Als in Syrien im Dezember 2024 der langjährige Machthaber und Diktator Bassar al-Assad gestürzt wurde, war die Freude in der Bevölkerung zunächst riesig und die Hoffnung groß, dass künftig bessere Zeiten anbrechen werden. Doch am 6. März später kam es zu einem Massaker: Nachdem die neuen Machthaber von Pro-Assad-Anhängern attackiert worden waren, griffen islamistische Regierungsmilizen gezielt Städte der syrischen Küstenprovinz Latakia und weitere Orte an. Ihre Vergeltungsmaßnahmen richteten sich vor allem gegen die alawitische Minderheit, eine religiöse Sondergemeinschaft des Islam. Dabei wurden viele unschuldige Zivilisten brutal getötet, darunter Kinder, Frauen und Männer – allein aus religiösen Gründen.
Die in Aumund lebende Lama Ahmad (Name von der Redaktion geändert) macht sich große Sorgen um ihr Land und vor allem um ihre dort lebende Familie. Lama Ahmad kam im Jahre 2015 aus Syrien nach Deutschland. In ihrem Heimatland hat sie Ökonomie studiert und fand nach Absolvierung eines Sprachkurses schnell eine Anstellung bei einer Bank in Bremen. Dort ist die 43-Jährige bis heute im Bereich Risikomanagement tätig. Lama Ahmad jedoch denkt nicht an Rückkehr in ihre Heimat: Sie möchte trotz der neuen Regierung in Deutschland bleiben. Und sie hat wenig Vertrauen in das neue Regime, was Toleranz und Humanität betrifft: „Bis heute erlaubt die Regierung den Menschen nicht, nach dem Massaker die Opfer zu bestatten und verweigert jegliche Hilfe für diejenigen, die alles verloren haben“, sagt Lama Ahmad und ergänzt: „Auch Habseligkeiten und Häuser wurden von den Milizen niedergebrannt, wodurch zahlreiche Familien zerstört und ohne Unterstützung zurückgelassen wurden.“ In ihren Augen sollte das neue Regime Verantwortung für ihr Handeln übernehmen, und hätte besonnener vorgehen müssen, um die Sicherheit der Zivilbevölkerung zu gewährleisten, anstatt Gewalt gegen eine Gruppe nur aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit anzustacheln.
Komplexe Situation
Allerdings ist die Situation in Syrien hinsichtlich der Religionsgemeinschaften komplex, was ein friedliches Zusammenleben erschwert, so Lama Ahmad. Im Vielvölkerstaat Syrien gleiche das religiöse Leben einem komplizierten Mosaik: „Das Land besteht aus vielen ethnischen Gruppen und Religionen, darunter Sunniten, Schiiten, Alawiten, Drusen und Christen, es gibt dort aber auch Ismailiten, Kurden, Assyrer und Atheisten. Insbesondere die Minderheiten in Syrien fürchten die neue Regierung, da sie sich aus radikalen Islamisten zusammensetzt“, sagt sie. Sie habe zahlreiche Videos gesehen, die zeigen, wie Leute auf unmenschliche Weise behandelt werden, und es gebe Aufnahmen, in denen die neue Regierung in christlichen Vierteln zur Einführung des Islam aufruft. Das neue Regime übe keinerlei Toleranz gegenüber anderen Religionen aus und verfolge eine radikal-islamische Ideologie.
„Im Moment ist die Situation in Syrien zwar weniger dramatisch als während des Massakers, doch in der Zukunft ist weitere Gewalt zu befürchten. Denn für die neuen Machthaber sind alle, die nicht Moslems sind, Ungläubige“, sagt Lama Ahmad. Sie befürchtet, dass in Syrien eine ähnliche Entwicklung stattfinden könnte wie unter den Taliban in Afghanistan. Einige Maßnahmen der neuen Regierung würden eine klare Sprache sprechen: Während des Fastenmonats Ramadan sei zum Beispiel unter dem neuen Regime das Essen auf der Straße verboten und werde bestraft. Lama Ahmad erwartet auch Restriktionen gegen Frauen, die derzeit aber noch nicht umgesetzt werden. „Jedenfalls kehrt derzeit kaum jemand nach Syrien zurück, weil die Angst zu groß ist. Und auch ich fürchte, dass meiner Familie etwas passieren könnte“, sagt sie.
Doch auch in umgekehrter Richtung fliehen angesichts der unsicheren Lage derzeit kaum noch Syrer aus ihrer Heimat in europäische Länder. „Denn derzeit ist es nicht mehr so leicht, nach Europa zu kommen“, sagt Lama Ahmad. Nachdem im Jahre 2011 in Syrien Bürgerkrieg ausgebrochen war, haben mehrere Millionen Syrer ihr Zuhause verlassen. Die meisten leben derzeit in der Türkei, aber allein rund 700.000 schutzsuchende Syrer halten sich in Deutschland auf. Und diese müssen sich angesichts einer restriktiveren Asylpolitik ernsthafte Sorgen machen, ob ihr Schutzstatus bestehen bleibt. So hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bereits beschlossen, Entscheidungen über Asylanträge von syrischen Staatsangehörigen auszusetzen. Wenn die Zukunft ihres Landes derart düster ist, wäre eine massenhafte Rückkehr nach Syrien angesichts der derzeit katastrophalen Lage und ungewissen Zukunft, wohl eine Katastrophe.
„Was die neue Regierung bisher gemacht hat, geht jedenfalls nicht in Richtung Demokratie, und in den drei Monaten nach Assad haben immer noch keine Wahlen stattgefunden“, klagt Lama Ahmad, für die Deutschland inzwischen ihr Land sei, auch wenn hier durch die neue Koalition aus CDU und SPD ein härterer Umgang mit Migranten zu erwarten ist und ausländerfeindliche Bewegungen weiterhin im Aufwind sind.