Das ist mal ein handfester Schultag. Fernab von mathematischen Formeln, englischen Vokabeln und deutscher Grammatik. Obwohl es ohne mathematische Formeln auch an diesem Ort sicher nicht vorangehen würde. Baustelle statt Klassenzimmer lautet das Motto der 20 Neuntklässler, die an diesem kühlen Morgen mit ihren zwei Lehrern zwischen den Rohbauten im Speicherquartier am Vegesacker Hafen unterwegs sind. Maurerkelle statt Taschenrechner. Dafür sind sie von Habenhausen aus nach Bremen-Nord gekommen. Sie machen beim Bauunternehmen Kathmann eine Betriebsbesichtigung. Kathmann ist bei den sechs Gebäuden, die hier aus dem Boden wachsen, für den Rohbau zuständig. Alles, was mit Beton, Mauerwerk und Gründung zu tun hat, fällt in den Arbeitsbereich des Unternehmens. Von allem bekommen die Oberschülerinnen und -schüler bei ihrem Besuch reichlich Eindrücke. Und das eben auch ganz handfest.
Doch erstmal geht es um die Sicherheit. Ohne Schutzhelm und Sicherheitsschuhe läuft auf der Baustelle nichts. "Wichtig ist auch, dass man immer auf den Boden schaut", sagt Natascha Zaddem, die in der Personalabteilung des Bauunternehmens arbeitet. Löcher oder Baumaterial, das im Weg herumliegt, sind auf einer Baustelle keine Seltenheit. Besser, die Augen kontrollieren jeden Schritt. Dann bilden sich drei Gruppen, die jeweils unterschiedliche Aufgaben kennenlernen.

Werkspolier Oliver Tegeler erläutert Schülern die Baustelle.
Schon rühren die ersten Schüler in einer Balge Mörtel an. Sie wollen wissen: Wie muss er sich anfühlen? Zu flüssig darf er nicht sein, zu hart auch nicht. Einer von ihnen schupft mit der Maurerkelle einen Batzen Mörtelmasse und klatscht ihn auf den Boden, streicht die dunkelgraue Masse mit geschicktem Schwung aus dem Handgelenk glatt und setzt ein paar Steine drauf. Fehlt noch Mörtelmasse zwischen den Fugen, weist Polier Christian Fischer auf einen wichtigen Arbeitsschritt hin. Eine halbe Stunde später steht vor den Schülern eine fertige kleine Mauer. "Super", sagt einer von ihnen. Er kann sich vorstellen, bei Kathmann ein Praktikum zu machen. "Ich auch", meint sein Mitschüler.
Natascha Zaddem würde das freuen. Das Unternehmen bietet solche Betriebsbesichtigungen auch an, um bei den jungen Leuten für die Arbeit auf dem Bau zu werben. Deshalb ist der Besuch für die Neuntklässler auch praxisbezogen, erklärt Christian Fischer. "Es geht ums Handling. Darum, herauszufinden, ob der Job etwas für einen ist." Neben den Mauerbauern hantiert eine zweite Gruppe mit gebogenen dünnen Stahlstangen. "Sie machen Flechtarbeiten", erklärt der Polier. Die Schüler stecken die Stangen zu Körben zusammen, die beim Gießen der Mauern zum Einsatz kommen und für einen stabilen Stand sorgen. Später, beim Rundgang über die Baustelle, wird die Gruppe sehen, wie diese so genannten Bewehrungskörbe auf den Grund einer Verschalung platziert werden.
Auf lehmig-matschigen Wegen geht es zwischen zwei imposanten Rohbauten hindurch. Der eine Rohbau – das Gebäude für die Polizei – ist schon so gut wie fertig. Auf einem Anhänger schichten sich übereinander noch die Module für die Decken der Räume. Die riesigen Platten fühlen sich beinahe so glatt an wie die Fläche einer Eislaufbahn. An den Außenwänden rühren Arbeiter gerade mit einem jaulenden Mixer Putzmörtel an, der auf die gedämmte Fassade aufgetragen wird, bevor Klinkerriemchen die Außenwände zieren.
Hundert Ladungen Beton am Tag
Das folgende Gebäude, das später mal ein Hotel sein wird, muss noch um zwei Geschosse in die Höhe wachsen. Dafür ist einer der vier Kräne, die auf der Großbaustelle im Einsatz sind, damit beschäftigt, einen bauchigen Behälter – Betonbombe genannt – in die Höhe zu hieven. Auf der obersten Bauebene fließt aus seinem Inneren dann der Beton ab. Wieder nähert sich im Rückwärtsgang ein Betonmischer und schüttet seine Ladung – sie kommt aus einem Betonwerk im Industriehafen – in die Betonbombe. Wieder bekommt der Kranführer zu tun. "Hundertmal am Tag fährt der Kran jeweils drei Tonnen Beton hoch", berichtet Christian Fischer, während im Innern des Baus die Winkelschleifer kreischen.

Beim Alten Speicher am Hafen stehen erstmal noch Erdarbeiten an.
Allein 40 Bauarbeiter seien auf dieser Baustelle im Rohbau beschäftigt. Für die gesamten Arbeiten, schätzt der Polier, ist die doppelte Menge an Personen im Einsatz. Ein paar Schritte weiter stehen schräg gegenüber dem Hotelbau wuchtige Tafeln für die Schalung der Wände eines weiteren Gebäudes bereit. "Das ist ein bisschen wie Kuchenbacken", sagt der Polier. Die Wände müssen zuvor mit Schalfett beschichtet werden, damit sie sich später von der festen Betonwand lösen lassen.
Während an der einen Seite der Baustelle zum Vegesacker Bahnhofsplatz hin schon die Gebäude in die Höhe ragen, müssen nahe des Alten Speichers am Hafen noch drei Häuser aus dem Boden wachsen: das Tidenhus, das später Servicewohnen und Tagespflege beherbergen wird, das Dampfkesselhaus, in das eine Kita einzieht und das Packhaus für Wohn- und Gewerbeflächen. In einer Baugrube schaufelt ein Minibagger Sand für die Gründungsarbeiten. Auf dem Baufeld nebenan erkennt man, wie dicht an dicht die Pfähle stehen, die sehr tief ins Erdreich gebohrt wurden und auf denen das Gebäude sicheren Stand findet. Ein Radlader sammelt Schaufel für Schaufel Sand und kippt Ladung für Ladung über die Grubenkante. Verschwindend gering erscheint einem die Menge. Bis diese Grube gefüllt ist und die ersten Mauern stehen, wird es noch dauern.