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Nowak über die Vegesacker Einkaufsmeile "Die Zentren müssen lernen"

Der Online-Handel setzt den stationären Handel wie in Vegesack zunehmend unter Druck. Deshalb müssen die Zentren ihre Kräfte bündeln und sich neu inszenieren, sagt Karsten Nowak von der Handelskammer.
17.07.2019, 20:30 Uhr
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Von Michael Brandt

Herr Nowak, kaufen Sie im Internet ein?

Karsten Nowak: Gelegentlich ja. Im Wesentlichen sind es Artikel, bei denen ich Schwierigkeiten habe, sie im örtlichen Handel zu finden. Idealerweise sind das auch Waren, bei denen man nicht zwingend eine Beratung braucht.

Das klingt, als machten Sie sich vorher bewusst Gedanken darüber.

Ja, ich mache das sehr bewusst, weil ich viel Wert darauf lege, dass das stationäre Angebot erhalten bleibt.

Seit mindestens fünfzehn Jahren wird im Zusammenhang mit Onlinehandel vor einem Sterben des örtlichen Handels gewarnt. Es gibt ihn aber noch. Sind die Warnungen also überzogen?

Es gibt keine unmittelbare Kausalität zwischen Online-Handel und dem Sterben von Geschäften. Ich glaube, dass der stationäre Handel sich deutlich mehr mit den Vertriebsmöglichkeiten des Online-Handels auseinandersetzen muss. Er muss nach eigenen Absatzmöglichkeiten suchen und ein starkes Bündnis mit den Akteuren in seinem Quartier schließen. Die Frequenz kommt nicht mehr allein in die Zentren, sondern die Zentren müssen aktiv um die Frequenz werden. Früher sind die Menschen selbstverständlich ins Zentrum gegangen, weil es keine Alternativen gab. Heute ist das nicht mehr so. Wir werden also zu ganz neuen Angeboten in den Zentren kommen müssen. Es gibt neue Handelsformen, bei denen die Ware zum Beispiel nur präsentiert und dann online gekauft wird. Man kann auch direkt im Laden am Tablet kaufen oder, oder, oder ... Es gibt ein Bündel möglicher Formen.

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Wie wichtig bleibt der persönliche Kontakt?

Ich bin sicher, dass es einen erheblichen Anteil von Menschen gibt, denen der persönliche Kontakt weiter sehr wichtig bleibt. Menschen sind soziale Wesen, sie leben von der Interaktion. Dass allein auf dem digitalen Weg auszuleben, ist es nicht. Die Menschen suchen den persönlichen Kontakt. Trotzdem wird die Erwartungshaltung von Kunden eine andere. Da bauen sich aufgrund der Digitalisierung andere Ansprüche auf. Aber grundsätzlich bleibe ich dabei: Digitaler Kontakt ersetzt nicht die persönliche Interaktion. Wenn sich der persönliche Kontakt aufbaut, ist das ein Wert für sich.

Welche Funktion übernehmen örtliche Geschäfte über den reinen Verkauf hinaus?

Der Einzelhandel ist in Deutschland die drittgrößte Wirtschaftsbranche. Das Rückgrat sind die vielen kleinen und mittleren Unternehmen mit bis zu sechs Mitarbeitern. Ihr Anteil liegt immer noch bei 80 Prozent. Das macht auch die Qualität der Stadtbezirke aus. Sie sorgen für Aufenthaltsqualität. Das merkt man erst, wenn die Unternehmen nicht mehr vorhanden sind. Dazu kommen dann Gastronomie und Dienstleister und sorgen für eine gute Mischung. Dadurch bildet sich letztlich ein Stadtzentrum. Auf der Straße entsteht etwas, ein Ort, der Menschen anzieht. Wir sprechen von Urbanität. Wenn Menschen an einen neuen Ort ziehen, dann geht es auch um die Versorgungsqualität. Dann lautet die Frage nicht: Wie schnell kann mich Amazon beliefern? Das Hauptmerkmal, der Nucleus der Zentren, ist der Handel selbst.

Blumenthal liefert ein Beispiel dafür, was passiert, wenn dies wegbricht.

Genau. Das ist ein Beispiel dafür, bedauerlicherweise. Dahinter steckt aber nicht allein die Digitalisierung, die Entwicklung in Blumenthal hat auch etwas mit dem Strukturwandel insgesamt zu tun.

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Welche Probleme beziehungsweise Vorteile hat der Standort Vegesack?

Eine Stärke wird die Neunutzung des Haven Höövts. Ich bin optimistisch, dass das positiv zum Versorgungsangebot beitragen kann. Eine weitere Stärke ist die attraktive Kleinteiligkeit, die Vegesack mit seinen Einkaufsstraßen bietet. Das hat Potenzial über Vegesack hinaus. Ich glaube aber, dass Vegesack ein Wahrnehmungsdefizit hat und die Angebote nicht so recht bekannt sind. Es gibt ganz tolle Alleinstellungsmerkmale auch mit den Angeboten im Umfeld wie dem Stadtgarten und Knoops Park. Die Events in Vegesack sind eine weitere Stärke des Standorts. Eine Schwäche, die ich eher grundsätzlich sehe, ist, dass die Verbindung von Handel, Gastronomie und Events noch einmal grundlegender gedacht werden muss. Da müssen die Zentren von der Inszenierung und der Gestaltung der Einkaufszentren lernen. Es muss viel mehr gelingen, das gewachsene Zentrum zu einem Erlebnisraum zu machen. Es ist eine Gemeinschaftsaufgabe, das Stadtzentrum zu erhalten. Das kann der Handel nicht allein leisten, das müssen die Akteure vor Ort zusammen angehen. Auch die Immobilieneigentümer sind in diesem Prozess wichtige Partner.

Aber es mangelt in der Regel an Einigkeit, in Vegesack ist ein sogenannter Business Improvement District nicht zustande gekommen.

Die Vielzahl an Einzelstimmen lässt es manchmal schwer werden, etwas Ganzes hinzubekommen. Das muss aber ein Thema bleiben. Viele müssen sich am Dialog beteiligen und auch den Mehrwert erkennen. Man wird zunehmend Schwierigkeiten bekommen, wenn alle nur einzeln handeln.

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Wie bewerten Sie die Aktion „Heimat shoppen“?

Ich finde die Aktion sehr gut. Im Alltag ist es im Geschäft doch so, dass ein Gespräch über die Situation des Handels nicht stattfindet. „Heimat shoppen“ ist eine gute Gelegenheit, mit den Kunden dieses Gespräch zu führen. Das Bewusstsein der Kunden ist nicht immer vorhanden. Es ist ja nicht illegitim, seinen Bedarf digital zu decken, aber man muss die Folgen bedenken. Der Online-Handel macht heute zehn bis zwölf Prozent des Gesamtvolumens aus. Die Betroffenheit der Branchen ist dabei sehr unterschiedlich. Während wir bei Bekleidung einen Online-Anteil von perspektivisch 35 Prozent erwarten, wird es bei Nahrungs- und Genussmitteln sowie Drogeriewaren 2025 erwartungsgemäß bei sieben Prozent bleiben.

Müssen die Händler nicht im Alltag überzeugen, statt Einkaufstaschen zu verteilen?

Wenn man dafür sensibilisieren kann, wie viel Steueraufkommen, Ausbildungsplätze, Praktika und Ähnliches durch die Summe der vielen Händler entsteht, dann ist schon viel erreicht. Wir sind froh, wenn die Aktionstage am 13. und 14. September genutzt werden, um in vielfältiger Form auf die Situation des Handels aufmerksam zu machen. Natürlich sind dem Grenzen gesetzt, weil die Händler in der Regel sehr stark ins Geschäft eingebunden sind. Selbst eine Schaufensterdekoration kann schon helfen. Es geht erstmals darum, die Botschaft zu transportieren.

Wenn Sie zehn Jahre in die Zukunft blicken – was macht dann die Vegesacker Fußgängerzone aus?

Die Mischung ist entscheidend. Ich erwarte bei einem Besuch in der Einkaufszone von allem etwas. Hier habe ich meinen Metzger, meinen Bäcker, da habe ich meine Geschäfte. Zu den Händlern habe ich meinen persönlichen Bezug. Das ist für mich ein Stück Lebensqualität. Dafür gebe ich unter Umständen auch einen Euro mehr aus.

Das Gespräch führte Michael Brandt.

Zur Person

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Karsten Nowak ist Geschäftsführer des Bereichs Einzelhandel der Handelskammer Bremen.

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