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Gefäßkrankheiten "Ab 5,5 Zentimeter steigt das Risiko"

Eine starke Zunahme von Bauchschlagader-Operationen hat das Klinikum Bremen-Nord in den vergangenen drei Jahren festgestellt. Warum das so ist, erklärt der Gefäßchirurg Matthias Trede im Interview...
09.11.2021, 13:42 Uhr
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Von Patricia Brandt

Herr Trede, ich weiß, dass die Klinik in Bremen-Nord aktuell einen starken Anstieg von Bauschlagader-Operationen feststellt. Warum steigen die Fallzahlen?

2019 hatten wir 14 Operationen, in diesem Jahr haben wir bereits in der letzten Woche die 21. Operation durchgeführt. Der Anstieg liegt dann am Jahresende tatsächlich bei vermutlich mehr als 50 Prozent. Das liegt daran, dass einerseits durch die Presse mehr über Bauchaorta-Aneurysmen aufgeklärt wird, zum anderen aber auch daran, dass die Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie für Ultraschall-Vorsorgeuntersuchungen gekämpft hat. Jeder Mann über 65 Jahre hat einen Anspruch darauf, sich einmalig bei einem Ultraschall-Gesundheitscheck untersuchen zu lassen.

Was genau passiert bei einem Bauchaorta-Aneurysma?

Ein Bauchaorten-Aneurysma ist eine Aussackung der Bauchschlagader. Die Bauchschlagader eines normal großen, etwa 1,75 Meter großen Mannes, hat einen Durchmesser von zwei- bis zweieinhalb Zentimeter. Ab 5,5 Zentimetern steigt das Risiko, dass die Bauchschlagader reißt. Die größte Bauchschlagader, die wir einmal in Bremen-Nord operiert haben, hatte einen Durchmesser von 13 Zentimeter. Da konnte man durch die Bauchdecke sehen, wie die Bauchschlagader pulsierte. Das war aber eine absolute Ausnahme. So etwas kommt extrem selten vor.

Nach Angaben des Berufsverbands Deutscher Internisten sterben jährlich bis zu 2000 Menschen an einer Ruptur, einem Zerreißen der Schlagader. Die Erkrankung wird oft zu spät erkannt. Warum?

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Weil Patienten normalerweise überhaupt keine Symptome haben. Ein Bauchaorta-Aneurysma ist eine Aussackung der Bauchschlagader, die Ader wird instabil und kann im schlimmsten Fall zerreißen. Wenn die Bauchaorta wächst, merken das die Patienten in der Regel nicht, weil es nicht schmerzt. Erst, wenn die Bauchschlagader geplatzt ist, äußert sich dies durch Rücken- und Bauchschmerzen und Schwindel. Das ist der schlimmste Fall. Der zweite Fall ist, wenn die Bauchschlagader droht, einzureißen. Der Patient bekommt in dem Fall Rückenschmerzen, die ihm bis dahin völlig unbekannt waren. Diese entstehen durch den Druck auf die Wirbelsäule. Er spürt dann jeden Pulsschlag als Schmerzschlag. In dem Fall würden wir sofort eine Ultraschalluntersuchung vorschlagen und eine Computertomographie.

Wie hoch sind die Überlebenschancen bei einem geplatzten Aneurysma?

Man sagt, dass von denen, die es in Krankenhaus schaffen 40 bis 50 Prozent überleben und danach auch ein normales Leben weiterführen können.

Wo liegen die Ursachen für eine solche Erkrankung?

Rauchen ist ein starker Risikofaktor. Auch ein hoher Blutdruck und hohe Cholesterin-Werte, die zur Verkalkung der Gefäßwände führen. Die Zuckerkrankheit spielt auch eine Rolle.

Warum gibt es keine Vorsorgeuntersuchung für Frauen und Kinder?

Frauen sind deutlich weniger betroffen. Das spiegelt sich in den Fallzahlen. 80 Prozent der Patienten sind Männer, 20 Prozent sind Frauen. Kinder sind fast gar nicht betroffen.  

Wie behandeln Sie die Erkrankung?

Es gibt zwei Möglichkeiten, ein Bauchaorta-Aneurysma zu behandeln. Erstens die offene OP, die zum ersten Mal in den 1950-er Jahren in Amerika durchgeführt wurde. Der Arzt Michael Ellis Debakey hat damals die Hauptschlagader durch eine Prothese ersetzt, die er selbst an der Nähmaschine seiner Frau hergestellt hat. Bei dieser offenen Operation wird der Bauchraum mit einem Längsschnitt vom Brustbein bis zum Schamhügel geöffnet. Früher war der Stoff schon mal undicht oder verrutschte. Die Standardprothese besteht heute immer noch aus Polyester, allerdings ist der Stoff speziell gestrickt und gewebt. Diese Methode ist inzwischen eine sichere Variante, mit der gute Langzeitergebnisse erzielt werden.

Und die zweite Möglichkeit?

Die zweite Möglichkeit ist, wie bei einem Herzkatheder einen Stent zu setzen. Dies wird über die Leistenschlagadern gemacht. Diese minimal-invasive OP dauert wie die offene OP eineinhalb Stunden. Aber während der Patient nach einem Bauchschnitt bis zu zehn Tagen im Krankenhaus liegen muss, entlassen wir nach Patienten mit einem Stent nach bis zu fünf Tagen. Diese Patienten können auch gleich nach der OP wieder essen und aufstehen.

Behandelt die Klinik auch Sonderfälle?

Wir wurden im September dieses Jahres zum sechsten Mal von der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin als Gefäßzentrum anerkannt. Ganz ausgefallene Fälle überweisen wir derzeit dennoch an sogenannte spezialisierte Aortenzentren. Zurzeit wird aber darüber nachgedacht, einen Hybrid-OP in Bremen-Nord einzurichten. Dies ist ein Operationssaal mit speziellen Röntgenanlagen und einem speziellem OP-Tisch. Wenn wir mit einem Hybrid-OP ausgestattet wären, könnten wir die ganz komplizierten Operationen selbst machen.

Das Interview führte Patricia Brandt

Zur Person

Matthias Trede

ist Gefäßchirurg, Jahrgang 1967, und hat in Lübeck Medizin studiert. Bevor er 1998 nach Bremen-Nord kam, arbeitete er an der Lübecker Uniklinik. Seit 2021 ist der Wahl-Schwaneweder Sektionsleiter der Gefäßchirurgie im Klinikum Nord.

Zur Sache

Telefonsprechstunde

Der Leiter des Gefäßzentrums am Klinikum Bremen-Nord, Matthias Trede, beantwortet am heutigen Mittwoch, 10. November, in der Zeit von 16 bis 18 Uhr, Fragen zum Thema Gefäßerkrankungen und Durchblutungsstörungen. Matthias Trede ist in dieser Zeit unter der Telefonnummer 04 21/ 66 06-39 85 erreichbar.

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