„Gastgeber Sprache“ – diesen Namen könnte auch ein Förderprogramm für Fremdsprachenkompetenz tragen. Tatsächlich handelt es sich bei „Gastgeber Sprache“ um einen mehr oder minder losen Verbund lokaler Autorinnen und Autoren, der sich ohne jegliche Hierarchie oder Vereinsstruktur über die Jahre mittlerweile zu einem recht stringenten Kollektiv entwickelt hat. Die Mitglieder veranstalten alljährlich auf eigene Faust ein kleines Literaturfestival an verschiedenen Leseorten.
„Die Autorinnen und Autoren organisieren ihre Lesungen selbstständig. Es gibt bei uns keinen Vorstand oder Ähnliches“, erläuterte Gerhard Koopmann, der von Anfang an bei "Gastgeber Sprache" dabei ist. Er zählte bereits zu den Mitwirkenden des Vorgängerprojekts „Leser an der Weser“, das sich im Jahr 2011 nach einem ähnlichen Prinzip formierte – und im Jahr 2016 erstmals unter dem neuen Namen „Gastgeber Sprache“ öffentlich in Erscheinung trat.
Der Name des Literaturfestivals bezieht sich nicht auf die Vermittlung sprachlicher Kompetenzen, sondern auf einen eher philosophisch-literarischen Gedanken: „Es geht darum, dass die Autoren mit ihren Worten zu Gast an verschiedenen Orten sein dürfen – und die Zuhörer wiederum Gäste der Worte und Gedanken der jeweiligen Schriftsteller sind“, führte Koopmann aus.
Nachdem das eigentliche Festival im Jahr 2020 mit Ausnahme der Eröffnungsveranstaltung und in den beiden darauffolgenden Jahren schließlich komplett infolge der Pandemie-Präventionsmaßnahmen ausfallen musste, luden zehn Vertreter des Autorenkollektivs am Freitag nun erstmals wieder zur Eröffnung ihres selbst organisierten, literarischen Festivals in die Stadtbibliothek Vegesack ein. Dort gewährten sie interessierten Besuchern einen Ausblick auf mögliche Inhalte bevorstehender Einzel-Lesungen und verschafften einen Überblick über das hiesige Schaffen leidenschaftlicher Literaten. Martin Renz, Leiter der Stadtbibliothek Vegesack, bezeichnete die Veranstaltung als „Schaufenster des Festivals“.
Als Thema der diesjährigen Eröffnungsveranstaltung hatten sich die Mitwirkenden im Vorfeld auf das Oberthema „Finden und Erfinden“ geeinigt, dem sich alle Beteiligten auf verschiedene Arten annäherten. Eigens für die Eröffnungslesung hatten die Autorinnen und Autoren dazu Texte geschrieben. Während Jochen Windheuser die Veranstaltung mit humorvoller Wortakrobatik in Heinz Erhardt-Manier eröffnete, beschäftigten sich Christa Thiekötter, Gabi Stein und Anne Achner in ihren häufig poetischen Texten mit der Sehnsucht nach Blumen, der eigenen Vergangenheit und der Stadt Venedig.
Heide Marie Voigt trug ein Poem mit dem Titel „Wer?“ vor. Eva Hütter stilisierte die Protagonistin ihres Beitrags „Nicht vom Weg abkommen“ als eine Art modernes Rotkäppchen. Cornelia Knösel berichtete von ungeahnten Fotografiekünsten räuberischer Affen in einem Tempel, Gerhard Koopmann von Betreuererlebnissen mit einer Tourette-Patientin.
Rega Kerner las aus einer Kurzgeschichte über den Versuch und dessen Folgen, eine Kurzgeschichte von der künstlichen Intelligenz „ChatGPT“ verfassen zu lassen und Fernande Kuhlmann-Kirchmeyer sorgte mit einer Hommage an einen gewissen „Heinrich Ölmeyer“ für einen humorvollen Abschluss. Viele der Texte und verschriftlichten Gedanken wirken autobiografisch. Wie viele es letztlich tatsächlich sind, wissen nur die Verfasser selbst – schließlich gibt es trotz aller Wortgewandtheit und Erzählfreude auch gewisse Schriftstellergeheimnisse.
Aufgrund des dezentralen, autonomen Charakters des Festivals existieren keine detaillierten Info- und Werbeflyer. Die Beteiligten pflegen ihre jeweiligen Veranstaltungen unter der Internetadresse www.stabi-hb.de/gs23 selbst ein. Da die Organisation der Lesungen bisweilen auch kurzfristig erfolgen kann, wird Interessierten empfohlen, sich in unregelmäßigen Abständen über etwaig hinzugekommene neue Veranstaltungstermine zu informieren.