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Traditionskneipe Warten auf den Zapfenstreich

Tage, Wochen, Monate: in absehbarer Zeit macht die Traditionskneipe "Bierzapfen" dicht. Der Gebäudekomplex an der Breite Straße wird abgerissen, die urige Kneipe muss weichen.
08.06.2022, 10:00 Uhr
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Von Christian Pfeiff/cp

Der Immobilienkomplex um das frühere „Scala“- und spätere „Gala“-Kino zählt im Internet bereits zu den „Lost Places“, den „vergessenen Orten“ der Hansestadt. Filme flackerten hier vor gut drei Dekaden zuletzt über die große Leinwand; die Vorführ- und Veranstaltungssäle wurden längst um verwertbare Technik und Mobiliar erleichtert.

Nur in der früheren Kinokneipe, die ihren Namen vor Jahrzehnten in „Bierzapfen“ änderte, herrscht nach wie vor kontinuierlicher Betrieb – wie lange noch, vermag aktuell niemand konkret zu sagen. Schließlich steht der Komplex auf der umfangreichen „To Do“-Liste des vor allem – wenn auch nicht nur – im Bremer Norden überaus aktiven und im Vorjahr mit dem Unternehmenspreis des Wirtschafts- und Strukturrats ausgezeichneten Bauunternehmens „M-Projekt“ und soll in absehbarer Zeit einem modernen Gebäudeentwurf weichen.

Wann genau der alte Gebäudekomplex an der Breiten Straße jedoch zunächst abgerissen wird und somit auch die Jahrzehnte alte Traditionskneipe verschwindet, ist derzeit noch nicht gänzlich vorhersehbar: „Wir haben zunächst eine Ankündigung erhalten, dass wir unseren Betrieb zum Februar 2022 einstellen müssen; anschließend jedoch eine Verlängerung bis Mai oder Juni erhalten“, informiert Jan Przybyllak. Er übernahm den „Bierzapfen“ vor mehr als 47 Jahren. Führt den Betrieb seither mit wechselnden Mitarbeiterinnen und traditionsbewusst.

Die Zeit scheint stehen geblieben

Tatsächlich wirkt das Innere der urigen Kneipe ein wenig, als sei hier die Zeit stehen geblieben. Ausstattung und Mobiliar wirken mindestens rustikal, jedoch keinesfalls heruntergekommen. Über der Musikbox, in der sich noch immer Musiktitel von als Medium nahezu ausgestorbenen CDs auswählen lassen, kündet ein ebenso großformatiges wie puristisches Konzertplakat von einem Auftritt der Engländer „The Troggs“ am 5. Dezember 1966 – lange, bevor Przybyllak den „Bierzapfen“ übernahm. „Ich war als Jugendlicher jedoch selbst auf diesem Konzert und habe das Plakat später von einem Gast geschenkt bekommen“, erzählt er.

Ob er sich in den ausklingenden Siebzigerjahren habe vorstellen können, dass der „Bierzapfen“ später einmal so etwas wie sein Lebenswerk darstellen würde? „Auf keinen Fall“, eröffnet Przybyllak und lacht. „Wir haben anfangs sogar verhandelt, damit unser erster Pachtvertrag nur fünf statt zehn Jahren laufen würde, dann aber vergessen, rechtzeitig zu kündigen – und so ging es dann doch irgendwie immer weiter“, erzählt der gelernte Maschinenschlosser. Er wollte die Kneipe ursprünglich nur neben seinem Hauptberuf betreiben, „bis ich feststellen musste, dass dies zeitlich nicht machbar ist“.

Schließlich gehört der „Bierzapfen“ zur aussterbenden Spezies jener Traditionskneipen, die nicht nur untrennbar mit ihrem Betreiber beziehungsweise Wirt verbunden sind, sondern ihre Pforten auch bereits am Vormittag öffnen. Im Übrigen eine Tradition aus jener Zeit, als die Kneipe in den großen Pausen oder nach verhauenen Klausuren noch von Oberstuflern des gegenüberliegenden damaligen Gerhard-Rohlfs-Gymnasium – der heutigen Oberschule – frequentiert wurde.

Früher schon vormittags geöffnet

„Das war damals normal, jede Kneipe in Bremen-Nord hatte bereits vormittags geöffnet“, blickt Przybyllak zurück. Auch dieser Usus wird im „Bierzapfen“ bis heute beibehalten – obwohl sich die einstige Vormittags-Zielgruppe im Laufe der Jahrzehnte veränderte und Jugendlichen der Zugang zu der Raucherkneipe im Jahr 2007 mit Inkrafttreten des Nichtraucherschutzgesetzes ohnehin generell verwehrt wurde. „Von der Schule kommen mittlerweile vormittags höchstens noch Lehrer vorbei, die in Pausen oder Freistunden mal in Ruhe eine rauchen wollen“, kommentiert Przybyllak und lacht erneut.

Ob er den Kneipenbetrieb vermissen wird, wenn der „Bierzapfen“ seinen Betrieb einstellen muss? „Das kann ich wohl erst sagen, wenn es tatsächlich soweit ist“, spekuliert der Gastronom, der das offizielle Renteneintrittsalter schon vor einigen Jahren überschritten hat.

Bisher entpuppte sich die angekündigte Schließung für den Betreiber eher als Segen denn als Fluch: Neben einer deutlichen Zunahme positiver Internetrezensionen, die den rustikalen Kneipencharme bisweilen geradezu euphorisch loben, kündigten auch zahlreiche frühere Stammgäste ihr zeitnahes abermaliges Erscheinen an. „Darunter sogar welche, die mittlerweile in Bonn oder sogar Kanada wohnen“, berichtet der Wirt und freut sich.

Unterdessen sichern sich heutige Stammgäste bereits frühzeitig ihren Anteil künftiger Andenken: „Was willst Du für den Dart-Automaten haben?“, wird Przybyllak von einem Tresengast gefragt. Doch er wiegelt ab: „Da ist schon ein Interessent dran, das scheint auch ziemlich sicher – ich sage Dir Bescheid, falls das nicht klappt.“ Andere Umsitzende mögen noch nicht so recht an den Abriss der lieb gewonnenen Stammlokalität glauben: „Das sollte hier alles schon so oft abgerissen werden und es ist doch nie passiert“, argwöhnt ein weiterer Gast.

Warten auf die letzte Runde

Dieses Mal scheint das Kneipen-Aus in absehbarer Zeit jedoch tatsächlich gekommen. Ein paar Wochen, vielleicht sogar Monate, dürften Przybyllak, seinen Stammgästen und Nostalgikern indes noch verbleiben, bis im „Bierzapfen“ zur endgültig letzten Runde geläutet wird. „Wir gehen davon aus, dass wir zum Herbst die Baugenehmigung haben und zum Jahresende mit dem Abriss beginnen werden“, informiert M-Projekt-Geschäftsführer Olaf Mosel auf Anfrage unserer Zeitung.

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