Eigentlich gehe es ihr wieder ganz gut, sagt Monika Siems eine Woche, nachdem sie überfallen wurde. Jetzt, wo sie langsam wieder zur Ruhe komme, merke sie aber, "wie kaputt ich bin durch die ganze Aufregung". Und ihren gewohnten Fußweg zum Supermarkt in der Wachmannstraße mag die 76-Jährige erst mal auch nicht mehr gehen. "Sicher, irgendwann mache ich das wieder. Aber jetzt gerade, fühle ich mich einfach nicht wohl bei dem Gedanken."
Eine Woche ist es her. Am vergangenen Sonnabend, gegen 19 Uhr, machte sich die Seniorin auf den Weg. "Ich brauchte noch Brot." Alles wie immer: Handtasche quer über die Schulter gehängt, den kleinen Rucksack auf dem Rücken und los gings. Ein Stück die Schwachhauser Heerstraße entlang, dann links in die Lüder-von-Bentheim-Straße und durch die Brahmsstraße bis zum Rewe in der Wachmannstraße, beschreibt die 76-Jährige ihre Route. Dreimal die Woche gehe sie diese Strecke. Ruhige, vertraute Straßen und außerdem der kürzeste Weg zum Supermarkt.
Auf dem Rückweg, die Einkäufe im Rucksack, seien ihr in der Brahmsstraße zwei junge Männer aufgefallen. "Ich habe die nicht genau beobachtet, aber die standen auf beiden Seiten der Straße und haben sich laut etwas zugerufen, als ich an ihnen vorbeiging." Sie habe sich aber nichts weiter dabei gedacht, sondern sei einfach weitergegangen. Langsam, in Gedanken versunken, ein wenig verträumt.
Mitten in der Lüder-von-Bentheim-Straße habe sie dann plötzlich einer der beiden von hinten angesprochen. "Die waren unbemerkt hinter mir hergegangen, ich hatte das gar nicht mitbekommen." Ob ich ihm sagen könne, wo die Westerstraße sei, habe er gefragt. Sie habe sich noch gewundert, weil die Westerstraße doch weit entfernt in der Neustadt liegt. "Aber während ich so nachdenke, hat er plötzlich nach meiner Umhängetasche gegriffen und sie mir über den Kopf weggerissen." Der Riemen der Tasche sei bei dem Gezerre der Länge nach über ihr Handgelenk geschabt. "Das hat eine richtige Schürfwunde gegeben, die Haut war total weg – das sieht aus wie eine Brandverletzung."
Die beiden Männer, Monika Siems beschreibt sie als Menschen mit dunklem Teint, schwarzem Haar, beide komplett schwarz gekleidet, seien dann weggelaufen. "Ich habe laut um Hilfe geschrien und bin ihnen noch ein Stück hinterher, aber die waren längst weg."
Unglücklicherweise sei die Straße in diesem Moment komplett leer gewesen, berichtet die Seniorin. Niemand unterwegs, der hätte helfen können. Auf ihre Schreie hin sei erst ein junger Mann aus einem Hauseingang gekommen – "der konnte auch nichts mehr machen, hat mich aber sehr nett getröstet" –, dann eine Frau, die versucht habe, die Polizei herbeizurufen. "Ihr wurde aber gesagt, dass man dafür keine Kapazitäten hätte, und dass ich mich Montag für eine Anzeige bei der Wache melden solle", erzählt Siems. "Ehrlich gesagt, das hat mich ziemlich schockiert."
Doch zunächst hatte die 76-Jährige andere Sorgen. "In meiner Handtasche war mein Portemonnaie. Zwar ohne Bargeld, aber mit meiner Bankkarte, meinem Personalausweis und anderen wichtigen Sachen." Die Frau habe ihr mit dem Handy die Nummer ihres Geldinstitutes herausgesucht, um die Karte sperren zu lassen. "Habe ich dreimal versucht, aber da kam jedes Mal eine elektronische Stimme, die mir gesagt hat, dass sie mich nicht versteht." Erst einer hilfsbereiten Nachbarin sei es schließlich gelungen, die Karte auf diese Weise zu sperren. "Da war ich erst mal erleichtert."
Es sollte sogar noch besser kommen für Monika Siems. Am nächsten Tag meldete sich ein Anwohner der Arnold-Böcklin-Straße bei ihr. Der hatte in seinem Vorgarten den Inhalt ihrer Handtasche gefunden. "Portemonnaie mit Perso, Krankenkarte und Bibliotheksausweis – alles da. Nur die Bankkarte fehlte." Sie sei dann am Montag gleich zur Bank. "Hatte aber niemand etwas abgehoben und die Karte war inzwischen ja gesperrt." Zur Wache am Wall sei sie am Montag auch gegangen. "Da wurden Fotos von meinem Arm gemacht, ein Protokoll aufgenommen und ich habe ein Aktenzeichen gesagt bekommen."
Letztlich blieb es für die 76-Jährige somit beim Verlust der Bankkarte und der Verletzung am Handgelenk ("habe ich mit Gel behandelt, heilt ganz gut ab"). Und natürlich beim Schock über die Tat. Die Nacht danach habe sie nicht geschlafen, auch weil der Arm so weh getan habe. Sie kenne natürlich die Meldungen über solche Überfälle. Und sie sehe zum Beispiel am Bahnhof, wo sie auch oft einkaufe, die vielen Dealer. "Aber um die macht man dann eben einen Bogen. Mir ist noch nie etwas passiert."
Und dabei sei sie vor fast 30 Jahren extra innerhalb Bremens nach Schwachhausen umgezogen, "weil das hier als sichere Gegend galt", erzählt sie. Und überhaupt: "Ich habe nicht viel Geld, bin nicht reich angezogen und trage auch keine Goldkette. Das ich überfallen werde, hat mich wirklich überrascht."
Und wird noch eine Weile nachwirken: Eigentlich sei sie ja Stammkundin in dem Rewe, sagt Monika Siems. Aber zurzeit fahre sie lieber mit der Straßenbahn zu einem anderen Supermarkt.