Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

BWK-Gelände Drei verlassene Orte

Nackte Steinwände, alte Seilzüge und Überreste von monströsen Maschinen: Hier können Sie einen Blick in zum Teil einsturzgefährdete Bauten auf dem früheren Gelände der Bremer Woll-Kämmerei werfen...
09.02.2022, 16:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Drei verlassene Orte
Von Patricia Brandt

Auf einem vermoderten Regalbrett steht ein altes Faxgerät. Wie eine lange Zunge streckt es den vergilbten Papierstreifen heraus. Das Schwarz der Schrift ist verschwunden, die Nachricht aus der Vergangenheit nicht mehr lesbar. Ob es ein letzter Auftrag war, bleibt eines der Geheimnisse in den verschlossenen Hallen. Ein Blick in drei denkmalgeschützte Gebäude auf dem ehemaligen Areal der Bremer Woll-Kämmerei. Vergessene Orte mit zugemauerten Räumen und Treppen, die ins Nichts führen. Überreste eines ab 1883 weltweit tätigen Unternehmens der Wolltextilindustrie.

Das alte Lager- und Sortiergebäude, Nummer 56.

Ein Mitarbeiter der Wirtschaftsförderung Bremen, der namentlich nicht genannt werden möchte, schließt das Schloss am Bauzaun vor dem 1910 errichteten Backsteinbau mit den Jugendstilelementen auf. „Anlieferung Chemikalien“, steht auf einem neueren Schild an der roten Fassade. Ein älteres, verrostetes mahnt „Langsam fahren“. Aus dem Mauerwerk dringen Wurzeln und Sträucher. Überall dort, wo Gärtner versucht haben, den Wildwuchs zu entfernen, sind Löcher in der Wand. Obwohl das Gebäude als einsturzgefährdet gilt, versuchen immer wieder Unbekannte, sich gewaltsam Zutritt zu verschaffen. Am Boden liegen Glassplitter.  

Lesen Sie auch

Das kaputte Fenster offenbart den Blick auf eine alte Maschine. Hier, im alten Sortiergebäude, verarbeiteten bis zu 1000 Beschäftigte, zumeist Frauen, Schafswolle aus Übersee. Sie zerrissen das ausgebreitete Wollflies von Hand, um bessere von schlechterer Qualität bei der Rohwolle zu trennen. Detlef Gorn von der Initiative Kämmerei Blumenthal hat das für die Stadt Bremen recherchiert. Nach 1979 wurden hier Polyestergarne mit dem Ziel texturiert, glatten Kunstfasern die Charakteristik von Wolle zu verleihen.

Es riecht feucht und muffig. Wasser dringt durchs Dach und bahnt sich seinen Weg durch das dreigeschossige Gebäude. Nach zwei Tagen Regen sammelt sich unten eine Pfütze. Der Fußboden hat sich durch die Feuchtigkeit abgesenkt. Ein Klirren erklingt. Die Suche nach der Ursache für das Geräusch führt in einen Raum mit nackten Steinwänden und Graffits: Es ist nur der Wind, der mit einer losen Glasscherbe in einem der Rundbogenfenster spielt.

Das neuere Sortiergebäude von 1915, Nummer 43

Einige Räume sind renoviert, bunt gestrichen. In dem blauen Zimmer  hat jemand ein herrenloses Fahrrad abgelegt. Dort, wo in Zukunft Bremens Berufsschüler unterrichtet werden sollen, befand sich einst auch das TV-Kommissariat eines Senders, der das Geiseldrama von Gladbeck drehte. Tischler bauten im oberen Stockwerk Schreibtische für die Schauspieler auf.

Lesen Sie auch

Doch auch hier bestehen Sicherheitsmängel: 2017 quartierte die Eigentümerin kurzerhand die Ausstellung des damaligen Fördervereins des Kämmereimuseums aus, die in den Räumen untergebracht war. Da war der „Palast der Produktion“, ein temporäres Laboratorium zur Erprobung neuer Arbeitsformen längst verschwunden. An einer Wand erinnert ein Schriftzug daran, dass sich Menschen an diesem brach gefallenen Ort der Industriegesellschaft mit dem Thema Arbeiten auseinandergesetzt haben: „Labor der Zukunft“, steht dort.  

Der  Hochbau, Nummer 91

Die Metalltür ist derart verbogen, dass sie kaum noch aufzubekommen ist. Es ist eins der ältesten und prägnantesten Produktionsgebäude auf dem Areal an der Weser und stammt aus dem Jahr 1892/1893. Wer hinein geht, betritt bald darauf eine Halle mit gekacheltem Boden. Vor einer Reihe grau lackierter Klappfächer finden sich einige helle Wollfetzen: Zuletzt wurden im Krempelhochbau Kämmlinge, kurze Fasern für die Teppichverarbeitung, bevorratet, gepresst und verschickt. Im Schummerlicht sind am Boden noch die Hydraulikstempel der Presse zu erkennen.

Die alten Krempelmaschinen, die bis 1965 ihren Dienst taten, sind längst aus dem Gebäude verschwunden. Nur die mehrsprachigen Schilder, die an verrosteten Haken von der Decke baumeln, warnen noch vor den damaligen Gefahren für die Beschäftigten: „Es ist verboten, die laufenden Maschinen zu reinigen.“ Die scharfkantigen Walzen der Krempel öffneten, mittels Transmission angetrieben, die gewaschenen und getrockneten, aber ungeordneten Wollbüschel. So wurde ein großer Teil pflanzlicher Verunreinigungen ausgeschieden.

2009 wurde die Verarbeitung von Rohwolle am Bremer Standort nach 125 Jahren eingestellt. Doch noch immer birgt das BWK-Gelände seine Geheimnisse. Davon zeugt das Loch in einer Wand im Treppenaufgang. Es ist etwa einen Quadratmeter groß. Dahinter sind im Dunkeln einige Holzstufen zu erkennen. Warum es mehrere Aufgänge gab und wohin die versteckte Treppe führt, weiß selbst die Eigentümerin des Gebäudes nicht.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)