Warum waren die Gebärdendolmetscherinnen in Schwarz gekleidet und was suchte Mischlingshund Vicky im Gustav-Heinemann-Bürgerhaus? Der zweite Inklusionsfachtag im Bremer Norden gab Antworten und viele neue Impulse. So zum Beispiel von Xenia Ebner-Pühl aus Frankfurt. Die gelernte Gesundheits- und Krankenpflegerin war mit Ehemann Benjamin und Vierbeiner nach Vegesack gekommen, um über Neurodiversität zu sprechen. Ein komplexes Thema, das sie als Betroffene aus dem Autismus-Spektrum und mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS) vorstellte. Die Referentin hatte eine klare Botschaft für ihre Zuhörer: „Mein Hirn ist nicht gestört, es funktioniert nur anders.“ Der Umgang mit Menschen koste ihr viel Kraft. Und weil das so ist, half ihr Hund Vicky im Hintergrund, gab ihr Ruhe und Entspannung.
Die brauchten zwischendurch auch die Gebärdendolmetscherinnen Miriam Wilken aus Oldenburg und Marie-Therese Gartner aus Stuhr. In Sequenzen von zehn bis 15 Minuten wechselten sie sich ab. Sie übersetzen Ansprachen und Vorträge, standen dezent in schwarzer Kleidung an der Bühnenseite. Warum so dunkel und unauffällig gekleidet? „Damit nichts von den Handbewegungen ablenkt“, erklärte Gartner, die auch beim ersten Fachtag dabei war. Tage vorher hatten die Dolmetscherinnen bereits einiges Material zur Vorbereitung bekommen. Sie wussten teilweise den Wortlaut von geplanten Ansprachen.
Der zweite Fachtag zur Inklusion widmete sich psychischen Erkrankungen, Süchten und seelischer Gesundheit. Grußworte sprach unter anderem die taubstumme Bundestagsabgeordnete Heike Heubach, die mit eigenen Dolmetscherinnen Vegesack einen Kurzbesuch abstattete. Sie machte deutlich, dass sie nicht auf ihre Beeinträchtigung reduziert werden wolle und sah sich als Fachexpertin und Fürsprecherin für Menschen mit Behinderung. Katharina Kähler, die behindertenpolitische Sprecherin der SPD in der Bürgerschaft, sah die unsichtbaren gesundheitlichen Beeinträchtigungen immer noch mit Scham behaftet, es herrsche viel Unsicherheit und zu wenig Wissen.
Das zu ändern, war Auftrag von Martin Bührig und Michelle Kustos. Bührig ist Chefarzt der Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie im Klinikverbund Gesundheit Nord und Kustos Psychologin. Beziehungskontinuität sei heutzutage nicht mehr selbstverständlich, befand Bührig und sprach sich für personenzentrierte Hilfe bei psychischen Krankheiten aus, um genau zu erkennen, was der jeweilige Mensch brauche. Kustos zeigte die Bandbreite von Abhängigkeitserkrankungen auf und verdeutlichte, warum es so schwer ist, sich von Süchten zu befreien. Daniel Stöckel, Geschäftsführer des Nordbremer Inklusionsvereins, rundete das Informationsprogramm ab mit einem Beitrag zu seelischer Gesundheit durch Sport.
Möglichkeiten zum Austausch gab es an Informationsständen von der Stiftung Friedehorst, vom Martinsclub, der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Bremen, des Vereins Inklusion Nord und von Compagnons Cooperative, einem inklusiven Filmteam. Gemeinsames Ziel aller Akteure an den Ständen: beraten, informieren und vernetzen. Kontakte knüpfen wollte auch Katharina Saathoff von Special Olympics Bremen. Sie ist im Verein neu als Koordinatorin des Projektes „Bewegung und Gesundheit im Alltag stärken“. „Der Fachtag Inklusion ist eine tolle Möglichkeit, Verantwortliche in den verschiedenen Bereichen kennenzulernen und Netzwerke aufzubauen“, sagte sie.
Einziger Wermutstropfen: Viele Stunden Arbeit hatten die Organisatoren des Nordbremer Inklusionsvereins in den zweiten Fachtag investiert und zahlreiche Partner und Sponsoren gewinnen können. Aber die Besucherresonanz fiel geringer aus als erhofft. Sie blieb unter der bei der Premiere vor zwei Jahren, bei der 200 Menschen kamen. „Es hätten diesmal ein paar mehr sein können“, kommentierte Frank Schurgast vom Vereinsvorstand Inklusion Nord.