Vegesack. Der Held des großen Romans „Die Blechtrommel“ von Günter Grass ist der Trommler Oskar Matzerath – zwergenwüchsig, aber schon vor seiner Geburt schlau wie ein Erwachsener. Die Trommel steht im Mittelpunkt des Werks, und von daher war es fast naheliegend, ein Text-Musik-Stück daraus zu machen, das mit Percussion untermalt wird.
In ihrer Aufführung von Günter Grass weltberühmtem Werk „Die Blechtrommel“ im Kito setzen Schauspieler Devid Striesow und Schlagzeuger Stefan Weinzierl die Klänge von Stimme und Instrumenten ein: außer Percussion kommen auch Vibraphon, Marimba und Elektronik zum Einsatz. Ausgewählte Szenen aus dem Schelmenroman von Grass, der 1959 erschienen ist, werden von Devid Striesow gelesen und von Stefan Weinzierl musikalisch untermalt.
Percussionist erzeugt Stimmungen
„Es gibt keine Romanhelden mehr, weil es keine Individualisten mehr gibt“, leitet Sprecher Devid Striesow das Stück „Die Blechtrommel“ ein – ein Autor kann jedoch einen extremen Sonderling erfinden, wie in der Gestalt von Oskar Matzerath, der schon im Mutterleib geistig-seelisch ausgewachsen ist und den Gesprächen der Menschen lauscht. Und dabei auch die Stimme seines Vaters vernimmt: „Der Junge wird einmal mein Geschäft übernehmen.“
Dass Oskar sich dafür wenig eignen wird, weiß er schon als Embryo – sein Reich ist das der Klänge, etwa wenn er den feinen, vibrierenden Geräuschen zuhört, die ein Nachtfalter beim Schlagen seiner Flügel verursacht. Bereits hier sorgen Vibraphon und Marimba für Stimmungen, die genau zur Szene passen - wie die sphärischen Töne beim Belauschen des Schmetterlings, der um zwei Glühbirnen kreist.
Als Oskar im Alter von drei Jahren eine Blechtrommel geschenkt bekommt, weiß er, dass er damit seine Bestimmung in Händen hält. Er beschließt, nicht mehr zu wachsen und sieht alles aus der Sicht eines Kindes. Und Oskar hat ein Mittel, um sich gegen die Angriffe einer oft vernunftlosen Erwachsenenwelt zu wehren: Mit seiner starken, überaus hohen Stimme ist er in der Lage, Vasen oder Glasscheiben zum Zerspringen zu bringen – ein Mittel, das er jedes Mal einsetzt, wenn ihm jemand seine geliebte Blechtrommel entreißen will.
Dass Günter Grass in seiner bilderreichen, zuweilen barocken und manierierten Sprache auch schockieren und Ekel erregen wollte, wird vom Duo Devid Striesow und Stefan Weinzierl durchaus aufgegriffen: Kinder kochen eine „Suppe“, die sie mit ihrem Urin würzen und werfen auch noch lebendige Frösche hinein – sie wird dem Außenseiter Oskar gewaltsam eingeflößt. Dessen Trommelkünste wenden sich ins Politische, als er bei einem Treffen der NSDAP die Musiker aus dem Takt geraten lässt, bis sie statt der strammen Marschmusik den gemütlichen „Donauwalzer“ spielen. Doch Oskar legt sich auch mit der Kirche an: Als die Jesusstatue, die ihm verblüffend ähnlich sieht, sich weigert, die umgehängte Trommel zu schlagen, zersingt er kurzerhand die Scheiben der Kirche.
Figurenreichtum und bizarre Bilder
„Das Unglück zog immer größere Stiefel an“, sagt Oskar, als sich der Nationalsozialismus auch in Danzig, dem Zentrum des Geschehens, immer weiter ausbreitet. Dabei wird auch der Spielzeugladen im Besitz eines Juden zerstört, so dass Oskar seine Bezugsquelle für frische Trommeln verliert. Die Phase, in der Oskar die Liebe entdeckt, bildet einen Höhepunkt und fast schon Endpunkt des Stücks - ein langes Solo auf einer Blechtrommel folgt, vom Schlagzeuger Stefan Weinzierl in sagenhaftem Tempo gespielt. Denn nun beschleunigt sich alles: Der winzige Oskar kann Maria mit Hilfe von Brausepulver, in das er seine Spucke tropfen lässt, sexuell erregen. Und als Maria ein Kind zur Welt bringt, ist Oskar fest davon überzeugt, dass dies sein Sohn ist. Inzwischen wird Danzig von russischen Truppen erobert, Oskars Vater wird erschossen, und bei dessen Beerdigung fällt Oskar ins Grab, vom Stein seines eigenen Sohns getroffen. Er beginnt fortan zu wachsen und lässt seine Trommel im Grab zurück.
Der Roman von Günter Grass lebt vor allem von seinem Figurenreichtum, den oft bizarren Bildern und der eigenen Sprache - Devid Striesow und Stefan Weinzierl gelingt es, trotz ihrer Reduktion auf wenige Szenen das Ganze des Werks überzeugend und mitreißend zu vermitteln. Das Duo lässt nie den Roten Faden aus der Hand und rührt die Trommel in einem Werk, in dem ein Spielzeug ein Schlagzeug ist, mit dem sich die Welt erschüttern lässt.