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Experiment misslungen Misstöne bei den Tanztönen

Nicht nur Schlager, sondern eine bunte Musikmischung wird bei einem Tanznachmittag im Bürgerhaus Vegesack für die ältere Generation geboten. Die Veranstaltung fällt durch.
01.03.2019, 18:03 Uhr
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Von Sylvia Wörmke

Die Damen und Herren haben sich schick gemacht. Sie wollen tanzen, am Nachmittag im Bürgerhaus. Schon vor dem offiziellen Einlass stehen die Gäste vor der Tür. Freuen sich, sind erwartungsvoll. In den nächsten Stunden wechselt die Stimmung im Saal. Sie geht rauf und runter, wird erst zum Schluss wieder etwas besser. Organisatorin, Frauke Winter, die den Senioren-Kreativ-Treff leitet, ist hin- und hergerissen. Sie greift ein und bekommt dann heraus, weshalb die „Tanztöne“ beim Publikum nicht so gut ankommen wie der Tanztee. Das Publikum, überwiegend über 70, hat Erwartungen, die nicht erfüllt werden.

Der Sänger und Pianist Matthias Monka hat das Programm zusammengestellt. Es ist eine bunte Mischung aus deutschen und englischen Liedern. Mal erklingt ein Song von den Beatles, mal von Elton John, Udo Jürgens „mit 66 Jahren“ ist zu hören, Hildegard Knef wie Frank Sinatra und Udo Lindenberg. Auf den Tischen liegen Wunschlisten, und das Publikum darf auch um Lieder bitten.

Der Musiker hat sich sehr auf den Nachmittag gefreut. Eine Besucherin ist sogar extra seinetwegen gekommen. Irmgard Clausen hat ihn mal bei einer DRK-Veranstaltung erlebt. „Sonst wäre ich nicht gekommen“, sagt sie im Kreis ihrer Freundinnen. Sie haben sich für diesen Tanznachmittag hier verabredet.

Die Damengruppe an einem langen Tisch wurde eingeladen. Heike Rippe feiert ihren Geburtstag mit ehemaligen Arbeitskolleginnen und Freundinnen nach. Es wird viel geschnackt und gelacht. Eine Besucherin setzt sich zu der munteren Runde und beim Plausch mit Lieselotte Ahrends stellen die beiden Frauen fest, dass sie mal in einer Straße Nachbarinnen waren. Die Frauen der Geburtstagsrunde sind guter Dinge. „Das ist gut für die Seele“, kommentiert Lieselotte Ahrends, die vor ihrer Rückkehr nach Vegesack ein Hotel auf Helgoland geleitet hat, den Tanznachmittag. Es gibt viel Lob für das Angebot. „Wo kann man denn sonst mit 60 tanzen gehen“, meint eine andere Besucherin, die sich das Treiben im Saal von der Kuchentheke aus anschaut.

Normalerweise wird der Tanztee vom Senioren-Kreativ-Treff alle 14 Tage veranstaltet. Hans Dymala sorgt dann immer für die Musik, hauptsächlich Schlager. Zum Tanztee ist der Saal voll. An die 80 Gäste, erzählt Frauke Winter, sind immer dabei. Darum wollte sie noch zusätzlich eine Veranstaltung anbieten, bei der auch mal andere Musik gespielt wird, um auch Menschen der Generation 60 plus oder gar jüngere anzusprechen.

Anfangs scheint ihr Experiment aufzugehen. 100 Karten werden verkauft, die Tische sind alle besetzt. Die Organisatorin entdeckt viele Stammgäste, aber auch neue Gesichter. Schon gleich bei „Bel ami“ strömen die ersten Paare auf die Tanzfläche. Sie ist ständig besetzt. Manche Paare lassen keinen Tanz aus. Es gibt die klassischen Mann-Frau-Konstellationen oder zwei Frauen tanzen zusammen, andere Frauen tanzen allein. Einige junge Leute sind auch gekommen, die mit ihren Kindern auf dem Arm schwofen.

An den Tischen wird gegessen, getrunken und geklönt. Es herrscht Frauenüberschuss, aber zu einem Drittel besteht das Publikum aus Männern. Günther Pförtner aus Beckedorf, „aus dem Ausland“, scherzt er, hat hier als Tischnachbarin Erika Wittrock aus Schwanewede kennengelernt. „Eine sehr interessante Dame“, sagt er charmant. Sie klönen, weil sie mit der Musik nicht so recht etwas anfangen können. Ist ihnen nicht flott genug. So schnacken sie mit Hannelore Seedorf, die heute allein hier ist. Die Frauen, mit denen sie sonst beim Tanztee ist, sind nicht gekommen. Auch Hugo Marquardt am anderen Tisch ist ohne Begleitung da. Er hat sich nicht getraut, sich an einen Frauentisch zu setzen, unterhält sich lieber mit einem anderen Herrn. Er hat ihn allein sitzend entdeckt.

Langsam kippt die Stimmung im Saal. Die erste Kritik am Programm wird laut. Die Gespräche an den Tischen sind lebhaft. Zu lebhaft nach dem Geschmack einiger Gäste. Die Frauenrunde ist zum Beispiel nach einiger Zeit unter sich am Tisch, falls die eine und andere nicht auf der Tanzfläche rockt. Frauen werden formvollendet dazu aufgefordert. Hier ist man auch nicht überschwänglich begeistert vom musikalischen Angebot. Einige mögen lieber Rock ‚n‘ Roll. Die Damen amüsieren sich trotzdem.

Auch die 84-jährige Klara Kriwaczek tanzt. Zumeist allein. Ihr 89-jähriger Ehemann Hans mag nicht. „Es sind keine deutschen Lieder“, kritisiert sie. Sie vergleicht die Veranstaltung mit dem Tanztee und den Nachmittagen im Borgfelder Landhaus. Ihr fehlt auch ein Akkordeon. Sie mag nicht, dass der Musiker nur Klavier spielt und singt. Sie kann aber auch nicht sagen, was sie eigentlich hören möchte. Walter Klebor und Waltraud Wippermann sind oft auf der Tanzfläche zu sehen. Sie fallen durch ihre Kostüme auf und ernten verwunderte Blicke. Er ist als Kapitän, sie als Rotkäppchen in Grün unterwegs. „Wir haben gedacht, es ist Karnevalszeit. Dass wir die einzigen sind, die verkleidet sind, haben wir nicht erwartet“, erzählt er. „Das macht uns aber nichts aus“, sagt er gut gelaunt. Auch ein anderes Tanzpaar dreht perfekt seine Pirouetten. Die Dame trägt sogar goldene Profi-Tanzschuhe. Manche schwofen, andere twisten, tanzen für sich allein, zu mehreren in der Gruppe und wieder andere singen mit – Drafi Deutschers „Marmor Stein und Eisen bricht“.

Matthais Monka bemüht sich derweil ständig, auf das zu reagieren, was ihm von Frauke Winter zugetragen wird. Sie hört an den Tischen viel Kritik: Die Musik ist zu laut, nicht schmissig genug, zu viele englische Lieder, nichts Tanzbares – und wo ist Hans Dymala? Die Leiterin des Senioren-Kreativ-Treffs bekommt auch mit, dass die Vorschlagsliste, die auf den Tischen liegt, gar nicht beachtet wird. Sie informiert über die Möglichkeiten, sich auch selber etwas zu wünschen und verteilt noch weitere Listen mit Liedern aus dem Musikerrepertoire. Im Laufe des Nachmittags schwindet trotzdem viel Publikum. Zum Schluss ist nur noch die Hälfte da.

Frauke Winter gesteht sich später ein: „Das war schwierig. Irgendwie war der Wurm drin.“ Sie hat erfahren, dass sehr viele Gäste die Ankündigungen für die Veranstaltung nicht richtig gelesen haben. Und: „Es gab Erwartungen, die wir nicht erfüllen konnten.“ Sie ist enttäuscht. „Wir nehmen die Kritik aber ernst und reagieren darauf“, sagt sie. Am 14. Mai wird zu den nächsten Tanztönen eingeladen. Frauke Winter möchte dann beim Kartenverkauf intensiver darauf aufmerksam machen, dass nicht nur Schlager gespielt werden.

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