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Interview mit dem Polizeileiter Nord-West Polizeileiter erklärt: Deshalb gibt es viele Einbrüche in Vegesack

Immer wieder flogen Gullydeckel in Schaufenster von Vegesacker Händlern. Im Interview sagt Polizeileiter Michael Steines, wen die Beamten dafür verantwortlich machen – und warum die Zahl der Einbrüche steigt.
08.02.2020, 07:00 Uhr
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Polizeileiter erklärt: Deshalb gibt es viele Einbrüche in Vegesack
Von Christian Weth
Herr Steines, wie oft haben Sie es schon erlebt, dass Kaufleute aus Angst vor Einbrechern in ihren Geschäften schlafen?

Michael Steines: Wer seit Jahrzehnten als Polizist arbeitet, dem kommt vieles unter. Auch das, wenngleich äußerst selten.

In Vegesack haben mehrere Fahrradhändler Nächte in ihren Läden zugebracht, weil immer wieder versucht wurde, bei ihnen einzubrechen. Vertrauen in die Arbeit der Polizei sieht anders aus, oder?

Das Sichern des persönlichen Eigentums ist für mich noch nicht Ausdruck des Misstrauens gegenüber polizeilicher Arbeit.

Sondern?

Jeder muss sich Gedanken machen, wie er sein Eigentum schützt. Das ist für mich Prävention und etwas Selbstverständliches.

Warum ist es eigentlich so schwer, Einbrecher zu fassen und aus dem Verkehr zu ziehen, die ihre Taten bei ein und denselben Geschäften wiederholen?

Sie zu fassen, ist oftmals gar nicht so schwer. Im Fall der Fahrradhändler haben wir zwei jugendliche Intensivtäter festgenommen, die sozusagen der Kern einer Gruppe sind, die in unterschiedlicher Zusammensetzung Straftaten begeht und uns momentan beschäftigt. So gesehen, sind wir erfolgreich.

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Und warum berichten dann Händler, dass sie genau diese Intensivtäter einen Tag später wieder vor ihren Geschäften gesehen haben?

Weil eine Festnahme nicht automatisch bedeutet, dass jemand in Untersuchungshaft kommt. Gerade wenn es sich um jugendliche Straftäter handelt, kann es dauern, bis ein Gerichtsverfahren aufgrund unserer Strafanzeigen eingeleitet wird. Und solange es keines gibt, sind sie quasi auf freiem Fuß.

Die Polizei fasst also die Täter – und die Justiz lässt sie wieder laufen?

So sehen das zwar viele, so kann man das aber nicht sagen.

Wie dann?

Ich kann verstehen, dass Menschen verunsichert sind, wenn sie mutmaßliche Täter kurz nach der Festnahme wiedersehen. Dass die Jugendlichen nach den Vorfällen bei den Fahrradhändlern nicht gleich in Untersuchungshaft genommen wurden, heißt aber nicht, dass die Justiz nichts gemacht hat.

Was unternimmt sie denn, um die Minderjährigen daran zu hindern, weiterhin Straftaten zu begehen?

Das kann ich in diesem Fall nicht so genau sagen. Ich weiß aber, dass das Amt für Soziale Dienste und die Jugendhilfe ebenso eingeschaltet sind wie die Jugendgerichtshilfe. Sie haben mehrere Möglichkeiten, auf Minderjährige zu reagieren, die Straftaten begehen.

Und welche?

Sie verständigen Sozialarbeiter, aber auch Familienhelfer. Sie können die Jugendlichen von ihren Eltern trennen, wenn sie das für erforderlich halten. Und sie können den Minderjährigen ein neues Umfeld geben, in dem sie einen Umzug in eine Einrichtung in einem anderen Bundesland veranlassen, in der sich speziell geschultes Personal um sie kümmert. Fremdplatzierung nennt man das. Daneben gibt es viele weitere Möglichkeiten.

Was ist denn im Fall der Vegesacker Intensivtäter versucht worden?

Auch das kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass offensichtlich noch nicht die richtigen Maßnahmen ergriffen wurden, um die Jugendlichen davon abzuhalten, weiterhin straffällig zu werden.

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Welche wären das aus Ihrer Sicht?

Darüber haben andere zu entscheiden. Die Polizei ist dazu da, Straftäter zu ermitteln, festzunehmen und weitere Straftaten wenn möglich zu verhindern.

Was macht das mit Ihnen und Ihren Kollegen, wenn Sie immer wieder mit denselben Tätern zu tun haben?

Polizeilicher Erfolg definiert sich für mich nicht über die Haftquote, sondern über die Zahl der Taten, die aufgeklärt werden können.

Und was macht das mit den Tätern, wenn sie zwar erwischt, aber nicht bestraft werden?

Das macht aus manchen, wie im Fall der Geschäftseinbrüche, Wiederholungstäter, die sich auf neue Delikte verlegen. Deshalb bin ich der Meinung, dass bei Jugendlichen besonders schnell reagiert werden muss. Ich hoffe, dass die Strafanzeigen, die von uns geschrieben wurden, bald zu einem Gerichtsverfahren führen. Ich kann verstehen, dass das für viele zu lange dauert. Auch für uns ist das Tempo manchmal nicht schnell genug.

Wie oft haben Sie mit minderjährigen Intensivtätern zu tun?

Sie sind die Ausnahme. Meistens reicht es, wenn Jugendliche einmal erwischt werden, damit sie kein zweites Mal straffällig werden.

Wie viele Straftaten muss denn ein Täter begehen, um als Intensivtäter zu gelten?

Das hängt von der Schwere der Tat ab. Es gibt ein spezielles Punktesystem, nach dem jugendliche Täter eingeordnet werden. Bei einem Raub erfolgt die Einordnung sofort, aber bei einem Wohnungseinbruch nicht unbedingt. Ich sage es mal so: Die Jugendlichen im Fall der Geschäftseinbrüche beschäftigen uns seit Monaten.

Genauso wie die Fahrradhändler: Es gibt einige, die mittlerweile sagen, dass Vegesack nicht mehr so sicher ist, weil sich die Einbrüche in Geschäfte häufen. Was sagen Sie?

Das ist mir zu pauschal formuliert. Ja, es gibt seit einem halben Jahr eine Zunahme von Einbrüchen bei Händlern. Deshalb aber gleich daraus zu folgern, dass sich die Situation allgemein verschlechtert hat, finde ich falsch.

Manche Händler sehen das anders. Sie halten die Situation mittlerweile für so schlecht, dass sie einen privaten Sicherheitsdienst einschalten wollen. Was halten Sie davon?

Von Securitykräften, die patrouillieren, halte ich gar nichts. Sie bringen kein Plus an Sicherheit. Denn auf Streife in den Geschäftsstraßen sind wir auch, sogar öfter als bisher.

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Was schlagen Sie denn den Händlern stattdessen vor, um ihr Eigentum zu schützen?

Wenn Gullydeckel benutzt werden, um Scheiben einzuwerfen, dann raten wir, spezielle Rollläden zu installieren. Das bringt mehr als ein Sicherheitsdienst, der Patrouille läuft – und ist langfristig auch günstiger.

Wie viele Einbrüche in Vegesacker Läden hat es im vergangenen Halbjahr denn gegeben?

Die Auswertung ist noch nicht abgeschlossen. Die Zahlen werden im März genannt, wenn wir die Polizeistatistik vorstellen.

Und wie erklären Sie sich das Plus?

Viele der Einbrüche können wir den jugendlichen Intensivtätern zuschreiben.

Soll das heißen, dass die Zahl sinken wird, wenn es zum Gerichtsprozess kommt beziehungsweise eine Maßnahme der Jugendgerichtshilfe greift?

Davon gehen wir aus, und zwar nicht nur bei den Geschäfts-, sondern auch bei den Kellereinbrüchen. Auch in diesem Bereich hat es eine Zunahme gegeben, die wir den minderjährigen Intensivtätern zuschreiben.

Was haben sie denn in den Kellern gesucht, ebenfalls Räder?

Nach unseren Ermittlungen haben sich die Jugendlichen auf den Diebstahl von E-Bikes spezialisiert. Offenbar haben sie jemanden gefunden, der ihnen die Beute abnimmt.

In Vegesack hat auch die Zahl der Wohnungseinbrüche zugenommen. Mit E-Bike-Dieben lässt sich der Anstieg wohl kaum erklären...

Wir wissen, dass die Jugendlichen auch in Wohnungen eingestiegen sind oder es zumindest versucht haben. Jedoch nicht so häufig wie in Keller und Geschäfte. Für die Zunahme der Wohnungseinbrüche machen wir deshalb andere Täter verantwortlich. Einige haben wir bereits festnehmen können.

Und wie begründen Sie, dass in Vegesack die Zahlen gestiegen, in fast allen anderen Stadtteilen aber gesunken sind?

Die Auswertung läuft noch. Was wir sagen können, ist aber, dass der Anstieg nicht nur Vegesack, sondern auch Blumenthal betrifft. Wir vermuten, dass ein Grund dafür unsere Schwerpunktarbeit ist: Eine Zeit lang hatten wir uns auf Burglesum konzentriert. Man könnte also annehmen, dass der dortige Druck der Polizei sowie die Prävention der Hauseigentümer zu einer Verlagerung geführt hat.

Die Fragen stellte Christian Weth.

Zur Person

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Michael Steines (60)

leitet bei der Polizei die Abteilung Nord-West. Davor war er erst Chef der Schutzpolizei, später des Bereitschaftsdienstes. Steines wohnt in Blumenthal, ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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