Herr Freier, Herr Mixa, Pflegekräfte werden gesucht, Intensivpfleger wie Sie noch mehr. Mussten Sie überhaupt eine Bewerbung schreiben – oder wurden Sie noch vor Ausbildungsende unter Vertrag genommen?
Luca Freier: Ich wurde zwar gleich angeworben, musste aber trotzdem eine Bewerbung schreiben. Der Fachkräftemangel bedeutet ja nicht, dass jeder genommen wird.
Stefan Mixa: Bei mir war es ähnlich. Nachdem ich die beiden ersten Ausbildungsjahre beim Klinikverbund absolviert habe, wechselte ich fürs dritte und letzte aus familiären Gründen nach Osterholz – und wurde noch vor dem Ende vom Verbund gefragt, ob ich wiederkommen wolle.
Und was hat man Ihnen angeboten, damit Sie auf jeden Fall kommen?
Mixa: Uns ist das geboten worden, was der Tarifvertrag für Intensivpfleger im ersten Berufsjahr vorsieht.
Wie viel Geld ist das denn?
Freier: Brutto sind das rund 3000 Euro, ohne Zuschläge.
Warum haben Sie beim städtischen Klinikverbund unterschrieben und nicht bei einer Privatklinik, die in der Regel mehr Geld zahlen?
Mixa: Weil für mich das Team mehr zählt als das Geld. Und das Team im Klinikum Nord ist so gut, dass für mich sofort klar war, wo ich nach der Ausbildung arbeiten will.
Freier: Das war bei mir nicht anders: Das Team hat mich so überzeugt, dass es für mich gar keine andere Option gab.
Und was wäre, wenn jetzt ein Angebot von einem anderen Krankenhaus käme?
Freier: Dann müsste das Angebot deutlich besser sein als das jetzige. Und das Team auch. Ohne mir die Kollegen vorher genau anzuschauen, würde ich sowieso nicht wechseln.
Mixa: Auf die Menschen kommt es an und auf die Wertschätzung, die sie einem entgegenbringen. Geld ist viel, aber eben nicht alles.
Was macht denn für Sie ein gutes Team aus?
Mixa: Das Wichtigste ist: Jeder kann jederzeit Fragen stellen und ein Problem erörtern – und niemand blockt ab. Neulich wollte ich von einem Arzt wissen, warum er nicht so bei einem Patienten vorgehen will, wie ich es vorgeschlagen habe. Und der Arzt hat mir auf Augenhöhe ausführlich den Grund erklärt. Das habe ich bisher nirgends erlebt.
Freier: Das Team kommuniziert auf einem Niveau, das es gerade für uns Berufsanfängern hilfreich ist. Keine Frage ist zu simpel, um nicht gestellt werden zu dürfen.
Der Mangel an Pflegekräften kommt nicht von ungefähr. Im Job, heißt es, gibt es viel Stress, am Ende des Monats aber vergleichsweise wenig Geld. Was treibt Sie an?
Mixa: Ich habe erst Informatik studiert, dann das Studium aber abgebrochen, weil mein Großvater schwer krank geworden ist. Ich habe mich um ihn gekümmert und dabei festgestellt, dass mich das mehr erfüllt als das Informatikstudium.
Freier: Ich will wissen, wie Menschen krank wurden – und wie sie wieder gesund werden und bleiben können.
Warum wollten Sie dann nicht gleich Arzt werden?
Freier: Weil meine Noten dafür nicht gereicht haben. Und die Arbeit als Intensivpfleger macht es genauso möglich, mich mit den Fragen, wie jemand krank wurde und gesund wird, zu beschäftigen. Mir ist die Arbeit mit Menschen wichtig, ein Schreibtischjob wäre nichts für mich.
In der Corona-Krise gab es immer wieder Bilder von erschöpften Ärzten und Pflegekräften. Wie sind Sie damit während Ihrer Ausbildung umgegangen?
Freier: Klar, der Pflegejob ist hart, die Schichten sind stressig, die Branche ist unterbesetzt – aber trotzdem gibt mir die Arbeit etwas zurück. Genauso wie das Team. Jeder hilft jedem. Und das zu erfahren, ist ein gutes Gefühl.
Mixa: In der Ausbildung wird einem nicht nur beigebracht, den Patienten zu sehen, sondern auch den Kollegen. Wie geht es ihm? Was hat die Situation mit ihm gemacht? Braucht er Unterstützung? Bisher habe ich es so erlebt, dass man gut aufgefangen wird.
Und es sind Ihnen während der Pandemie nie Zweifel gekommen, dass der Job vielleicht doch nicht der richtige sein könnte?
Freier: Doch, auch diese Momente gab es. Das waren Momente, in denen ich mich überfordert gefühlt habe.
Inwiefern?
Freier: Das waren Augenblicke, in denen auf der Station plötzlich ganz viel auf einmal passiert ist – und ich mich gefragt habe: Wie soll ich das schaffen? Wenn man so will, hat mich der Stress zweifeln lassen. Für einen Moment. Denn am Ende habe ich mit den Kollegen alles geschafft.
Sie sind 23 beziehungsweise 26 Jahre alt und haben sich für die Arbeit auf einer Station entschieden, auf der für gewöhnlich mehr Menschen sterben als auf anderen. Wie sind Sie darauf vorbereitet worden?
Mixa: Während der Ausbildung gab es spezielle Seminare für Palliativpflege. In denen ging es darum, was sterbenskranke Menschen brauchen und wie mit Angehörigen umgegangen werden sollte.
Freier: Durch die Lehrgänge hat man sich mit dem Tod von Patienten beschäftigt und auch mit der eigenen Haltung.
Und? Hat das im Stationsalltag geholfen?
Mixa: Im Stationsalltag gibt es eine Ethik-Visite: Das interdisziplinäre Team kommt mit den Angehörigen am Bett des Schwerkranken zusammen, um darüber zu sprechen, was notwendig ist. So gesehen wird eine Pflegekraft mit der Situation nicht allein gelassen, auch dann nicht, wenn jemand plötzlich stirbt. In diesem Fall sind die Kollegen für einen da.
Manche sagen, dass der Pflegeberuf zu wenig Anerkennung bekommt. Was sagen Sie?
Freier: Viele wissen nicht, was der Pflegeberuf eigentlich bedeutet. Die meisten denken ans Waschen von Patienten, das Bett machen, zu Essen bringen. Dabei geht um viel mehr: um Infusionsmanagement, die Behandlung von schweren Erkrankungen und Verletzungen, um Seelsorge. Das wird oft vergessen.
Mixa: Die Gesundheitsförderung kommt bei vielen, die den Job nicht kennen, so gut wie gar nicht. Das gilt auch für Politiker. Meiner Meinung nach lassen mache von ihnen viele Aspekte, die den Beruf ausmachen, außen vor.
Was müsste denn passieren, damit der Beruf mehr Anerkennung findet?
Freier: Es müsste über den Beruf umfassend informiert werden – nicht nur darüber, dass es den Pflegenotstand gibt, sondern auch, was der Job einem bietet und zurückgibt. Ich denke, dass dann anders über ihn gesprochen wird, und vielleicht mehr Menschen ihn ergreifen.
Wie haben denn Ihre Familie, Bekannte und Freunde gesprochen, als Sie erklärt haben, was Sie werden wollen?
Mixa: Manche meiner Freunde sagen, dass der Verdienst angesichts der Verantwortung, die Intensivpfleger haben, nicht angemessen ist. Und andere, dass sie sich den Beruf auch für sich vorstellen könnten – wenn sie nicht schon seit Jahren in einem anderen arbeiteten.
Freier: Meine Oma hat sich gefreut, als ich ihr von meiner Ausbildung erzählt habe. Und mein Vater hat gesagt: Na, dann wirst du jetzt eben Krankenschwester. Es war ein Spaß. Er findet richtig gut, was ich mache.
Das Gespräch führte Christian Weth.