Stift auf dem Papier kratzen, und dann sagte er mir, dass er gerade die Unterschutzstellung für den Sendesaal unterschreibe. Das war für mich wie Weihnachten und Ostern zusammen. Da dachte ich: „Endlich haben wir es geschafft!“
Sie hatten ursprünglich die Idee, auf dem Gelände ein Music Village entstehen zu lassen. Nun steht hier eine Reha-Klinik. Sind Sie enttäuscht?Überhaupt nicht. Die Idee eines themenorientierten Mehrgenerationen-Wohnprojekts gab es, weil zu diesem Zeitpunkt nicht klar war, was mit dem Gelände passieren sollte. Nach dem Auszug von Radio Bremen standen hier einzelne Büromöbel, und die Natur wucherte langsam über das Gelände.
Für mich war das schlimm zu sehen. Als Rolf Specht hier die Reha-Klinik plante, fand ich das wunderbar. Es geht mir heute noch so, wenn ich über das Gelände gehe, dass ich mich noch ein bisschen zu Hause fühle, wie bei Radio Bremen damals. Aber es ist doch anders. Auf dem Gelände ist wieder Leben. Das war mir wichtig.
Gibt es eine musikalische Verbindung?Es gab mal die Überlegung, hier ein Musik-Medizin-Zentrum zu errichten. Es gibt in der Klinik ehemalige Studios, die sind bestens isoliert. Das wäre prädestiniert für Musik-Therapie. Also einerseits Therapien, bei denen man Musik einsetzt – aber auch Therapien speziell für Musiker.
Auch der Sendesaal wäre zum Beispiel für Meditation sehr gut geeignet, weil dort eine ganz lebendige Stille herrscht. All das würde sehr gut passen, aber noch ist es nicht so weit, weil der Klinik dafür eine bestimmte Zulassung fehlt. Aber man muss ja auch noch Träume haben.
Mittlerweile sind Sie praktisch „Mister Sendesaal“. Was kommt nach Ihnen?Wir haben jüngere Kuratoren und auch ein gut arbeitendes Büro. Die wachsen immer mehr in die Verbindungen rein, die man braucht, um so einen Saal zu führen. Mittlerweile ist der Sendesaal auch so bekannt, dass Anfragen über Mundpropaganda aus aller Welt kommen.
Aber jemand muss doch Ihre Arbeit irgendwann übernehmen.Da wird man längerfristig sicherlich eine Möglichkeit finden müssen, jemanden auch dafür zu bezahlen. Jemanden wie mich, der das alles in Vollzeit ehrenamtlich macht, findet man sicher nicht so schnell. Wir haben gegenwärtig nicht die Situation, dass wir jemanden dafür bezahlen können. Aber im Endeffekt ist es ein Vollzeit-Job, der Verantwortung und Verbindungen erfordert. Da muss man reinwachsen.
Zählen Sie denn schon die Tage, bis Sie diese Aufgabe abgeben können?Nicht wirklich. Ich will das nicht machen, bis ich hundert bin, aber es ist auch nicht so, dass es mich dort raustreibt. Für mich ist jeder Tag hier im Sendesaal ein Tag, an dem ich mir sage: „Ja, das alles hat sich gelohnt.“
Das ganze positive Feedback von Musikern und Besuchern ist für mich sehr erfüllend. Aber ich kann auch loslassen. Wenn jetzt jemand kommt, der sagt, er möchte das gerne übernehmen und auch geeignet ist, dann bin ich der Letzte, der Nein sagt. Ich hänge sehr am Sendesaal, aber ich hänge nicht an meinen Tätigkeiten.
Ist der Sendesaal heute eher Goldjunge oder Sorgenkind?Auf jeden Fall Goldjunge. Sorgen mache ich mir allenfalls über Investitionen. Wir fragen uns, wie lange die Wandbespannung oder das Aufnahmepult wohl noch halten. Da kommen längerfristig auf jeden Fall Investitionen auf uns zu. Aber ich bin positiv eingestellt, dass wir dafür Lösungen finden werden.
Ich denke, dass wir da gut ein Fundraising machen können. Es gibt viele Menschen, die den Sendesaal zu schätzen wissen. Das bedeutet natürlich Aufwand, aber der schreckt mich nicht. Vielleicht sieht sich eines Tages ja auch die Stadt Bremen dafür in einer gewissen Erhaltungs-Verantwortung.
Finden Sie den Sendesaal eigentlich auch optisch schön?Ich finde den sehr schön. Für mich ist vorherrschend, welche Aura dieser Saal hat.
Eine innere Schönheit?Ja. Bei der Musik geht es immer um Schwingungen und Resonanzen. Es gibt in Indien Tempel, da wird 24 Stunden am Tag Musik gemacht. Die Musik hängt dann praktisch in den Tempelwänden. Weil sie die ganze Zeit mitklingt und mitschwingt. Ein bisschen ist das beim Sendesaal auch so.
Hören Laien einen Unterschied zwischen Konzerten im Sendesaal und woanders?Ich hoffe es. Für Musiker ist das Gefühl gehört zu werden entscheidend. Wenn die Akustik schlecht ist, müssen sie gegen den Saal anspielen. Das geht auf die Qualität der Performance. Hier spielen Musiker in der Regel besser.
Das wiederum wirkt sich auch auf die Beziehung zum Publikum aus. Die Musiker loben immer wieder, wie präsent das Publikum ist. Wenn jemand husten muss, geht er eher raus, als dass er jemanden stört. Die Atmosphäre und das Zuhören sind fast schon spirituell.
Am 23.12.2052 würde der Sendesaal 100 Jahre alt werden. Schafft er das?Wenn er nicht abbrennt: Ja!
Das Gespräch führte Kim Torster.Peter Schulze (72), genannt „Mister Sendesaal“, ist ehrenamtlicher Leiter des Sendesaals und Vorsitzender des Vereins Freunde des Sendesaales, mit dem er vor zehn Jahren den Abriss des Veranstaltungsortes verhinderte. Schulze ist zudem einer der beiden künstlerischen Leiter der Jazzahead.
Weitere Informationen
Am Sonntag zwischen 11 und 18 Uhr feiert der Sendesaal das zehnjährige Jubiläum seiner Rettung. Interessierte erwarten Kurzkonzerte u. a. mit Tim McMillan, Tim Fischer, Marialy Pacheco, Tanja Tetzlaff, Uli Beckerhoff und Thilo Seevers sowie Führungen durch den Sendesaal. Der Eintritt ist frei.