Der Gruppenraum der Mohnblumen unterscheidet sich – zumindest auf den ersten Blick – nicht groß von den anderen bei den Blumen-Kids. Silvia Angrick sieht es aber trotzdem sofort: "Der Raum ist deutlich barrierefreier als die anderen Räume", sagt die Erzieherin. Damit können dort auch Kinder mit einem besonderen Förderbedarf betreut werden. Und genau dieses Angebot macht das Kinderhaus der Hans-Wendt-Stiftung zu einem mit Modellcharakter.
Barrierefrei ist der Raum vor allem in Bezug auf die Schränke. So gibt es in der Nachbargruppe zum Beispiel Ablagen für die Erzieher und die Mappen der Kinder. Als die Einrichtung eröffnet wurde, standen solche Möbelstücke auch bei den Mohnblumen. Doch mittlerweile wurden sie abgebaut. Das Problem: Die Kleinen wollten ständig an die Schränke ran – auch wenn dort gar nichts für sie gelagert wurde. Entsprechend häufig mussten Angrick und ihre Kollegen nein sagen. "Regelgruppenkinder können das gut akzeptieren, für Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung ist das aber unglaublich schwierig", sagt sie. Um die Mädchen und Jungen nicht immer wieder in die Schranken weisen zu müssen, wurde der Gruppenraum – in Absprache mit den Frühförderkräften – entsprechend umgestaltet. "Das hat den Vorteil, dass wir nun immer sagen können: 'Du kannst, das geht'", erzählt die Pädagogin.
Vorbereitung auf reguläre Gruppe
Alles in allem kommt die Einrichtung momentan auf fünf Gruppen, zwei davon sind sogenannte Schwerpunkt-Plus-Gruppen. Eine fokussiert sich auf den Bereich Sprache, die andere – die Mohnblumen – auf den Übergang. In der werden aber nicht nur Kinder mit einem erhöhten Förderbedarf betreut. "Die Gruppe wird mit Mädchen und Jungen aufgefüllt, die einen einfacheren Einstieg in den Kita-Alltag benötigen, zum Beispiel weil sie besonders schüchtern sind", erklärt Nadine Wernicke, pädagogische Leiterin der Kinderhäuser. Von denen gebe es zurzeit vier in der Gruppe, fünf hätten einen anerkannten Förderbedarf. Sobald die Kleinen fit für die reguläre Betreuung sind, wechseln sie in eine andere Gruppe. Deshalb firmieren die Mohnblumen auch unter dem Titel Übergang.
Und zu dem gehört auch die Arbeit mit sogenannten Sensorikplatten. Die können sowohl mit geschlossenen als auch mit geöffneten Augen ertastet werden. "Der Tastsinn wird allerdings deutlicher wahrgenommen, wenn die Augen geschlossen sind", sagt Hendrik Sandermann, der als Logopäde bei den Blumen-Kids arbeitet. Aufgabe der Kinder sei es dann zu beschreiben, was sie fühlen: Sind die Platten weich, hart oder spitz. Dabei lernen die Kleinen unterschiedlichste Materialien kennen. "Was für uns ganz selbstverständlich ist, ist vor allem für Kinder mit besonderen Bedürfnissen völlig neu", sagt Angrick.
Aus diesem Grund nutzt die Pädagogin auch keine gekaufte Knete, sondern stellt sie – gemeinsam mit den Mädchen und Jungen – selbst her. "Die Knete sieht so ähnlich wie ein Maoam-Kaubonbon aus und hat eine weiche, schöne, warme Konsistenz", erzählt sie. Darüber hinaus arbeitet Angrick regelmäßig mit Wasser und Papierhandtüchern. "Die nehmen sich die Kinder selbst aus dem Waschraum, machen Seife darauf, um dann zu fühlen und zu quetschen", schildert sie.
Schwerpunkt auf das Thema Sprache
Bei derartigen Projekten geht es aber nicht nur darum, unterschiedliche Materialien kennenzulernen. "Solche Handlungen werden ganz intensiv mit Sprache begleitet", sagt Sandermann. "Das zu verknüpfen, ist für die Kinder hier ein großer Gewinn."
Lerneffekte erzielen die Kleinen darüber hinaus auch bei alltäglichen Dingen. "Ein Kind mit Autismus konnte so zum Beispiel lernen, in welcher Reihenfolge man sich die Hände wäscht", sagt die Pädagogin. Darüber hinaus legen die Fachkräfte viel Wert darauf, dass die Kleinen selbstständig werden. "Die Teilhabe steht hier ganz zentral in der Gruppe", erklärt Sandermann. "Das wird – was im Alltag sonst vielleicht schwierig ist – engmaschig begleitet. Aber wir nehmen uns die Zeit und wiederholen viel." Und so können auch Bastelobjekte wie ein blauer Fisch aus Pappmaché entstehen. Nur war der nicht nach Tagen, sondern erst nach Wochen fertig.
Weitere Unterstützung bekommen die Kleinen von einer Ergotherapeutin. Und mit der tauschen sich die Erzieherin und der Logopäde regelmäßig aus. "Dadurch ist der Blick viel umfassender, als wenn – wie in einer klassischen Gruppe – 20 Kinder auf zwei Erzieherinnen kommen", sagt Sandermann. "Ich selbst habe hier viel gelernt, was nicht Teil meiner Erzieherausbildung war", ergänzt Angrick. So habe sie von der Ergotherapeutin erfahren, weshalb ein autistisches Kind ständig alles in den Mund nimmt.
Wie lange es diese speziellen Angebote noch gibt, ist allerdings offen. "Die Förderung läuft zum Sommer aus", sagt Wernicke. "Deshalb müssen wir davon ausgehen, dass es die Schwerpunkt-Plus-Gruppen nach den Ferien nicht mehr gibt. Und das macht uns sehr traurig, weil es einfach sehr gut läuft."
Nach den Worten von Patricia Brandt wurde das Projekt mit einer Laufzeit von zwei Jahren angelegt. "Jetzt steht eine Überprüfung des Modellvorhabens an, ob und inwieweit das Projekt den gewünschten Effekt erzielt hat", sagt die Sprecherin von Kinder- und Bildungssenatorin Sascha Karolin Aulepp (SPD). "Dazu klären wir, ob ausreichend Kinder erreicht wurden und ob die Kitas durch das Projekt tatsächlich entlastet werden konnten oder ob gegebenenfalls Anpassungen notwendig sind, um den betroffenen Kindern die bestmögliche Förderung zukommen zu lassen." Dabei stelle die Behörde nicht infrage, dass bei vielen Kindern weiterhin ein Sprachförderbedarf bestehe. Genauso sei es unbestritten, dass sich das Ressort dieser Herausforderung weiterhin stellen müsse und wolle.