Die Fingernägel sind frisch lackiert. Leuchtendes Pink. Perfekt passend zum Lippenstift und zum chicen Outfit natürlich. So kann es losgehen. Auf'n Swutsch. Zum Tanzen in einen angesagten Club oder zu Tee und Törtchen ins feine Café. Wo auch immer die gute Laune sie hinzieht. Das wäre was. Elisabeth Friedrich lacht und umfasst die Griffe ihres Rollators. Erstmal vor die Tür an die frische Luft. Und dann ist ja auch schon bald Mittagszeit an diesem Montag im Stiftungsdorf Fichtenhof. Die Disco kann warten. Aber das gute Gefühl, das sie an diesem Vormittag mit auf den Weg bekommen hat, wird die 86-Jährige durch den Tag tragen. Und vielleicht auch noch durch den nächsten und den übernächsten. Bis wieder Montag ist und „Dean's Schönheitssalon“ seine Tür öffnet.
Seit Dean Weit vor ein paar Wochen den Frisörsalon im Stiftungsdorf Fichtenhof in einen Schönheitssalon verwandelt hat, der jeden Montagvormittag einen Jungbrunnen verspricht, „starten wir beschwingt in die Woche“, erzählt Hausleiterin Meike Fiorucci. „Die Bewohner freuen sich darauf.“ Ins Rollen kam die Idee mit dem Schönheitssalon eher zufällig. Dean Weit arbeitet im Stiftungsdorf als Betreuungskraft und ist auch wegen seiner schwungvollen Liedernachmittage beliebt. „Eigentlich bin ich Musiker und tingel durch die Senioren- und Pflegeheime“, erzählt der 56-Jährige. Mit im Gepäck hat er dann die Schlager der fünfziger-, sechziger- und siebziger-Jahre. Er weiß: „Musik ist der Schlüssel zum Gedächtnis.“ Gerade bei demenziell erkrankten Menschen finde er durch seine Lieder immer Zugang – „egal wie weit die Demenz fortgeschritten ist“. Nun ist er aber mindestens genauso beliebt, weil er ein Händchen fürs hübsch geschminkte Gesicht hat. „Wenn Dean da ist, ist das hier mein Raum“, schwärmt eine Dame und nimmt auf dem weich gepolsterten zart-roséfarbenen Stuhl vor dem Spiegel Platz. „Es fällt einem im Alter ja nicht mehr so leicht, sich selbst zu schminken.“
Stau im Gang vor dem Schönheitssalon
Alles fing damit an, dass eine Bewohnerin ihn als Betreuungskraft gebeten hatte, ihr die Fingernägel zu lackieren. „Dabei habe ich gemerkt, wie sie das genießen konnte“, erinnert sich Dean Weit. In ihm keimte der Gedanke, allen Bewohnerinnen und Bewohnern ein solch schönes Angebot zu machen. Zumal der Frisör montags geschlossen hat. Warum nicht den Raum an dem Tag als Schönheitssalon nutzen. Tolle Idee, fanden die Beschäftigten des Stiftungsdorfs und stießen eine Schminkutensilien-Spendenaktion an. Schnell machten Fragen die Runde: „Hat noch jemand Lidschatten zu Hause? Oder Nagellack? Vielleicht auch Parfum?“ Meike Fiorucci ist heute noch begeistert von all den Dingen, die zusammengetragen wurden und nun in Dean Weits Schminkwägelchen griffbereit die Fächer füllen. Der ließ sich derweil über Youtube genau erklären, wie man schminkt. Und als „Dean's Schönheitssalon“ dann öffnete, dauerte es nicht lange, bis draußen auf dem Flur alle Korbsessel in der Wartereihe schnell besetzt waren. Zuweilen schon eine gute Stunde vor Schminkbeginn.
Gerade ist wieder Stau im Gang. Rollatoren und Rollstühle stehen im Pulk vor der geöffneten Salontür, dass die Mitarbeiterinnen des Hauses auf ihrem Weg einen Bogen schlagen müssen. „Liebeskummer lohnt sich nicht, my darling“, schallt es aus dem Raum. Was wären sanfte Pinselstriche, die Rouge auf die Wangen zaubern, ohne den flotten Klang. „Schade um die Tränen in der Nacht“, singt nun auch der Schminkmeister mit, bevor er sich wieder seiner „Kundin“ zuwendet. „Noch einen schönen Lippenstift?“ Aber ja. „Nur nicht so rot“, sagt die Frau augenzwinkernd. „Das schickt sich nicht für so eine alte Tante.“

Dean Weit macht die Finger einer Bewohnerin schön.
Dean Weit sei ein „Heartbreaker“, meint die Hausleiterin anerkennend. „Die Bewohner lieben ihn, weil er einfühlsam und auf Augenhöhe mit ihnen umgeht.“ Er finde immer den richtigen Ton, den richtigen Zugang. „Ich erkläre ihnen beim Schminken jeden Schritt“, sagt er und streift mit leichter und ruhiger Hand das Lackpinselchen über die Fingernägel. Geschafft. Prüfender Blick. „Wie schön!“, freut sich die Dame im Salonsessel. Nun noch ein bisschen Spray fürs Haar. Doch vorher eine andere Frage: „Möchte noch jemand ein Glas alkoholfreien Sekt?“ Aber ja.
Musikalisch ist der Liebeskummer längst abgehakt. Jetzt fährt gerade Theo nach Lodz. Später wird Rocco Granata eine gewisse „Marina, Marina, Marina“ besingen. Und Meike Fiorucci bringt es auf den Punkt, warum dieser Ort im Stiftungsdorf für manch eine Bewohnerin und auch für Bewohner – die Herren genießen die Nassrasur, die warmen Wickel, die Gesichtsmassage und das Aftershave – montags zum Dreh- und Angelpunkt wird: „Es macht die Bewohnerinnen und Bewohner stolz und selbstbewusst.“ Es gibt ihnen Würde und Respekt.
Dean Weit, der in seinem Schönheitssalon mit Krawatte, Anzughose, Weste und weißem Hemd auch einen schnieken Eindruck macht, lässt seinen Blick über die zahlreichen Parfums schweifen. „Welches ist schön für Sie?“, fragt er. „Vielleicht Chloé?“ Die Nase darf entscheiden. „Hm“, schwelgt die Dame, „ich fall bald um, so schön ist das.“ Später beim Mittagessen werden sie sich gegenseitig an ihrem frischen Teint und dem Strahlen erkennen und ein still-wissendes „Na, auch gerade bei Dean gewesen?“ über die Tische schicken. Nächsten Montag treffen sie sich alle dort wieder.