So dramatisch wie im Jahr 1974 sieht es für das Blasorchester der Sportgemeinschaft Aumund-Vegesack (SAV) nicht aus. Damals war die Zahl der aktiven Musiker aus Altersgründen und weil Mitglieder gestorben waren, auf elf gesunken. Auftritte waren nicht mehr möglich. Dabei hatte vier Jahre zuvor alles hoffnungsfroh angefangen, kann Dirigent und Orchesterleiter Detlef Schaper berichten. Als das Orchester – damals noch als Musikzug der Freien Turner Blumenthal – am 1. März 1970 gegründet wurde, "gab es regen Zulauf an Musikern".
Das wäre heute ein Traum. Gut 50 Jahre später muss sich das Blasorchester, wie viele andere Vereine auch, dem Nachwuchsmangel stellen. "Einen Jugendwart hatten wir zuletzt vor 20 Jahren", blickt Detlef Schaper zurück. Das jüngste Mitglied ist heute 40 Jahre alt. Yvonne Parus gehört noch zu den "jungen" Musikern. Die 45-Jährige ist kurz vor der Corona-Pandemie zum SAV-Blasorchester gestoßen. "Ich habe eine neue Herausforderung gesucht", erzählt sie. Seit ihrem neunten Lebensjahr macht die Nordbremerin Musik. Im Spielmannszug Huchting hatte sie begonnen, Flöte zu spielen. Piccoloflöte und Konzertflöte waren ihre Instrumente. Auch das Saxophon hatte sie gereizt. Als Yvonne Parus 2019 beim Erntefest in Schwanewede mit Musikern des SAV-Blasorchesters zusammentraf und ihnen erzählte, dass sie eine neue Herausforderung brauche, hatten die gleich einen Tipp parat: "Mach doch Tenorhorn." So kam es.
Mit Orchestermusik aufgewachsen
Sie nahm beim Dirigenten privaten Unterricht, um sich mit dem Instrument vertraut zu machen. Anders als bei der Flöte, die mit allen zehn Fingern gespielt wird, hatte das neue Instrument nur drei Ventile und "ein ganz anderes Mundstück". Sie haben heimlich geübt, erzählen Detlef Schaper und Yvonne Parus, um das Blasorchester bei der Weihnachtsfeier 2019 mit einem ersten Auftritt zu überraschen. Dann kam schon bald Corona in die Welt. Schwierige Jahre für das Orchester. Auftritte wurden abgesagt, zum Proben konnten die Musiker sich lange Zeit nicht treffen. "Es sind sehr viele Kapellen wegen Corona kaputtgegangen, weil die Proben ausfielen", bedauert Detlef Schaper. Er habe immer zugesehen, dass der Draht zu den Orchestermitgliedern nicht abreißt, erzählt der Dirigent. Und als Proben im Freien möglich waren, lud der Blumenthaler die Musikerinnen und Musiker dazu in seinen Garten ein.

Yvonne Parus hat beim Dirigenten Detlef Schaper gelernt, Tenorhorn zu spielen.
Wie Yvonne Parus ist Detlef Schaper mit Orchestermusik aufgewachsen. Die ganze Familie war dort aktiv. Sein Vater Günther Schaper hatte das Blasorchester mit gegründet, war dessen Leiter und ist mit seinen 89 Jahren heute noch aktiver Musiker. So war das damals, erinnert sich sein Sohn, der neben dem Dirigieren auch Trompete spielt. "Früher rückten die Kinder der Musiker im Orchester nach." Das war Tradition. Heute sucht man den Nachwuchs vergebens, "obwohl es die Ausbildung am Instrument bei uns fast gratis gibt". Und die Auswahl ist nicht klein. Neben Klarinetten, Alt- und Tenor-Saxophonen erklingen im Orchester Trompeten, Flügelhörner und Posaunen. Auch das Bariton sei vertreten sowie die große und kleine Trommel und das Becken. Aber heute, begründet Detlef Schaper die mangelnde Nachfrage junger Leute, gibt es Computer und soziale Medien, die viel aktives Leben "kaputt gemacht haben", ist der Orchesterleiter überzeugt. "Es kommt hinzu, dass die Schule schwerer geworden ist und wir in einer viel hektischeren Zeit leben."
Moderne Arrangements und gute Gemeinschaft
Könnte auch sein, dass der Reiz, bei Festumzügen mitzumarschieren und bei Festen zünftige Tanzmusik zu spielen, flöten gegangen ist. Dabei sei das Programm gar nicht so verstaubt, werben Yvonne Parus und Detlef Schaper für ihre Musik, zu der neben Polka und Walzer auch Tango, Swing und modern arrangierte Stücke wie Filmmusiken zählen. Das Blasorchester sei bei Auftritten sehr gefragt. Ein anderer wichtiger Grund, im Blasorchester zu musizieren, sei die gute Gemeinschaft. "Es ist immer Spaß dabei", berichtet Yvonne Parus. "Man wird gut aufgenommen, gut geschult, und es wird viel gelacht." Im Moment laufe es gut im Orchester, sagt der Leiter. Es gebe 28 Aktive zwischen 40 und 60 Jahren, mit denen "Freude an der Musik" noch gut möglich sei. Nur, dass nicht alle Instrumente besetzt sind, sei bedauerlich. "Es fehlen das Schlagzeug und die Tuba."
Wie könnte das Blasorchester also Nachwuchs gewinnen? Detlef Schapers ratloser Blick verrät, dass ihm nichts mehr dazu einfällt. "Wir haben alles Mögliche versucht. Annoncen veröffentlicht, im Internet geworben." Ohne Erfolg. Ihm kommt ein bezeichnendes Bild vor Augen: Beim Umzug zum Schwaneweder Erntefest soll in diesem Jahr nur noch eine Musikkapelle mitmarschieren. So habe er es gehört. "Früher waren es zehn Kapellen." Es wundert ihn nicht. Die Musiker werden immer älter, "und mehr als zwei Kilometer Weg können sie bei einem Umzug nicht schaffen". Vor allem, wenn man bedenke, wie schwer manche Instrumente sind. "Ein Kaiserbass zum Beispiel wiegt 18 Kilo." Und obendrein sei es nicht besonders motivierend, "dass bei den Umzügen inzwischen kaum noch Leute an der Straße stehen".