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Spatenstich Gemeinschaftlicher Hausbau startet diese Woche im Bremer Norden

Ende 2016 ist ein Projekt gestartet, das es so im Bremer Norden noch nicht gegeben hat: Eine Gemeinschaft baut das Haus, in dem es wohnen will. Wie das Vorhaben vorangeht – und wann es fertig werden soll.
20.10.2019, 20:35 Uhr
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Gemeinschaftlicher Hausbau startet diese Woche im Bremer Norden
Von Christian Weth

Lehmanns haben früher nie darüber nachgedacht, wie sie im Ruhestand mal wohnen wollen. Oder mit wem. Jetzt sprechen die Eheleute ständig darüber. Jeden Freitag. Seit mehr als einem Jahr machen sie das. Damals trafen die Lehmanns die Saeveckes und die Bergmanns, denen es ähnlich geht: Das eigene Haus ist ihnen zu groß und leer, seit die Kinder weg sind. Darum planen sie jetzt ein neues, das so im Bremer Norden noch nicht gebaut wurde – gemeinschaftlich. Wofür sich immer mehr Menschen entscheiden.

Sie sitzen diesmal zu elft am Tisch. An der einen Seite die Lehmanns und die Saeveckes, an der anderen die Bergmanns – und rechts und links neben ihnen mal ein weiteres Paar, mal ein Single. Im Sommer vergangenen Jahres waren sie noch nicht mal halb so viele. Aus drei Parteien, die zusammen im Tauwerkquartier wohnen und bauen wollen, sind mittlerweile sieben geworden. Und aus künftigen Nachbarn inzwischen Geschäftspartner. Jeder aus der Gruppe ist Kommanditist einer GmbH und Co. KG. Die Gesellschaft hat vor Kurzem das Grundstück gekauft, auf dem gebaut werden soll. In dieser Woche soll es losgehen.

Architkekt und Projektberater

Ronald Kirsch sagt das. Der Mann sitzt am Kopfende. Er ist der Architekt – und Joachim Böhm der Projektberater. Beide sind immer dabei, wenn sich die Gruppe trifft. Es ist nicht das erste Haus, das Kirsch entwirft, bei dem es viele Bauherren gibt und für Böhm nicht das erste kollektive Wohnprojekt, bei dem er als Moderator auftritt. Zusammen haben sie das Vorhaben vorbereitet, zu einem Ende führen muss es die Gemeinschaft. Sie bestimmt, was werden soll und wie. Kirsch und Böhm geben ausschließlich den Rahmen vor. Es ist ein Prozess, den sie begleiten. Und der kann bei sieben Parteien dauern.

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Nichts wird dem Zufall überlassen, alles diskutiert: die Höhe der Fenster, die Form von Lampen, die Zugänge zum Garten. Es gibt eine Liste, auf der verzeichnet ist, welche Details geklärt und welche noch offen sind. Momentan wird darüber debattiert, wie die Farbe der Fassade sein soll. Sechsmal haben Lehmanns, Saeveckes, Bergmanns und die anderen ihre Argumente ausgetauscht, nur endgültig einigen konnten sie sich nicht. Auf der Zeichnung, die alle vor sich haben, ist das Haus oben weiß, unten beige und an der Seite grau-grün gemustert. Es ist ein Entwurf des Architekten, aber längst nicht der endgültige.

Wie viele Pläne er verworfen hat, kann Kirsch gar nicht mehr sagen. Von seinen ursprünglichen Ideenskizzen, meint er, ist inzwischen nichts mehr übrig. Auch das gehört zum Prozess. Genauso wie systemisches Konsensieren. Projektbetreuer Böhm sagt die Wörter so, als müsste jeder sofort wissen, was sie bedeuten: ein Entscheidungsverfahren, bei dem es keine Verlierer geben soll. Die Gruppe ermittelt, welcher Vorschlag oder welche Idee auf den geringsten Widerstand stößt. Und diesem Vorschlag oder dieser Idee wird dann gefolgt. Böhm sagt, dass die Gemeinschaft gute Fortschritte im Konsensieren macht.

Verfahren ohne Verlierer

Lehmanns, Saeveckes und Bergmanns benutzen ein anderes Wort: Sie sagen Kompromiss. Und dass es ihnen von Treffen zu Treffen leichter fällt, einen einzugehen. Erst wollten Saeveckes und Bergmanns sich das Staffelgeschoss teilen, jetzt haben sie die Wohnungen darunter, weil die Lehmanns so gerne ganz oben wohnen wollen. Die Paare sagen, dass die Gemeinschaft wichtiger ist als alles andere. Sie wollen nicht neben Nachbarn wohnen, sondern mit ihnen. Es geht ihnen nicht um ein Leben wie in einer WG, in der alle ständig zusammen sind. Aber um die Möglichkeit, etwas zusammen zu unternehmen.

Böhm geht davon aus, dass immer mehr Menschen so wohnen wollen. Nicht nur ältere Paare, um nicht allein zu sein, sondern auch jüngere Familien, die es sich nicht leisten können, allein zu bauen. Die eine Wohnung haben wollen, die keine Spekulationsmasse werden kann, weil es nicht einen einzelnen Hauseigentümer gibt, sondern viele. Und die auf Nachbarn setzen, die gegebenenfalls auch mal auf die Kinder aufpassen. Böhms Firma hat sich mittlerweile aufs Bauen in der Gruppe spezialisiert. Momentan betreut sie drei Projekte. Mal geht es um ein Dutzend, mal um doppelt so viele Wohnungen.

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Auf die steigende Nachfrage hat auch Bremen reagiert – mit einer Stelle, die gemeinschaftliches Bauen koordiniert: Thomas Czekaj berät Gruppen und hilft ihnen, bauträgerfreie Flächen zu finden. Die Stadt hat mittlerweile drei Grundstücke für sie reserviert, vier weitere sollen in den nächsten Jahren folgen. Auch eine Quote für Baugemeinschaften wird vorbereitet. In Hamburg gibt es sie schon seit Jahrzehnten: Werden neue Grundstücke freigegeben, sind 20 Prozent dem Bauen im Kollektiv vorbehalten. Innerhalb von vier Jahren sind dort mehr als ein Dutzend Wohnprojekte dieser Art entstanden.

Einzug vorraussichtlich im Oktober 2020

Architekt Kirsch geht davon aus, dass die Lehmanns, Saeveckes, Bergmanns und die anderen Parteien im Oktober 2020 einziehen können. Fast vier Jahre hätte das Millionenvorhaben dann gedauert. Dass noch nicht alle Wohnungen vergeben sind, stört die Kommanditisten nicht. Das Projekt, sagen sie, kann auch mit sieben Gesellschaftern realisiert werden. Auf zwölf wollen sie aus einem anderen Grund kommen: Das Haus soll nicht nur ein Gemeinschaftsvorhaben, sondern auch ein Mehrgenerationenprojekt sein. Was ihm dafür fehlt, sind jedoch die Jüngeren. Die Paare und Singles am Tisch sind zwischen 50 und 70 Jahre alt.

Jeder aus der Gemeinschaft hat eine Aufgabe – einige kümmern sich um die Technik, andere um Verträge und zwei weitere Mitstreiter darum, das Durchschnittsalter zu senken. Es wird Werbung fürs Wohnprojekt gemacht, auch im Internet. Auf einer selbst gestalteten Seite stellen sich alle vor und sagen, warum sie mitmachen. Alle ohne Nachnamen: Da ist Ilsa Marie, die sich mit der Wohnung einen Traum erfüllen will. Da sind Jens und Jens, die gemeinsame Fußballabende planen. Und da ist Lothar, der sich mit Hund Mika aufs Miteinander freut. Ihr Motto ist dabei immer dasselbe: Nachbar ist machbar.

Weitere Informationen

Wie gemeinschaftliches Bauen und nachbarschaftliches Wohnen funktionieren können, darüber informiert Projektbetreuer Joachim Böhm am Donnerstag, 7. November, im Vegesacker Bürgerhaus, Kirchheide 49. Die Vortragsveranstaltung beginnt um 18 Uhr.

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