Vegesack hat ein neues Drogenproblem. Rund um den Szenetreff am Aumunder Heerweg wird verstärkt Crack verkauft und konsumiert. Davon gehen die Innere Mission und das Suchtzentrum Nord aus. Die Leitungen der benachbarten Einrichtungen, darunter eine Kita, das Freizi Alt-Aumund sowie mehrere Schulen, zeigen sich besorgt. Berufsschulleiter Peter Kaus: „Meine Sorge geht dahin, dass Schüler unserer Schule in Kontakt zu Drogen, womöglich sogar Crack, kommen.“ Die Polizei arbeitet derweil noch am Lagebild. Was wir über die Situation in Vegesack wissen.
Was ist der Szenetreff?
Der Szenetreff ist ein Treffpunkt für Suchtkranke und Obdachlose, der vor zwölf Jahren zwischen Christuskirche und Freizi am Aumunder Heerweg geschaffen wurde. Zuvor hatte sich die Drogenszene am Sedanplatz getroffen, wo die bis zu 60 Menschen zunehmend als störend empfunden wurden. Der Platz wird von der Inneren Mission betreut.
Wie hat sich die Lage verändert?
„Wir nehmen wahr, dass seit diesem Sommer ein Crack-Problem besteht“, erklärt Sara Dahnken vom Freizi Alt-Aumund. Auch Berufsschulleiter Peter Kaus stellt fest, dass sich rund um den Szenetreff vermehrt fremde Personen aufhalten, die Crack und andere harte Drogen konsumieren. „Von allen betroffenen Einrichtungen hören wir, dass auch am helllichten Tag, während der Schul- und Betriebszeiten, Aktivitäten, die den Verdacht auf das Handeln von solchen Substanzen zulassen, beobachtet wurden. Konkret habe ich zum Beispiel auf unserem Parkplatz schulfremde Personen angetroffen, wo der Tatbestand doch sehr offensichtlich war.“
Die Hemmschwelle, Drogen zu konsumieren oder zu verkaufen, sei gesunken, berichtet die Leiterin der Kita, Nicole Selking: „Wir müssen morgens unser Außengelände einmal abgehen, um zu gucken, was wir finden, bevor die Kinder kommen.“ Das Verhalten derjenigen, die Drogen konsumieren, sei aggressiv. „Wenn ich sage, geht bitte woanders hin, werde ich verbal attackiert. Das mache ich deshalb auch nicht mehr.“
Was sagen die Fachleute?
„Der Szenetreff war für alle eine lange Zeit handhabbar.“ Darauf weist Katharina Kähler, Bereichsleiterin des Vereins für Innere Mission in Bremen, hin. Doch mit der Zunahme des Crack-Konsums habe sich die Gruppenstruktur auf dem Platz verändert: „Die Stimmung ist deutlich aggressiv." Inzwischen stelle sich die Frage, wie lange sich noch eine einzelne Person um den Szenetreff kümmern kann. Katharina Kähler denkt dabei an den Schutz der Mitarbeiter: "Die sind am Rande der Belastungsgrenze.“
Bremen-Nord sei lange von Crack verschont geblieben, sagt Heinz Feja vom Suchthilfezentrum Nord. Das sei nun jedoch anders: „Sehr viele, die langfristig abhängig und substituiert sind, nehmen jetzt auch Crack, weil es vermehrt und günstig angeboten wird.“ Ihm seien bis zu 20 Personen bekannt, die rund um den Szenetreff regelmäßig Crack konsumieren. Einige der bisherigen Besucher, zumeist Substituierte, hätten sich wegen der neuen Klientel zurückgezogen, so Feja. „Die meiden diesen Platz eher.“
Welche Erkenntnisse hat die Polizei?
"Es gibt Hinweise auf Crack-Deal. Dieser gehört bisher nicht zu den bekannten Drogenstrukturen in Bremen-Nord. Derzeit wird in diese Richtung insbesondere durch unseren Zivilen Einsatzdienst intensiv aufgeklärt", so Nils Matthiesen, Sprecher der Polizei. Die Polizei weiß auch, dass im Bereich des Schulzentrums Kerschensteiner Straße anderweitige Drogen wie Cannabis verkauft werden. "Drogenkonsumierende halten sich sowohl im Bereich des Freizeitheimes, wie auch im Bereich der Kita An der Aumunder Kirche auf", so der Sprecher weiter. "Die Polizei Bremen kontrolliert und überprüft hier wiederkehrend Personen und Örtlichkeiten und ahndet entsprechend Verstöße."
Ist Bremen eine Crack-Hochburg?
In den Jahren 2017 bis 2021 hat die Polizei neun Crack-Delikte in Bremen-Nord registriert, in diesem Jahr keinen einzigen. Im Land Bremen wurden 2021 exakt 113 Crack-Delikte erfasst. Im Vergleich dazu wurden im gleichen Zeitraum 1565 Crack-Delikte in Hamburg und 433 Crack-Delikte in Niedersachsen registriert. Ein Vergleich der jeweiligen Häufigkeitszahl der Bundesländer ergibt dennoch, dass Bremen im Jahr 2021 mit 16,70 Crack-Delikten pro 100.000 Einwohner deutlich mehr Crack-Delikte zu verzeichnen hatte als Niedersachsen (5,39), Berlin (5,00), Schleswig-Holstein (3,66) und Mecklenburg-Vorpommern (2,86). Bremen wies damit eine drei- bis fast sechsmal höhere Häufigkeit bei Crack-Delikten auf als in den anderen betrachteten Bundesländern.
Welche Lösungsvorschläge gibt es?
Schulleiter Peter Kaus hält einen Standort neben Schule und Kindergarten unter den gegebenen Bedingungen für verantwortungslos. „Es gab Zeiten mehr oder weniger friedlicher Koexistenz, aber die sind seit einem Jahr vorbei.“ Er schlägt vor, einen Toleranzraum im Stadtgebiet zu schaffen. Ulrike Bänsch, Pastorin der evangelisch reformierten Kirchengemeinde Aumund, stellt zwar ebenfalls eine Zunahme des Crack-Konsums fest, mahnt jedoch: „Die Idee eines Drogenkonsumraums will gut überlegt sein. Das Elend ist da und geht nicht weg, auch nicht, wenn wir es nicht sehen.“
Am Dienstag soll es im Ortsamt Vegesack eine Sitzung des Szenetreffs-Beirates geben, in dem verschiedene Organisationen und die Polizei mitarbeiten. Einfach werde die Lösungssuche nicht sein, stellt Katharina Kähler von der Inneren Mission klar. „Es gibt nicht die eine Lösung. Wir müssen uns mit dem Thema gesellschaftlich auseinandersetzen.“