Thomas Meyer-Bohe ist Nachfahre einer hugenottischen Walfängerfamilie. Aus Frankreich vertrieben kamen seine Vorfahren im 17. Jahrhundert nach Vegesack. Über Generationen hinweg prägte der Walfang die Familiengeschichte. Im Rahmen der Veranstaltungen zum 400-jährigen Bestehen des Vegesacker Hafens hielt Meyer-Bohe im Schloss Schönebeck den Vortrag „Walfang und Migration“. Ein Thema, das großes Interesse fand: Der Vortragsraum war fast komplett gefüllt.
„Das Thema Migration ist so alt wie die Menschheit“, sagt Thomas Meyer-Bohe und berichtet, wie beispielsweise in den 1680er Jahren mehrere Hundert in Frankreich verfolgte Hugenotten nach Bremen kamen, wo ihnen – so der zeitgenössische Chronisten Peter Koster – „viele Guhttaten widerfuhren“. Die Glaubensflüchtlinge versuchten in Bremen in vielen Bereichen Fuß zu fassen: unter anderem im Silberhandwerk, im Deichbau, in der Tabakproduktion oder im Blaudruck. Sie brachten vielerlei neue Ideen und Herangehensweisen mit. „Also war es eine Bereicherung, dass sie herkamen“, stellt ein Zuhörer fest und Thomas Meyer-Bohe nickt bestätigend. „Fremde Nationen bringen immer etwas mit, das wir vorher noch nicht hatten.“ Man müsse interessiert und offen sein und den Menschen eine Chance geben – das war im 17. nicht anders als im 21. Jahrhundert.
Einige Hugenotten mussten körperlich anstrengende und gefährliche Arbeit annehmen. „Sie taten, was eben getan musste, um sich und ihre Familien durchzubringen“ – und so wurden einige von ihnen Walfänger. Im 17. Jahrhundert entwickelte sich der Vegesacker Hafen zu einem Stützpunkt des Walfangs. 1653 wurde hier die „Bremische Grönland Compagnie“ gegründet. Es ging vor allem darum, aus den erlegten Tieren wertvollen Tran als Lampenöl zu gewinnen. Die Bohes, die als Religionsflüchtlinge aus Frankreich gekommen waren, fanden in Mittelsbüren eine neue Heimat. Der erste Grönlandfahrer der Familie hieß Lulf Bohe. Er soll 1699 zum ersten Mal ins Eismeer hinaus gefahren sein. Bis 1709 folgten weitere Fahrten. Im April fuhren die Männer ab, Mitte August wurden sie zurückerwartet. Die sogenannte Musterrolle regelte nicht nur die Rechte und Pflichten eines jeden Besatzungsmitglieds, sondern legte auch die Prämien für das Erlegen eines Wals fest. Walfänger konnten es durchaus zu einigem Reichtum bringen. Doch viele zahlten einen hohen Preis – sie ertranken in den eisigen Fluten. Wenn ein Wal in der Nähe der Brigg auftauchte, wurden die kleinen, wendigen Schaluppen zu Wasser gelassen. Dann begann der Nahkampf auf Leben und Tod. Thomas Meyer-Bohe sagt, es sei unter den Walfängern ausgelost worden, wer diese hochgefährliche Arbeit übernehmen musste.
Interessierte Zwischenfragen
Meyer-Bohe zeigt dem Publikum zahlreiche Walfangszenen, Kopien aus Walfänger-Tagebüchern und Bilder von Walfangschiffen. Immer wieder muss der 69-Jährige interessierte Zwischenfragen beantworten. Harpunen und weitere Walfang-Werkzeuge konnten sich die Besucher im Anschluss im Walfang-Zimmer des Heimatmuseums ansehen. Doch Thomas Meyer-Bohe hat auch einige Exponate aus dem Familienbesitz mitgebracht: einen Kaffeepott, ein Kakaokännchen und Zinnteller, die einen Grönlandfahrer auf seiner Fahrt begleitet haben. Außerdem eine mit Walfangszenen bemalte Holzkiste aus dem 19. Jahrhundert und das Seitenteil einer kunstvoll geschnitzten Wäschetruhe aus Eiche. Wahrscheinlich, so Thomas Meyer-Bohe, hat einer seiner Vorfahren die Kiste an Bord gefertigt, um sich zu beschäftigen. Denn manchmal trieben die Schiffe wochenlang im Packeis, ohne dass ein Wal auftauchte.
Die Verbundenheit zum Wasser ist bis heute geblieben, so Meyer-Bohe. In seiner Familie finden sich unter anderem Bootsbauer und Kapitäne. „Ich bin allerdings ein bisschen aus dem Ruder gelaufen und Architekt geworden“, sagt er und lacht. Aber das Interesse an der Geschichte seiner Ahnen ist groß. Er recherchiert seit Jahren in Museen, Archiven und Chroniken. Auch das Thema Migration beschäftigt ihn seit Langem. In den 90er Jahren ging er nach Russland, um an der Akademie für Architektur der Universität Novosibirsk Vorlesungen zu halten. Dort lernte er seine Frau Larissa kennen. Beide engagieren sich heute nicht nur in der Friedensarbeit, sondern führen im Hulsberg-Viertel das Atelier „Feinste Textur“. Dort lehren sie die Kunst des Blaudrucks – jenes Druck-Verfahren, mit dem auch einige geflohene hugenottische Textilarbeiter im 17. Jahrhundert in Bremen arbeiteten. Um 1684 befand sich eine Blaudruckwerkstatt am Rande des Bremer Marktplatzes.