Der japanische Diplomat Chiune Sugihara rettete während des Zweiten Weltkrieges mehreren Tausend Juden das Leben. Trotzdem ist Sempo, wie er auch genannt wurde, hierzulande kaum bekannt. Um das zu ädern, hat der Nordbremer Autor Andreas Neuenkirchen, der seit 2016 in Tokio lebt, nun ein Buch über ihn geschrieben.
Durch einen Artikel in einer englischsprachigen japanischen Zeitung ist Neuenkirchen erstmals auf Chiune Sugihara aufmerksam geworden. "Ich habe mich damals sehr darüber gewundert, dass ich zuvor noch nichts von ihm gehört habe", erzählt er. "Schließlich ist das doch eine ganz erstaunliche Geschichte." Vor diesem Hintergrund hat Neuenkirchen sofort darüber nachgedacht, ob er nicht ein Buch über Sugihara schreiben sollte. "Die Idee habe ich aber sofort wieder verworfen, weil ich dachte, wenn es dafür genug Material gäbe, hätte schon längst jemand ein Buch über ihn herausgebracht", erinnert er sich.
Einige Zeit später kam der Autor erneut mit der Lebensgeschichte des Diplomaten in Berührung. "Ich habe an einem Fernsehprojekt mitgearbeitet, aus dem ein Mehrteiler über Chiune Sugihara werden sollte", berichtet Neuenkirchen. "Daraus ist zwar nichts geworden, aber während ich daran gearbeitet habe, konnte ich feststellen, dass es durchaus jede Menge Material über ihn gibt." Sogar etliche Bücher über Sugihara konnte er ausfindig machen. "Nur eben nicht auf Deutsch", sagt er. "Da es gerade in Deutschland naheliegend ist, das Thema zu bearbeiten, habe ich mich eben selbst daran gemacht."
Also hat er zunächst sämtliche Texte gelesen, die er in englischer Sprache finden konnte. Manche Schriftstücke gab es allerdings nur auf Japanisch. "Weil mein Japanisch nicht gut genug ist, um die Texte zu verstehen, musste meine Frau mir hierbei helfen", berichtet Neuenkirchen. "Teilweise haben sich die Quellen jedoch gegenseitig widersprochen, weshalb ich zunächst eruieren musste, welche aktueller sind." Darüber hinaus hat er sich auch mit mehreren Historikern ausgetauscht. Nur von Gesprächen mit Nachfahren Sugiharas hat er Abstand genommen. "Die Familienmitglieder sind sich nicht eins, wie die Geschichte zu erzählen ist", sagt Neuenkirchen. "Da sticht man in ein Wespennest."
Das Ergebnis seiner Recherchen ist kürzlich als Sachbuch erschienen. "Ich habe mir auch kurz darüber Gedanken gemacht, ob ich nicht einen Roman über Sugihara schreibe", berichtet der Wahl-Japaner. "Aber weil die Geschichte in Deutschland eben so unbekannt ist, wollte ich sichergehen, dass die Leser verstehen, dass es sich hierbei um eine wahre Geschichte handelt. Deswegen halte ich ein Sachbuch im Moment für wichtiger als einen Roman." Sugihara war japanischer Vizekonsul in Litauen, wo jüdische Flüchtlinge sein Konsulat aufsuchten. Der Diplomat galt als entschiedener Gegner von Tyrannei und Unterdrückung.
Unbekannt ist Chiune Sugihara nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern. "Deshalb hoffe ich, dass es Übersetzungsanfragen aus anderen Ländern gibt", sagt er. In Japan wird man sich für sein Buch aber höchstwahrscheinlich nicht interessieren. "Zum einen gibt es in Japan schon etliche Bücher über Sugihara, zum anderen erkläre ich auch ziemlich viel über das Land, was man einem Japaner natürlich nicht erklären muss."
Auch wenn Andreas Neuenkirchen gerade erst ein Buch herausgebracht hat, arbeitet er schon jetzt an seinem nächsten. "Mein derzeitiges Projekt hat geografische, zeitliche und thematische Überschneidungen mit dem Sugihara-Buch", sagt er. "Es geht da um das Milieu von Spionen und Journalisten im Tokio des Zweiten Weltkrieges." Konkret plant er eine Doppelbiografie eines Spions und eines Journalisten. Zurzeit befindet er sich allerdings noch in der Recherchephase. Läuft alles nach Plan, erscheint das Buch 2024.
Parallel dazu beschäftigt ihn aber auch immer noch ein Projekt aus seiner Heimat. Bereits seit einiger Zeit arbeitet er an einem Jugendroman, einem Vegesacker Metaroman. "Das Projekt liegt mittlerweile einigen Verlagen vor", sagt Andreas Neuenkirchen. "Doch bisher hat noch keiner zugeschlagen." Sollte sich auch in Zukunft kein Verlag finden, könnte er sich sogar vorstellen, das Projekt trotzdem zu beenden. So viel Spaß macht ihm die Arbeit an einem Buch über seine Vegesacker Heimat.