Vegesack. 2021 wollte die Fotografen-Gruppe Blendwerk ‘01 ihr 20-jähriges Bestehen feiern. Und zum ersten Mal in der Blendwerk-Geschichte musste ausgerechnet im Jahr des runden Geburtstags die traditionelle Jahresausstellung ausfallen. Corona. In diesem Jahr soll die Ausstellung stattfinden. Anlässlich ihres 20-jährigen Bestehens widmet sich die Gruppe noch einmal einem Ausstellungsthema, das bereits 2017 sowohl beim Publikum als auch bei den Fotografen viel Gegenliebe fand und das seinen Ausgangspunkt passenderweise in den 20-er Jahren hat: „Cadavre exquis – die köstliche Leiche“. Das klingt zunächst ein bisschen unheimlich, bezeichnet aber nur eine im Surrealismus entwickelte spielerische Methode, dem Zufall bei der Entstehung von Texten und Bildern mehr Raum zu geben. André Breton (1896-1966) definierte diese Methode als Spiel mit gefaltetem Papier, bei dem Teile eines Bildes oder eines Satzes ergänzt werden, ohne dass der, der es ergänzt, Kenntnis vom vorhergehenden Teil des Bildes oder Satzes hat. Genau genommen kennt derjenige, der gerade am Zug ist, nur das Wort (oder das Element der Zeichnung), das sein direkter Vorgänger hinzugefügt hat, nicht aber die Worte der anderen Mitspieler. Ein so hergestellter Satz hat dem Spiel seinen Namen gegeben hat: Le cadavre exquis boira le vin nouveau („Der köstliche Leichnam wird den neuen Wein trinken“).
Stadtkirche als Ausgangsmotiv
Dieses Prinzip haben die Blendwerker auf die Fotografie übertragen: Ein ausgeloster Start-Fotograf schickt ein Foto an den nächsten. Dieser „antwortet“ innerhalb von zehn Tagen auf das erhaltene Bild mit einem eigenen Foto, das er wiederum an einen dritten Fotografen schickt – der allerdings das Foto des ersten nicht kennt. Jeder kann frei darüber entscheiden, ob er das Thema des erhaltenen Fotos oder bestimmte Farben, Formen, Strukturen oder ein Detail herausgreift und dessen Geschichte quasi weitererzählt. Natürlich kann auch etwas komplett Gegensätzliches fotografiert werden. „Das Ganze ist eine Mischung aus Spontaneität und Planung. Und eine gute Idee, die sich in der vorgegebenen Zeit umsetzen lässt, ist natürlich auch hilfreich“, so Blendwerk-Mitglied Klaus-Peter Kehl. Jeder Fotograf kannte nur die Bilder, auf die er „antworten“ musste und seine eigenen. Die sechs Blendwerk-Fotografen – Klaus Baete, Jürgen Beuren, Hans Bittner, Michael Jacoby, Meinhard Jantz-Kondering und Klaus-Peter Kehl – haben die gesamte Fotostrecke so auch erstmals im November vergangenen Jahres komplett gesehen.

Die Fotogruppe "Blendwerk 01": Jürgen Beuren, Peter Kehl, Klaus Baete, Michael Jacoby, Meinhard Jantz-Kondering und Hans Bittner (v.l.n.r.).
Das Start-Foto ist auf dem Einladungs-Flyer zu sehen: Michael Jacoby hat die Vegesacker Stadtkirche unter düster-drohenden, grauen Wolken fotografiert. Kahle, dunkle Äste krallen sich in den bedrohlichen Himmel, die Gebäude wirken schief – die Welt scheint etwas aus den Fugen geraten zu sein. Das Foto könnte ein Symbolbild für die Corona-Zeiten sein, in denen es auch tatsächlich entstand. Wie der nachfolgende Fotograf auf dieses Bild „geantwortet“ hat, wird erst bei der Ausstellungseröffnung verraten.
31 Fotos ausgewählt
In der Ausstellung „Cadavre exquis – Ein Experiment“ sind 31 Fotos zu sehen. Neben dem Betrachten der gewohnt exquisiten Fotografien besteht für die Ausstellungsbesucher der Reiz darin, zu entdecken, welchen Aspekt des vorherigen Fotos der Fotograf des nachfolgenden Bildes aufgegriffen hat. Um die Verbindungen zwischen den Bildern erkennen zu können, sei es darum sinnvoll, sie in der vorgegebenen Reihenfolge zu betrachten. Außerdem sind die Besucher dazu eingeladen, sich eine eigene Fortsetzung vorzustellen.