Ein Schlagzeug vor dem großen Altarbild mit Christus am Kreuz sieht man in der Kirche Alt-Aumund wohl nicht alle Tage. Und auch Saxofonklänge oder fernöstliche Musik von einem präparierten Klavier sind in der neogotischen Backsteinkirche eher ungewöhnlich.
Das Jazzfestival Bremen-Nord, das 2012 ins Leben gerufen wurde, konnte in diesem Jahr mit teils avantgardistischer und innovativer Musik in dieser Kirche einen reizvollen Kontrast schaffen. Die Konzerte fanden an zwei Tagen im Kito und der Evangelischen Kirche Alt-Aumund statt, wobei die Musikerinitiative Bremen, das Kulturbüro Bremen-Nord und die Agentur „Artgenossen“ miteinander kooperierten.
Klaus Fey von der Musikerinitiative Bremen freute sich, dass nicht nur Nordbremer, sondern auch zahlreiche Gäste aus Bremen-Stadt gekommen waren. „Allerdings hätte ich mir schon etwas mehr Publikum gewünscht“, sagt er. Jeweils rund 30 Besucher erlebten an den zwei Tagen insgesamt sechs musikalische Auftritte. Dabei ging das Gesamtprogramm weit über den Jazz hinaus und reichte von Interpretationen klassischer Musik bis zu einer zeitgenössischen Tanzinszenierung. Zwischen Unterhaltung auf hohem Niveau und anspruchsvoller innovativer Kunst wurde damit eine große Spannbreite geboten.
In der Kirche Alt-Aumund setzte der Saxofonist Eckhard Petri den Leitsatz des Jazzmusikers Ornette Coleman um: „Let `s play the music, not the background“. Denn Kompositionen von Johann Sebastian Bach wie die Cellosuite Nummer 3, von Petri auf dem Saxofon intoniert, eignen sich kaum als musikalische Kulisse, sondern erfordern die volle Aufmerksamkeit der Zuhörer. Eckhard Petri, der in verschiedenen Bands gespielt hat und auch an der Musikschule Bremen unterrichtet, bot mit seinen großartig gespielten Saxofon-Solos eine ausgewogene Mischung aus eigenen Kompositionen, improvisierten Standards und Werken von Bach über Alois Haba bis zu Astor Piazolla. Mit diesen Komponisten wurden auf dem Saxofon selten gehörte Klänge zum Leben erweckt: Denn der tschechische Musiker Alois Haba (1893 bis 1973) baute in seine Kompositionen auch zahlreiche kleinste Tonintervalle ein und wurde durch diese Art von „Mikromusik“ weltberühmt. Und mit Astor Piazolla (1921 bis 1992), der als Begründer des Tango Nuevo gilt, bekam der argentinische Tango ein derart hohes künstlerisches Niveau, dass sich die Kompositionen nicht mehr zum Tanzen, sondern nur noch zum Zuhören eignen.
Eckhard Petri zeigte auf dem Saxofon, welche Ausdrucksfülle in diesem Instrument steckt: wirbelnde Klänge, Töne, die ins Taumeln geraten, bis zu lang gedehnten, schwebenden Akkorden brachten Skalen von Emotionen zum Ausdruck – von Schmerzen über Jauchzen bis zum in sich ruhenden Wohlgefühl. Mit teils enormen Intervallsprüngen ließ Petri Gefühle in höchste Extreme fliegen, erzeugte er wirbelndes Chaos, Vibrieren und Schwirren oder auch ein Leiern und Quietschen – so wurden Themen zerschmettert oder in Bepop-Passagen überführt. Qual, Trauer und Glück lagen im virtuosen Spiel des Saxofonisten oft eng beieinander.
Nach einer kurzen Pause schritt der Choreograf Dietmar Kirstein langsam in Richtung Altar und schlug eine große, flache Trommel, entlockte ihr federnde, weit hallende Klänge. Als er den Chorraum der Kirche erreicht hat, begann Mirjam Rauch in langem, weißem Hemd einen Tanz. Ihre Bewegungen waren zunächst langsam und auf die Arme beschränkt. Dabei saß Dietmar Kirstein am präparierten Klavier und ließ zwei verzerrte Akkorde immer wieder erklingen.
In dieser minimalistischen Inszenierung nahmen die fließenden Bewegungen der Tänzerin langsam Fahrt auf, sie vollführte ihre mal knappen, mal ausgreifenden Bewegungen dabei auf dem Fußboden der Kirche, dem Gang und auch an den Seitenwänden. Das Piano, auf dessen Saiten der Schöpfer dieser Tanzinszenierung, Dietmar Kirstein, zum Beispiel einen Fensterschwamm, einen kleinen Ball und sogar ein Handy gelegt hatte, klang mal scheppernd, mal fernöstlich, konnte sich aber zum Beispiel auch wie eine Meeresbrandung anhören.
Mehr und mehr wurden die Zuhörer und Zuschauer durch die verhaltene Zen-Musik vom Piano und dem konzentrierten Tanz in eine meditative Stimmung versetzt. „Music transforms nature“ spricht Dietmar Kirstein, das Piano verlassend, in den weiten Raum der Kirche, doch auch Tanz und Geist würden Natur verwandeln, teilt er auf Englisch mit. „Der Komponist John Cage und der Choreograf Merce Cunningham üben einen großen Einfluss auf meine Stücke aus“, sagt Dietmar Kirstein nach der Aufführung, der er den japanischen Titel Ugoki, gleich Bewegung, gab.
Als die Tänzerin Mirjam Rauch am Ende der Inszenierung nur noch mit den Händen Bewegungen vollführt, meint man Blumen aufgehen und Schmetterlinge flattern zu sehen – Tanz wird zum Ausdruck von Natur – umgestaltet in Formen der Kunst.
Den Abschluss des Jazzfestivals in der Kirche Alt Aumund machte die Coburger Pocket Band mit Saxofon, Flöte, Piano, Kontrabass und Drums. Mit seinen Musikern spielte Gabriel Coburger mit viel Wärme und Energie und beendete das Festival mit wuchtigem, emotionsgeladenem Jazz.