Meterhohe Betonhalden auf der einen Seite, Container mit verrostetem Eisen auf der andere – und dazwischen Frauen und Männer, die durch Matsch waten. Alle tragen schwere Schuhe, Warnweste, Helm. Es ist Projektbesprechung und, wenn man so will, auch eine Art Schichtwechsel. Über Monate waren Arbeiter da, die auf ihren Jacken den Schriftzug von Hansewasser oder Wesernetz hatten. Inzwischen ist ein anderer Firmenname überall zu lesen: Deutsche Bahn Netz AG. Der Brückenneubau an der Hermann-Fortmann-Straße geht jetzt richtig los.
Dass die Konzerntochter das Gelände in Grohn allein für sich hat, ist relativ neu. So neu, dass im Konferenzraum des Bürocontainers noch Stühle fehlen und in der Küchenzeile die Kaffeemaschine. Sebastian Dopp sagt, dass Hansewasser und Wesernetz seit einigen Wochen weg sind. Und dass alles, was bisher auf dem Gelände passiert ist, reine Vorbereitung auf die Arbeiten an der Eisenbahnbrücke war. Der Baustellen-Überwacher spricht von Kanalrohren, die für die Dauer des Neubaus verlegt werden mussten. Und davon, dass sie später, wenn alles fertig ist, wieder dorthin zurückkommen, wo sie mal waren.
Auch jetzt wird vorbereitet. Bisher war vor allem das Gelände eine Baustelle, in diesem Monat soll es nun endgültig die Brücke werden, indem sie eine Hilfskonstruktion obendrauf bekommt. Die soll dafür sorgen, dass oben die Züge weiter pendeln können, während darunter der Altbau abgerissen wird. Arbeiten unter rollenden Rädern sagt die Bahn dazu. Peter Karl und Nils Adam nennen das Konzept anders: fahren und bauen zugleich. Der Manager der Deutschen Bahn Netz AG und der Projektleiter finden, dass das die Sache besser trifft, weil das Erste dramatischer klingt, als es ihrer Meinung nach ist.
Die Männer stehen unter der Brücke. Karl zeigt auf die Stahlkonstruktion über ihnen, Adam auf die Betonwände rechts und links davon. Alles soll weg. Der Stahl ist schadhaft, der Beton nicht mehr so belastbar, wie er einmal war. Die Eisenbahnbrücke stammt aus dem Jahr 1919 – und hat damit die Grenze ihrer Haltbarkeit erreicht. 100 Jahre, dann ist bei allen Bauten dieser Art allmählich Schluss. Baustellenchef Dopp sagt das. Karl und Adam nicken. Sie haben zurzeit mehrere Projekte, die ähnlich sind. Nachher muss Karl noch nach Bremerhaven, wo die Brückenarbeiten schon weiter sind.
Und alle laufen im Grunde nach ein und demselben Muster ab. Der Bahn-Manager spricht von einem standardisierten Verfahren: Die Brücke bekommt eine Hilfsbrücke obendrüber, die breiter und länger ist als die bisherige. Die Maße sind deshalb anders, um zum einen die marode Stahlkonstruktion darunter besser ausbauen und ersetzen zu können. Und um zum anderen genügend Platz für zwei provisorische Stützbauten zu haben, damit die bisherigen Betonelemente rechts und links der Gleisplattform Stück für Stück abgerissen und von Grund auf neu aufgebaut werden können.
Klingt simpel, ist aber komplex. Wie vielschichtig das Projekt ist, macht eine Zahl deutlich. Sie lautet 2017 – und steht für das Jahr, in dem die Planungen für den Neubau der Grohner Brücke begonnen haben. Beteiligt sind an dem Vorhaben nicht nur Entsorger Hansewasser und Versorger Wesernetz, sondern auch die Netzbetreiber EWE und Telekom, die Bremer Straßenbahn AG, die Nordwestbahn, ein Straßenbauunternehmen und eben die Deutsche Bahn Netz AG. Jede Bauetappe ist durchgetaktet, auch wann auf der Gleisstrecke vorübergehend weder Pendler- noch Güterzüge fahren werden.
Ganz ohne Sperrungen geht es nicht. Mehrmals muss der Schienenverkehr eine Zwangspause einlegen. Und jedes Mal hat das mit der Hilfsbrücke zu tun – mal, weil sie eingebaut, mal, weil sie ausgebaut werden muss. Dopp, Karl und Adam gehen davon aus, dass der Abschnitt jeweils einige Tage lang dichtgemacht wird. In diesem Monat voraussichtlich zum ersten Mal. In der nächsten Woche soll jedenfalls damit begonnen werden, die Pfähle zu verankern, die später die Stützelemente für die Hilfsbrücke halten sollen. 30 bis 40 Arbeiter werden dann zeitgleich auf der Baustelle sein.
Schnell muss es gehen, weil der Zugverkehr so wenig wie möglich eingeschränkt werden soll. Die drei Planer sagen das häufiger. Und auch, dass alles im Zeitplan ist. Zumindest Stand heute. Im Herbst nächsten Jahres soll die neue Brücke fertig sein. Dann übernehmen wieder Hansewasser und Wesernetz. Und die Straßenbauer. 2025 soll die Hermann-Fortmann-Straße freigegeben werden. Dass noch etwas dazwischenkommen könnte, weil momentan nicht jeder Baustoff sofort verfügbar ist, halten die Projektpartner für unwahrscheinlich. Alles ist eingekauft. Und zwar zu alten Preisen. 18,3 Millionen Euro sind für den Brückenneubau veranschlagt.