Vegesack. Haidar fängt den Schlag ab. Leon bereitet sich auf den Konterangriff vor. Gezielt trifft er seinen Partner an der Schulter. „So ist es richtig. Das ist der Drache, der aus der Höhle kommt. Er hat die Kraft und gegenüber dem Tiger den Vorteil, dass er Feuer speien kann“, erklärt Deborah von Teubern die Schrittfolge. Sie ist Quan-Dao-Kung-Fu-Trainerin und bietet an diesem Tag einen von zehn Workshops im Rahmen des „Respekttages“ an, der jetzt am Gymnasium Vegesack für die sechsten Klassen stattgefunden hat.
Nach zweijähriger Pause dieses Projekttages beschäftigten sich die Schüler an der Kerschensteinerstraße in den Workshopangeboten mit Themen rund um einen respektvollen Umgang. Dass die Unterstreichung dieses Werts nicht zuletzt aufgrund zunehmender gesellschaftlicher Gewalttendenzen – besonders in den sozialen Medien – immer wichtiger wird, betont die Vegesacker Lehrerin Angela Hastedt: „Wenn Erwachsene durch ihr Verhalten keine Vorbilder mehr sind, muss die Schule das auffangen. Beim Respekttag haben die Schüler Erlebnisse, die bei ihnen hängen bleiben, und bekommen außerdem den einen oder anderen Impuls zur Freizeitgestaltung. Wir sind froh, von Judo und Karate über Tanz und Hood-Training bis hin zu Gewaltprävention und Anti-Rassismus-Training vielfältige Angebote durchführen zu können.“
Respekt als Kernkompetenz
Dass Kung-Fu nicht nur körperbetonte Schlagabläufe bedeutet, lernen die Schüler bei Deborah von Teubern. Die Trainerin vermittelt Selbstvertrauen, Konzentration, Selbstdisziplin und Respekt als Kernkompetenzen des Kampfsports. Zuerst verbeugt man sich. Dann werden rücksichtsvolle Hiebe gesetzt, stets befinden sich die Partner im Austausch. Es geht um Übungen, die am Ende auch der Selbstverteidigung dienen können. Im Vordergrund steht jedoch immer der respektvolle Umgang mit dem Gegenüber. Das hat der Sechstklässler Hamza nach diesem Workshop verinnerlicht. „Durch das Kämpfen mit einem Freund habe ich mich sofort besser gefühlt.“ Vor allem die Übungen zur Selbstverteidigung haben den selbsterklärten Bruce Lee-Fan angesprochen.
Um Tanz als Begegnungsform geht es im Workshop von Stina Hinrichs. Mithilfe von Wahrnehmungsübungen, die das Bewusstsein für die Umgebung schulen, zentrieren die Schüler ihre Aufmerksamkeit. „Sie trauen sich dann, anderen ihren Raum zu lassen“, so Hinrichs, die mit den Kindern eine eigene Choreografie entwickelt. Teilnehmerin Finja bestätigt begeistert: „Es passt zum Respekttag, sich zu trauen, vor den Augen der anderen zu tanzen. Wir haben uns das vor unseren Mitschülern getraut, weil wir Respekt voreinander hatten.“
Auch im Workshop von Markus Gerstmann steht schülerzentriertes Arbeiten im Vordergrund. Der Bremer Medienpädagoge bespricht mit den Sechstklässlern den respektvollen Umgang in den Medien. Dazu zählen Aspekte wie Cybermobbing, Kommentare und auch die Funktionen von Bildern und Videos sowie Angriffe im Netz. „Es kommt drauf an, dass die Schüler hier offen über ihre eigenen Themen und Erfahrungen sprechen können“, sagt Gerstmann. Schülerin Liyana findet das Thema Cybermobbing sehr wichtig: „Wir haben gelernt, wie man sich verhalten kann, wenn das passiert.“ Nach Gesprächen mit Eltern und Lehrern könne am Ende sogar der Weg zum Anwalt eine Lösung darstellen.
Wie umgehen mit Beleidigungen? Das beantworten Timo Köhler und Noell Wagner vom Unternehmen „Wendepunkt im Norden“ mit der Suche nach Ursachen für Beleidigungen. Sie sind spezialisiert auf systemisches Anti-Gewalt- und Deeskalationstraining sowie Konfliktmanagement. „Viele Dinge, die wir sagen, müssen hinterfragt werden. Bei Beleidigungen geht es meistens um eine Kontaktaufnahme. Dabei werden Unsicherheit und Schwäche ausgestrahlt. Diese Personen beleidigen, um sich besser zu fühlen“, erklärt das Duo, das seine Ansätze immer mit Reflexionen über Verhaltensweisen verbindet.
Zum Abschluss bauen sie mit den Schülern den „Tower of Power“. Die Schüler stellen sich im Kreis auf und halten jeweils Seile in der Hand, die in der Mitte zusammenlaufen und mit einem Haken versehen sind. Sie versuchen, durch gegenseitiges Ziehen und Schieben die Holzklötze zu stapeln. Das erfordert Augenmaß und Zusammenhalt in zweierlei Sinn: bei der händischen Betätigung, ebenso wie in der respektvollen Kommunikation mit dem Gegenüber – ganz so, wie die zentrale Aussage des „Respekttages“ zu verstehen ist.