„Da sieht man mal wieder, wie schön und wie besonders Bremen-Nord ist“, sagt ein Ausstellungsbesucher vor einem Gemälde der sonnendurchfluteten Alten Hafenstraße. Neun Mitglieder der Künstlergruppe "Norddeutsche Realisten" haben im Sommer 2022 in Bremen gemalt – meistens unter freiem Himmel, an bekannten, aber auch ungewöhnlichen Orten. Entstanden ist ein vielseitiger, oft überraschender, künstlerischer Blick auf die Hansestadt. Seit dem Wochenende sind die Bilder als dreiteilige Ausstellung unter dem Titel "Auf Sicht. Die Norddeutschen malen in Bremen" im Overbeck-Museum, im Vegesacker Geschichtenhaus und im Hafenmuseum Bremen zu sehen.
Den Ausstellungsreigen eröffnete das Overbeck-Museum. „So lange habe ich mich noch nie auf eine Ausstellungseröffnung gefreut“, sagte dessen Leiterin Katja Pourshirazi. Die Idee, die Künstlergruppe nach Bremen-Nord einzuladen, entstand bereits vor vier Jahren. Die Norddeutschen Realisten treffen sich seit rund 30 Jahren in wechselnder Besetzung, um im Freien zu malen. In mehrtägigen Symposien kommen sie meist auf Einladung von Kultureinrichtungen an unterschiedlichen Orten zusammen. Bevorzugte Motive sind norddeutsche Landschaften und maritime Themen. Seit 1989 fanden mehr als 50 Symposien im In- und Ausland statt – aber noch nie in Bremen.
Das durfte so nicht bleiben, fand die Leiterin des Overbeck-Museums und lud die Norddeutschen Realisten ein. Im Sommer 2022 war es soweit: Margreet Boonstra, Tobias Duwe, André Krigar, Meike Lipp, Mathias Meinel, Lars Möller, Frank Suplie, Till Warwas und Corinna Weinert malten mehrere Tage in der Bremer Innenstadt und im Bremer Norden. 147 Gemälde entstanden. Wegen der großen Zahl der Bilder war klar, dass das Overbeck-Museum nicht der einzige Ausstellungsort sein konnte. Und so wurden das Vegesacker Geschichtenhaus und das Hafenmuseum in der Überseestadt mit ins Boot geholt.
Sehenswertes und Alltägliches
Die Gemälde im Overbeck-Museum zeigen das ehemalige Kämmerei-Gelände in Blumenthal, den Blick auf Weser und Lesum, Knoops Park, Wätjens Park, den Stadtgarten und andere malerische Ecken, die jeder Nordbremer sofort erkennt. Weniger auf das Idyllische oder touristisch Sehenswerte, sondern mehr das Alltägliche, das oft gesehen und doch nie richtig wahrgenommen wird, richtet Corinna Weinert mit ihren Bildern den Blick. Sie stellte ihre Staffelei häufig nicht in der freien Natur, sondern in betont urbaner Umgebung auf. In Bremen-Nord malte sie unter anderem den Hafenkiosk auf dem Bahnhofsvorplatz, die Grohner Düne und die Tiefgarage des Atlantic-Hotels. Viele ihre Bilder, erzählt die Malerin, entstehen aus einem Impuls heraus. „Wenn man sich auf so ein Motiv einlässt, merkt man, dass auch Unspektakuläres oder Unscheinbares sehr charakteristisch für einen Ort sein kann.“
Immer wieder ist auf den Bildern der Norddeutschen Realisten der ehemaligen U-Boot-Bunker Valentin zu sehen. In unterschiedlichen künstlerischen Ansätzen hat sich die Gruppe mit seiner Geschichte und der Atmosphäre auseinandergesetzt. Lars Möller zeigt nur eine kleine Ecke des Bunkers, darüber und dahinter viel Wolkenhimmel. Bei Margreet Boonstra steht die Natur im Vordergrund, die sich das Gelände rund um den Bunker zurückerobert. André Krigar wählt den Blick aus dicken Mauern hinaus nach draußen, wo die Sonne scheint. „Um an diesem Ort malen zu können – allein dafür hätte sich die Fahrt nach Bremen schon gelohnt“, so Krigar.
Gegenüberstellung mit Overbeck
Auch Fritz und Hermine Overbeck malten vor mehr als 100 Jahren bevorzugt an der Staffelei unter freiem Himmel. Ihre Werke werden im Overbeck-Museum denen der Norddeutschen Realisten gegenübergestellt. Da hängt die „Fähre Frieda“ von Fritz Overbeck aus dem Jahre 1906 neben einem Bild der heutigen Weserfähren. Zu einem Gemälde, das Hermine Overbeck an der Staffelei zeigt, gesellt sich von heute das Gemälde „Meike Plein-air“, auf dem Tobias Duwe seine Künstlerkollegin Meike Lipp beim Malen darstellt.
Auch in der Galerie des Vegesacker Geschichtenhauses ist ein Teil der Ausstellung zu sehen. Motive zeigen unter anderem aus Vegesack die Weser, die Lürssen-Werft und den Stadtgarten. „Diese Bilder haben eine Kraft und eine Authentizität, die sich dem Betrachter sofort mitteilen“, sagt Michael Schädlich vom Geschichtenhaus. Vegesacks Ortsamtsleiter Heiko Dornstedt wünscht sich, dass die Norddeutschen Realisten bald wieder von Ort sind, „um die Veränderungen, die dem Stadtteil bevorstehen, künstlerisch festzuhalten.“