Alles muss raus: die Türen, der PVC-Boden, das Metall, die Trockenbauwände, das Dämmmaterial, der Kunststoff... bis vom Hartmannstift nur noch die Stockwerke und die Fassade übrig sind. Genauso wie vom Personalgebäude dahinter. Seit November werden beide Backsteingebäude quasi ausgeweidet. Es ist, wenn man so will, der erste Teil eines großen Abrissplans. Der zweite soll gleich danach folgen. Dann werden die Seitenflügel des früheren Vegesacker Krankenhauses zum Einsturz gebracht und das Schwesternwohnheim komplett.
Sie sind an diesem Morgen zu zwölft auf der Baustelle. Die Männer haben Vorschlaghämmer, Brechstangen, Schaufeln. Zwei von ihnen sind gerade dabei, eine Türzarge aus der Wand zu klopfen. Ein Dritter schiebt mit einem Besen den Putz zusammen, der von oben runterfällt. Es dröhnt, es knirscht, es staubt. Michael Lück sagt, dass es auf allen Etagen so zugeht. Und auch so aussieht. Lück ist Projektleiter. Der Name der Firma, für die er arbeitet, steht auf seiner Jacke: Procon-Gruppe. Sie hat mit der ELB Real Estate GmbH, einer Lürssen-Tochter, Gebäude und Grundstück gekauft, um ein neues Quartier zu entwickeln.
Sechs Neubauten, eine Altbausanierung – Lück managt alles. Und davor den Abriss. Fast täglich ist er auf dem ein Hektar großen Grundstück unterwegs, das vorne an die Gerhard-Rohlfs- und hinten an die Albrecht-Roth-Straße grenzt. Für Politiker ist es eine Eins-a-Lage. Sie sprechen vom Tor zum Zentrum. Und nicht nur von einem 20-Millionen-Projekt, sondern auch von einem Prestige-Projekt. Für Lück ist es noch etwas anderes: pure Nostalgie. Immer wieder wird er von Leuten angesprochen, die ihm erzählen, im Hartmannstift geboren zu sein. Das Haus ist kein Denkmal, soll aber Lück zufolge nicht zuletzt wegen seiner Geschichte bleiben.
Aber ohne die Anbauten links und rechts. Und ohne das Staffelgeschoss. Denn die sind später dazugekommen. Der Projektleiter will zeigen, wo das Nachträgliche aufhört und das Ursprüngliche anfängt. Er geht voran. Vorbei an Reihen von Zimmern, in denen die Abrissarbeiter weiße Kunststoffsäcke voll mit Mineralfaserplatten meterhoch gestapelt haben. Durch Flure, in denen sie Zwischenwände und -decken einrissen, sodass jetzt Dutzende Stromleitungen ohne Schalter und ohne Lampen herunterhängen. Über grauen Estrich, von dem der Bodenbelag gekratzt und die Fußleisten gestemmt wurden.
Lück deutet schließlich auf Türöffnungen und Gänge, die so breit sind, dass Betten hindurch passen, mitunter auch zwei nebeneinander. Auf Räume, in die Kabel von Notstromaggregaten verlaufen, weil sie mal OP-Räume waren. Und auf Wände, die anders aussehen als die Wände daneben, vor allem älter. Der Projektleiter sagt, dass an diesen Stellen Alt- und Anbau zusammentreffen. Und dass er hofft, die Außenmauer des Originalgebäudes von 1887 noch in Takt vorzufinden. Ob sie es tatsächlich ist, weiß er erst, wenn der Abrissbagger da war. Läuft alles glatt, soll er in zwei Wochen damit beginnen, den ersten Seitenflügel kleinzumachen.
Es wird der rechte sein, an dessen Vorbau noch zu lesen ist, was das Gebäude wurde, nachdem es nicht mehr Krankenhaus war: Bauamt Bremen-Nord. Dass mit ihm und nicht mit dem anderen Flügel begonnen wird, hat mit seiner Lage zu tun – ist er weg, können die Arbeiter den hinteren Teil des Grundstücks besser erreichen. Und damit, dass er sich einfacher abreißen lässt – keine unmittelbare Nähe zur Straße, keine weiteren Gebäude, die angrenzen. Anders als links. Für den Abriss auf dieser Seite wird die Gerhard-Rohlfs-Straße gesperrt werden müssen. Der Projektleiter spricht von der halben Fahrbahn und von Stunden.
Sind die Anbauten plus Staffelgeschoss weg und auch das Schwesternwohnheim dahinter, wird der Bagger trotzdem bleiben: für den Abriss des Heizwerks, das zwischen beiden steht. Und für den Tunnel, der das frühere Krankenhaus mit dem Personalgebäude verbindet. Lück schätzt, dass er an die 40 Meter lang ist. Er war schon häufiger unten. Auch an diesem Tag ist er es. Im Licht seiner Taschenlampe tauchen Eisentüren auf, die so dick sind wie die Türen in Bunkeranlagen. Lück sagt, dass der unterirdische Gang als Luftschutzkeller genutzt wurde. Und dass er jetzt ausgegraben und zugeschüttet wird, weil über ihm Neubauten geplant sind.
Der Projektleiter hat es ausgerechnet: Am Ende der Abrissarbeiten wird er auf 5400 Tonnen Beton kommen und auf 4800 Tonnen Mauersteine. Ein Teil wird abgefahren, ein anderer vor Ort zerkleinert. Lück will aus ihm Füllstoff für Fundamente von Wegen und Gebäuden machen. Er nennt sie Haus A, B, C, D, E, F und G, auch das Hartmannstift ist darunter. In allen wird es Wohnungen geben und in zweien zusätzlich eine Pflegeeinrichtung und eine Kita. Lück sagt, dass das zum Konzept des neuen Quartiers dazugehört: Alt und Jung sollen dort zusammenkommen. Und ausschließlich Mieter wohnen. Keine der 65 Wohnungen ist zu kaufen.
Schlag auf Schlag soll es gehen. Auf den Abriss folgt gleich der Aufbau. Lück geht davon aus, dass im März das eine endet und im April das andere anfängt – und dass 2024 alles fertig ist.