25 Meter lang, gut fünf Meter breit und der Bauch platt wie eine Flunder. Das Schiff, das vor rund einem Monat im Vegesacker Hafen neben dem Hafenwäldchen festgemacht hat, ist ein Hingucker. Weshalb nicht selten jemand stehen bleibt, der an der Hafenkante entlangspaziert. Und wenn dann zufällig gerade auch der Skipper an Deck zu tun hat, entspinnt sich meistens von Bord zu Land ein Schnack. Was den Holländer mit seiner schmucken "Eendracht" denn in den Vegesacker Hafen verschlagen hat, wollen die Leute meist wissen. Und Maurits Minnaard braucht für die Antwort eigentlich nur zwei Worte: die Liebe.
275 Kilometer Luftlinie trennen Bremen und das Ijsselmeer. Gut 350 Kilometer sind es, wenn man fährt. Zu viel, wenn zwei Menschen sich täglich sehen wollen. So könnte die romantische Geschichte beginnen, die der 50-jährige Holländer erzählt. Denn nur zwei Worte wären dafür entschieden zu wenig. Und auch, dass die Geschichte nur einer erzählt. So berichten beide, Maurits Minnaard aus Enkhuizen nahe Amsterdam und Natalie Brunotte aus Bremen. Seit gut anderthalb Jahren sind sie ein Paar. Gekannt hatten sie sich schon, bevor es so kam. Vom Segeln auf dem Ijsselmeer. Da lebten beide jeweils noch in einer anderen Partnerschaft. Vor drei, vier Jahren, erzählen sie, hätten sie beide eine Trennung erlebt – und später zueinandergefunden. Womit die Fragen auftauchten.
Alltag auf Probe
"Wie soll sich ein Paar kennenlernen, wenn einer von beiden von April bis Oktober auf dem Wasser ist?", blickt Maurits Minnaard auf den Beginn ihrer Liebe. "Wie soll man so herausfinden, ob man wirklich zusammenpasst?" Wie sollen der Mann, der vor zehn Jahren seinen Job als Unternehmensberater aufgab, um fortan auf seinem Schiff "und vom Wind" zu leben, und die Bremer Hoteldirektorin so etwas wie einen gemeinsamen Alltag finden? Erst mal auf Probe, lautete die Antwort.
Die 45-Jährige konnte in diesem Sommer für drei Monate unbezahlten Urlaub nehmen und entschied, in dieser Zeit zusammen mit ihrem Partner übers Ijsselmeer zu schippern. Sie tauschte ihre Bremer Wohnung gegen das Leben an und unter Deck. Die meiste Zeit zusammen mit 16 weiteren Menschen, die auf der "Eendracht" Fahrten gebucht hatten. Die bietet der Skipper auf seinem Plattbodenschiff, das im Jahr 1900 erbaut wurde und damals ein Original-Transportschiff für Kartoffeln, Kohlen oder Steine war, seit zehn Jahren an. Von April bis Ende Oktober können Familien, Firmen oder Freundeskreise mit Maurits Minnaard Törns auf Ijssel- und holländischem Wattenmeer erleben.
Die Fragen hören nicht auf
Schietwetter an Land, muckelige Wärme unter Deck. In der Ecke der Schiffsküche lodern in einem Ofen die Flammen. Das Paar hat Kaffee und Kekse auf den Tisch gestellt, den eine gepolsterte Eckbank rahmt. Die dreimonatige Testphase haben sie so gut gemeistert, dass sich beide nicht vorstellen mochten, die dann folgende Zeit nicht mehr miteinander zu verbringen. Obwohl es auch anstrengend war, räumt Natalie Brunotte ein und meint damit die "körperliche Herausforderung". Immer treppauf, treppab auf engem Raum. Oder die ungewohnte Arbeit, Taue zu ziehen. "Man glaubt gar nicht, was für ein Gewicht da dran hängt."
Dennoch: Schon während der drei gemeinsamen Monate auf dem Schiff hatte sich die Frage nach dem Danach aufgedrängt. "Was ist, wenn das Vierteljahr vorbei ist?" Den ganzen Winter über wieder getrennt zu sein, mochten sich beide nicht vorstellen. Dann, so die Idee, muss das Schiff eben nach Bremen. Der Kapitän baute die Segel ab, warf den Motor an und lenkte seine "Eendracht" Richtung Emden, fuhr über die Ems bis Leer und Papenburg, nahm Kurs auf den Küstenkanal und landete über Oldenburg und Elsfleth schließlich in Vegesack. Natalie Brunotte strahlt: "Jetzt sind wir zusammen und das ist echt schön."
Wird es ein Neuanfang?
Wenn da nicht im Hinterkopf schon wieder ein Haufen Fragen lauern würde: Wie geht es weiter? "Wie schaffen wir es, unser Leben zusammenzubringen?", sagt Maurits Minnaard. Für ihn startet im April im Ijsselmeer wieder die Geschäftssaison. Und seine Partnerin hat ihren festen Job in der Hotelleitung. Ob sie den nach 23 Jahren an den Nagel hängen soll? Einen Neuanfang nah an der Natur wagen? Die gastronomische Erfahrung auf dem Plattbodenschiff einbringen? Es sind viele Fragen, die Natalie Brunotte jetzt durch den Kopf schwirren. Nicht zuletzt diese: "Das Schiff geht Ende Februar wieder zurück", sagt die 45-Jährige. "Und die Frage ist: Bin ich mit drauf oder bin ich es nicht?"