Frau Carneiro Alves, inwiefern beschäftigt Sie das Crack-Problem am Szenetreff?
Ich habe an einem Treffen im Ortsamt Vegesack teilgenommen. Wir überlegen dort zusammen mit den Anrainern und verschiedenen Stadtteilakteuren, was zu tun ist und wie man mit dem Crack-Konsum an diesem Ort umgehen sollte. Die Schulen und Kindergärten und ein Jugendfreizeittreff sind hier sehr nah und es ist schwierig, Menschen, die dort Crack konsumieren, für Hilfsangebote zu erreichen.
Gibt es Parallelen zur Situation am Bremer Hauptbahnhof?
Das Ausmaß ist sehr viel geringer, was aber nicht heißt, dass es hier nicht auch herausfordernd wird, das Problem zu lösen. Das Grundproblem von Crack ist in Vegesack das gleiche wie am Bremer Hauptbahnhof oder in Hannover.

Eva Caneiro Alves, Suchtreferentin im Gesundheitsressort.
Was ist das Hauptproblem bei Crack?
Crack hat ein hohes Suchtpotenzial. Das heißt, dass Menschen, die dauerhaft Crack konsumieren, schnell physisch abhängig werden. Der Konsum erfolgt meistens in sehr kurzzeitigen Zyklen, in denen ein rasanter Wechsel zwischen den Gemüts- und Gefühlszuständen die Ansprechbarkeit, auch für Hilfeleistungen, häufig sehr reduziert. Wir haben es hier mit einer neuen Qualität von Verelendung zu tun. Aus gesundheitlicher Sicht ist es wichtig, die Menschen auf Hilfsangebote hinzuweisen und sie gegebenenfalls dorthin zu begleiten. Das ist unter anderem das Ziel der aufsuchenden Sozialarbeit.
Gibt es neue Ansätze in der Suchthilfe?
Wir beteiligen uns an dem vom Ortsbeirat initiierten Beratungsprozess mit allen Beteiligten und eruieren unterschiedliche Maßnahmen. Die Schwierigkeit besteht darin, die gesundheitlichen, sozialen und ordnungsrechtlichen Ansatzpunkte und die Bedarfe aller Nutzer zu verbinden und zu berücksichtigen.
Leider gibt es noch keine medizinischen Substitutionsmittel für Kokain und Crack, sodass eine solche Hilfe den betroffenen Menschen aktuell nicht angeboten werden kann. Unsere Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard setzt sich daher in der Gesundheitsministerkonferenz für die Initiierung eines Bundesmodellprojekts zur Entwicklung solcher Medikamente ein. Bremen hat gegebenenfalls Interesse, sich an einem solchen Modellprojekt zu beteiligen.
Da viele der im öffentlichen Raum Konsumierenden schwerst- beziehungsweise mehrfachabhängige Menschen sind, prüfen wir aktuell auch alle Möglichkeiten, wie in Bremen baldmöglichst Diamorphinvergabe für diese Personengruppe ermöglicht und unterstützt werden kann. Diamorphinsubstitution ist nachweislich im Vergleich zu den üblichen Substitutionsmitteln wie Methadon oder Polamidon die wirksamere Behandlungsoption für Schwerstabhängige und bewirkt eine Absenkung des Beikonsums, bessere körperliche und psychische Gesundheit, erheblich verringerte Kriminalität und eine verbesserte soziale Einbindung. Es ist also das aktuell aussichtsreichste Medikament, das Risiko für Crack-Konsum und die damit verbundene Verelendung zu senken. Ein solches Angebot gibt es vermutlich wegen der hohen Ausstattungs- und Sicherungsauflagen noch nicht in Bremen.
Könnte Vegesack Adresse für eine Diamorphinpraxis sein?
Zunächst steht an, interessierte Ärzte beziehungsweise Institutionen zu finden, die die Verantwortung für eine solche Praxis in Bremen übernehmen möchten. Alle weiteren Fragen können erst dann geklärt werden.
Wem nutzt ein Toleranzraum?
Städte wie Hamburg oder Hannover haben gute Erfahrungen mit festgelegten Toleranzräumen gemacht. Die Gefahr bei Vertreibungen ohne eine Hin-Orientierung zu einer Aufenthaltsmöglichkeit an einem akzeptierten Ort ist, dass sich Drogenkonsumierende unkontrolliert andere öffentlichen Orte wie zum Beispiel Parkhäuser suchen, um dort zu konsumieren, was wiederum zu neuen Beschwerden führt. Wichtig ist, dass die an den Szenetreff angrenzenden Bereiche wie Schule, Kita und die Jugendeinrichtung nicht durch die Folgen des Drogenkonsums in Mitleidenschaft gezogen werden. Die aufsuchende Sozialarbeit am Szenetreff, die gerade unter Verantwortung des Vereins Inneren Mission durchgeführt wird, kann diese Probleme nicht lösen.
Vegesacks Streetworker sind an ihrer Belastungsgrenze…
Unter anderem deswegen wurde das Treffen im Ortsbeirat initiiert, um die notwendigen Maßnahmen zu benennen. Wenn die Rahmenbedingungen geklärt sind, können Aufgaben und Umfang der sozialen Arbeit an die entsprechenden Anforderungen angepasst werden. Das wird im Beratungsprozess abgestimmt.
Was können Sozialarbeiter tun?
Soziale Arbeit kann nicht verhindern, dass am Szenetreff Crack konsumiert wird. Aber es ist wichtig, auf die Menschen zuzugehen und Hilfe anzubieten. Das können zunächst ganz banale Hilfen zum Überleben und zur Grundversorgung sein, ohne Anspruch auf eine Konsumreduktion. Die kann sich dann ergeben, wenn sich die Lebenssituation etwas stabilisiert hat, zum Beispiel wenn wieder eine Unterkunft gefunden wurde. Viele Konsumierende sind körperlich stark geschwächt und psychisch destabilisiert. Aber manchmal gibt es einen Moment, in dem ihnen klar wird, dass sie Hilfe benötigen. Hier können Sozialarbeiter helfen. Was dann die nächsten Schritte sein können, ist höchst individuell.
Das Interview führte Patricia Brandt.