Das Leben am Fluss hat Menschen immer gereizt. Flüsse fungieren als Landesgrenzen, Wasserwege, Nahrungsquelle, liefern Kühlwasser für Fabriken, locken Wassersportler und Erholungssuchende. Auf 42 Kilometern fließt die Weser von Hemelingen bis Rekum durch das Stadtgebiet Bremens. Vor allem der Charakter von Bremen-Nord ist geprägt durch Schiffbau, Walfang, Fischerei, Kahnschifffahrt und Lotswesen. DIE NORDDEUTSCHE stellt Menschen vor, deren Arbeitsplatz die Weser ist.
Broder Christiansen und das Wasser sind untrennbar. Auf die Idee könnte der kommen, der den Flusslotsen in seiner Freizeit trifft: Dann sitzt der Nordbremer mit Sicherheit gebeugt auf seinem 40 alten holländischen Stahlverdränger im Jachthafen Grohn und repariert den Keilriemen oder ein anderes Teil.
Dicht an dicht liegen die Boote an den Holzstegen. Das Wasser im Hafen gleicht einer spiegelglatten Fläche, umrahmt von üppigem Grün. An diesem Vormittag hat Broder Christiansen Bereitschaftsdienst, rechnet aber nicht damit, dass er vor dem Abend gerufen wird. „Das ist das Besondere an meinem Beruf, dass ich keine festen Arbeitszeiten habe“, sagt der Mann mit dem offenen Blick. „Ich habe acht Wochen Dienst und dann vier Wochen frei – wir feiern die Wochenenden und Feiertage sozusagen in einem Stück ab.“
Wenn Christiansen jedoch von einem Reeder gerufen wird, muss alles zügig gehen. Dann steigt der Nordbremer in ein Taxi und fährt zum jeweiligen Liegeplatz des Schiffes, für das die Reederei einen Lotsen bestellt hat. Etwa, wenn ein Massengutfrachter Sojabohnen aus Südamerika nach Brake bringt oder Stahlrollen abholt und nach Italien transportiert.
Christiansens Platz ist oben auf der Brücke beim Kapitän. Das Wort Lotse bedeutet so viel wie Weg-Sage-Mann. Als orts- und schiffskundiger Berater muss er allerdings nicht nur den Weg kennen: Er muss viele Dinge im Blick haben: Schiffe, Freizeitskipper und Fischerboote genauso wie die Technik an Bord und den Tidenhub. „Ein ausländischer Kapitän, der auf die Weser kommt, kennt die Strömungsverhältnisse nicht und auch die Windverhältnisse nicht“, sagt er. „Er kennt auch die Tiefenverhältnisse nicht, weiß nicht, wo die Weser unter Umständen zu flach für sein Schiff ist. In Bremen haben wir einen der größten Tidehube in Deutschland.“ Und manchmal wird es auf der Weser ganz schön eng.
Die Weser macht es Seeleuten nicht leicht: „Der ganze Bereich von Farge bis Bremen ist besonders anspruchsvoll“, urteilt der Fachmann, „weil das Revier nach Bremen hin immer enger wird.“ Während die Fahrrinne in Bremerhaven noch 200 Meter breit sei, messe sie in Bremen nur noch 150 Meter, nahe der Stephanibrücke zum Teil sogar nur noch 50 Meter. Die Schiffe sind 32,30 Meter breit und im Schnitt 200 Meter lang. Da kann es schon mal passieren, dass Broder Christiansen oben auf der Brücke laut „machine deadslow“ ruft, damit der Schiffsführer die Maschine auf niedrigste Geschwindigkeit runterfährt.
Kritisch ist im Revier vor allem die „Vegesacker Kurve“. Die liegt zwischen der Werft Abeking und Rasmussen und dem Dreimaster Schulschiff Deutschland. Es handelt sich um einen 90-Grad-Bogen, den Lotsen allenfalls im Modus „slow ahead“ (langsam) nehmen. „Wenn man da mit einem großen Schiff durch fährt, muss man aufpassen“, weiß der nautische Berater. Dabei denkt er an einen Beinahe-Unfall, bei dem der Rudergänger das Kommando nicht richtig umgesetzt hat.
Welches Schiff einen Lotsen benötigt, regelt die Lotsverordnung des Bunds. Die Lotsenbrüderschaft Weser I hat ein klar abgegrenztes Zuständigkeitsgebiet. „Es beginnt beim ehemaligen Weserbahnhof in der Nähe der Stephanibrücke und endet in Bremerhaven, wo die Lotsen der Brüderschaft Weser II übernehmen. Wir steuern alle Häfen an, Nordenham, Brake, Elsfleth und Bremen“, zählt Christiansen auf.
Warum Broder Christiansen zur See gegangen ist? Da muss er nicht lang überlegen. „Ich komme von der Insel Föhr, mein Vater hatte Kümos, Küstenmotorschiffe“, erklärt er seinen Hang zur Seefahrt, „da war klar, in welche Richtung es geht. Doch als ich mein Kapitänspatent hatte, lohnte das Geschäft mit den Kümos nicht mehr." Die kleinen Frachtschiffe zum Einsatz in küstennahen Gewässern seien aufgrund ihrer geringen Ladekapazität nicht mehr konkurrenzfähig gewesen.
Der 36-Jährige wurde Lotse, bereits mit 29 Jahren, wie er sagt. Dabei ist Lotse kein typischer Ausbildungsberuf. Broder Christiansen hat zunächst drei Jahre Schiffsmechaniker gelernt und anschließend das große Kapitänspatent erworben. 2013 wurde der Nordbremer bei der Lotsenbrüderschaft aufgenommen, wo er nochmals acht Monate ausgebildet und auf seine Belastbarkeit geprüft wurde, denn ein Lotse muss vor allem eins können: Ruhe bewahren.
„Es passiert schon mal, dass bei schlecht gewarteten Schiffen die Maschine ausfällt und das Ruder versagt, sodass sich das Schiff nicht mehr steuern lässt. Da muss man Notmaßnahmen ergreifen.“ Schlimmstenfalls rät Christiansen, den Anker zu schmeißen, um das Schiff abzubremsen. Wenn das passiert, wird es aufregend. Der 36-Jährige trocken: „Da ist an Bord in der Regel eine Menge los.“
Lotse sei ein begehrter Beruf unter Seefahrern, meint der Vater zweier Töchter. „Das Problem der Seefahrt ist offensichtlich das, dass man lange Zeit weg ist. Meine erste Tochter wurde 2007 geboren, die zweite 2010, damals habe ich mich bewusst entscheiden, Lotse zu werden.“ Denn anders als bei der Arbeit etwa auf einem Handelsschiff, die sich über mehrere Monate erstrecken kann, hat der Familienvater zwischen jedem Job bis zu 24 Stunden frei.
Die freie Zeit verbringt Broder Christiansen selten an Land, sondern am liebsten mit der Familie auf dem Wasser. „Vor allem im Sommer, wenn wir drei oder vier Wochen nach Holland fahren oder zu den ostfriesischen Inseln. Das hat immer einen guten Erholungswert.“